Robin Kaiser

Eine relative Abhandlung über das Absolute


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seine eigene Bedürftigkeit auf die Innerlichkeit und die in ihr noch bestehende Idee der Vollkommenheit auf. Würde es keine Innerlichkeit und damit kein intuitives Grundwissen über die Vollkommenheit des großen Ganzen geben, dann könnten wir uns selbst nicht als mangelleidend wahrnehmen. Die Innerlichkeit sieht die Innerlichkeit in jeder Äußerlichkeit und Äußerlichkeit sieht die Äußerlichkeit jeder Innerlichkeit. Oder mit andern Worten: Die Unvollkommenheit sieht die Vollkommenheit unvollkommen und die Vollkommenheit sieht die Unvollkommenheit vollkommen. Würde die Vollkommenheit die Unvollkommenheit als Unvollkommenheit sehen können, dann wäre die Vollkommenheit unvollkommen. Vollkommenheit kann nicht existieren, und trotzdem gibt es nichts, was nicht vollkommen ist. Begegnen sich innere Vollkommenheit und äußere Unvollkommenheit, dann avancieren sie in dem jeweils Anderen ihre eigene Wesensart. Der Mensch als Doppelwesen zwischen Innerlichkeit und Äußerlichkeit kann sich frei dazu entscheiden, in der Unvollkommenheit die Vollkommenheit zu sehen und dadurch die Vollkommenheit in dem Unvollkommenen anzusprechen, sie herauszulocken und sie dadurch zu realisieren. Das Einzige, was dafür getan werden muss, ist die Rückbesinnung auf das, was er ist. Äußerlichkeit ist wirklichkeitsgebunden und bedingt durch eine, in ihr niedergesetzte Innerlichkeit Die Unbedingtheit der ungesetzten Innerlichkeit entbindet von jeder faktischen Wirklichkeitsgebundenheit und bringt eine Möglichkeit mit ins Spiel, die nicht weniger wirklich ist, als die Wirklichkeit selbst. Ein an der Äußerlichkeitswahrnehmung orientiertes Leben ist eine beständige Replizierung vergangener Unvollkommenheitsvorstellungen, die die innere Vollkommenheitsbasis, den vorherigen schöpferischen Akt, leugnet. Die Innerlichkeit ist kontrafaktisch, solange “Ich und Welt“, Innerlichkeit und Äußerlichkeit noch auseinander diffundieren. Doch was ist ein Fakt, wenn nicht letztlich etwas von der Innerlichkeit Hervorgebrachtes und damit durch die Innerlichkeit Veränderbares? Innerlichkeit kann Wahrnehmung und Wirklichkeit überfliegen, gerade weil sie diese durch Wahrgebung von Möglichkeit erschaffen hat. Lasse die Innerlichkeit, die du bist, die Äußerlichkeit, die du einmal sein wolltest, aber nicht bist, überflügeln! Die Kunst besteht darin, eine Glaubensgewissheit in das Potenzial der Innerlichkeit zu setzten und zu lernen, diese konsequent über Äußerlichkeiten zu stellen. So wird die Lücke zwischen den eigenen fantastischen Innerlichkeitszuständen und der äußeren Manifestation dessen verschwindend gering, bis keine Weltenkonstruktion mehr aussteht, da sich Innerlichkeit und Äußerlichkeit geeint haben, bzw. Äußerlichkeiten hineingeholt und als Innerlichkeit durchschaut wurden. Aus der Sicht dessen, was du nicht bist, ist das, was du bist, eine exorbitante Selbstüberschätzung, doch das, was du bist, ist geistige Gesundheit. Und tatsächlich entspricht die Selbsteinschätzung von depressiven Menschen eher ihrem faktischen Fähigkeitsniveau, als bei psychisch gesunden Menschen, die sich mit ihren Einschätzungen systematisch überschätