Robin Kaiser

Eine relative Abhandlung über das Absolute


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geschieht der Weckruf über den Weg einer starken Formalisierung und einmal im ungeformten Fluss eines inhaltlichen Selbstausdrucks. Einmal wurde versucht, die Formverunreinigungen durch Formabzug zu verflüssigen, und einmal sie durch extreme Formalisierung aufzuheben. Das folgende Kapitel geht letzteren Weg und sollte aufgrund dessen weniger als ein Lesetext, als wie eine Art Formelsammlung betrachtet werden, die man nach eigenem Ermessen auch überspringen kann. In der Abhandlung geht es weniger um den Inhalt hier, als um den Inhalt in dir, wobei es sich natürlich um ein und denselben Inhalt handelt. Alles, was existiert, existiert im Spannungsfeld zwischen Form und Inhalt. Inhalt ist, geht nie verloren und verändert sich nicht. Inhalt ist, ist notwendigerweise, Formen hingegen können nur werden und sind damit kontingent. Inhalt ist vollkommen, und vollkommen unabhängig von seiner Form. Es gibt nur einen “Fehler“, der gemacht werden kann, nämlich dass sich Inhalt mit seiner Form verwechselt und sich mit dieser identifiziert. Alle möglichen “Fehler“ lassen sich in diese Verwechslung “eindampfen“, und diese Verwechslung präsentiert sich in einer facettenreichen Vielzahl an Fehlern. Inhalt ist der Ursprung der Form, und wer Form mit Inhalt verwechselt, der verwechselt das Symbol mit seiner Quelle, den Ausdruck mit dem, was es ausdrückt. Keine Form von Vollkommenheit kann vollkommen sein, denn nur die Vollkommenheit selbst ist vollkommen. Aber Inhalt (bzw. Vollkommenheit) bleibt für sich vollkommen, unabhängig in welche Form er sich begibt. Wenn eine Form ihren Inhalt vollständig erkennen würde, würde sie sich keinesfalls eine Begrenzung innerhalb einer Form suchen. Formen treten dann in Erscheinung, wenn sie meinen, sich von ihrem Inhalt abtrennen zu können, und gerade die damit einhergehende Seinsungewissheit drängt weiter dazu, in Form zu investieren, um die Inhaltslosigkeit zu verschleiern. Inhalt hingegen, der aus sich zur Gänze seine Seinsgewissheit bezieht, bedarf keiner Seinsrückbestätigung über die Existenz. Oder anders ausgedrückt: Inhalt muss an seiner Inhaltlichkeit und die damit einhergehende Vollkommenheit zweifeln, um in Existenz treten zu können, was Unvollkommenheit damit zur Basis der Existenz innerhalb einer Form macht. Sucht Inhalt in der Form eine Seinsbestätigung, dann sucht er dort, wo er sie nicht finden kann. Doch anstatt anderswo zu suchen, wird jetzt die Seinsbestätigung der Form eingeholt, das heißt, man schafft sich immer wieder eine Bestätigung seiner eigenen Unvollkommenheit. Form lebt immer nur eine Form ihrer selbst und entscheidet sich so gegen alle anderen Formen. Um die Entscheidung zu rechtfertigen, wertet sie ihre Form auf und alle anderen Formen ab. Alle Inhalte im Inhalt hingegen werden vom Inhalt gleichzeitig in jeder möglichen Möglichkeit er- und gelebt, ohne dass diese voneinander unterschieden werden. Form gibt es nicht, es gibt lediglich Inhalt, der sich für Form hält. Inhalt ist alles, was ist, und trotzdem wäre er nichts, wenn er sich nicht in eine Form begeben würde. Das, was wir sind, kennt keine bestimmte Form, und doch kann es nur über eine Verkleidung in einer bestimmten Form sein. Inhalt ist Wahrheit, Formen sind Illusionen. Weder in der Form, noch in dem Inhalt gibt es Abstufungen. Man kann nicht nur ein wenig an Form glauben, sondern, wenn ein Formglaube da ist, ist er ganz da, und Inhalt kann nicht gesehen werden. Umgekehrt gilt es gleichermaßen, wobei Formen zwar noch gesehen, aber durchschaut werden. Für den, der im Formglauben steckt, gibt es innerhalb der Form Abstufungen von Formen und Inhalten, die weniger oder mehr, richtig oder falsch, sind. Für den, der den einen Inhalt sieht, sind alle Formen gleichermaßen illusionsbehaftet, kann doch kein Ausdruck das ausdrücken, was er ausdrücken möchte. Form ist inhaltlicher Abglanz, wobei die Form nicht anders kann, als den Inhalt zu verunreinigen und ihn einzuschränken. Wird Inhalt geteilt, dann wird Form transzendiert. Wird Form geteilt, verringert sich die Form und scheinbar auch der Inhalt, wenn sich dieser mit seiner Form verwechselt. Er gibt nur einen Inhalt, wobei in diesem Inhalt alle Formen und Formabstufungen latent vorhanden sind. Form ist besondere Form, und Inhalt ist so allgemeiner Inhalt, dass er allgegenwärtig ist. Die Besonderheit ist damit beschäftigt, alles, was nicht sie selbst ist, auszusondern. Inhalt ist der prinzipvolle Pol vom prinziplosen Oppositionspol der Form. Will ich Inhalt haben, muss ich von der Form absehen, will ich Form haben, muss ich vom Inhalt absehen, wobei für die Formen der Grundsatz “weniger ist mehr“ gilt. Bei einer starken Formalität geht Inhalt abhanden, sowie bei einer starken Inhaltlichkeit Form verloren geht bzw. transzendiert wird. Und trotzdem ist der Ausprägungsgrad des einen proportional zum Ausprägungsgrad des anderen, denn Gegensätze sind ein und dasselbe und nur im Grad ihrer Ausprägung verschieden. Inhalt lässt sich nicht ausdrücken, nicht aussprechen, und alles, was sich ausdrückt und ausspricht, kann nicht ohne Inhalt sein, denn es ist nicht die Form, die sich ausspricht und ausdrückt. Die Form ist das Mittel zum Zweck des inhaltlichen Ausdrucks. Der Zweck ist inhaltlich geeinigt. Das Mittel, über das der Zweck erreicht wird, ist die Vielheit aller bestehenden Formen. Es gibt keine Form, die nicht letztlich den einen Inhalt repräsentieren könnte, da der Inhalt der Endpunkt ist, der bereits im Anfangspunkt der Form beschlossen liegt. Der Inhalt kann von sich auf eine Möglichkeit seiner Form schließen. Eine Form kann jedoch nicht auf ihren Inhalt schließen, es sei denn, die Form gibt sich als Form auf. Eine Form kann in sich ihren Inhalt erahnen, wenn sie bereit dazu ist, von sich als Form abzusehen. Kommt eine Form in Kontakt mit ihrem Inhalt, dann sieht sie, dass andere Formen den gleichen Inhalt haben, womit das Anderssein verschwindet, und jede Form Kontaktstelle für den einen Inhalt ist. Form kann erst dann vollständig auf ihren Inhalt schließen, wenn sie versteht, dass sie nie Form gewesen ist. Dabei muss Form alles aufgeben, was aus der Idee, Form zu sein, erwachsen ist. Was der Form dienlich ist, schadet dem Inhalt, und was dem Inhalt dienlich ist, schadet der Form. Der Inhalt begibt sich in eine Form, wobei sich, je nach Ausprägungsgrad der Form, die Inhaltlichkeit scheinbar dabei verändert. Inhalt alleine ist sich selbst gegenüber blind, weshalb sie sich über die Form auf einen “Selbsterfahrungstripp“ begibt. Auf diesem geht es dem Inhalt darum, eine für sich möglichst adäquat passende Form zu finden, um sich selbst Ausdruck zu verleihen, um irgendwann zu merken, dass keine Form dem Inhalt gerecht werden kann. Dadurch aber, dass Inhalt selbst von sich nicht weiß, was er ist, weiß er auch nicht, welcher Formausdruck für seine eigene Inhaltlichkeit adäquat ist. Macht Inhalt den Sprung, um als Form zu existieren, dann trägt er anfangs in sich eine Inhaltsgewissheit, obwohl er stark von der Form dominiert wird (Anspielung auf die Natur). Die scheinbare Dominanz der Form ist notwendig, damit der Inhalt sich wieder aus der Form herausentwickeln kann (der evolutionäre Weg der Bewusstwerdung). Verwechselt sich Inhalt mit Form, dann formt die Form den Inhalt so, wie sie meint, dass der Inhalt sei. Der Inhalt wird nur dann von der Form bestimmt, wenn er diese Bestimmung zulässt, denn nur Inhalt kann wirken und innerhalb seiner selbst Formen bilden. Die Bewegung von Form täuscht Inhalt vor, doch Inhalt ist unbewegt, und erst wenn die Bewegung der Form zur Ruhe gebracht wird, kann der immer stille Inhalt erkannt werden. Form muss sich immer verändern, kann nie bewegungslos sein und erschafft über seine Veränderung die Illusion von Inhalt. Eine scheinbar bewegungslose Form kann nur dann bewegungslos erscheinen, wenn sie eine Bewegung auf mikro- und makrokosmischer Ebene aufbringt. Form hat durch ihre Bewegung die Bewegungslosigkeit, den Inhalt, zum Ziel.

      Wenn Form ihr Ziel erreicht hat, ist sie keine Form mehr. Form denkt, sie erreiche Ruhe(Inhalt), wenn sie sich bewegt, weshalb sie sich immer mehr bewegt, immer mehr zur Form macht und immer entfremdeter dem Inhalt gegenüber wird. Je mehr eine Form versucht, zu sein, desto weniger ist sie. Denn wenn Form immer mehr zur Form wird, rückt sie immer weiter von sich selbst ab. Durch den scheinbaren “Fehler“ der Form, durch die Form zum Inhalt zu gelangen, wird die Form so weit zur Form, dass sie sich auflöst. Form ist Inhalt, der Form vortäuscht, um Inhalt anstreben zu können. Erreicht die Form das, was sie ist, dann ist sie nicht mehr, weshalb die Bestrebung des Ausdrucks von Inhalt in einer Form immer wieder von Neuem gewollt sein will.

      Endliche Formen werden von unendlichem Inhalt bis in die Unendlichkeit hinein zum Entstehen gebracht, um wieder zu vergehen. Dabei kann (und muss) Form Inhalt haben, Form strebt aber danach, Inhalt zu sein und nicht nur Inhalt zu haben. Alles, was Form hat, hat Inhalt, und alles, was Inhalt hat, will Inhalt und nicht Form sein. Form kann nie Inhalt sein, das bewirkt die Strebung in jeder Form. Form ist Inhalt, der nach Inhalt strebt! Jede Form bestimmt sich durch den Grad ihrer Abgetrenntheit vom Inhalt. Je stärker die Abgetrenntheit einer Form von ihrem Inhalt ist, desto gegensätzlicher ist der Zustand und die Eigenschaft der Form im Gegensatz zum Inhalt. Und doch haben Form und Inhalt ein und dieselbe Substanz und unterscheiden sich lediglich in ihrem Zustand. Form ist das radikal entgegengesetzte Möglichkeitsextrem von Inhalt. Form besitzt den Willen zu Vergänglichkeit, zur Auflösung, um wieder in den Zustand des immer gleichen Inhalts zurückzukehren, aus dem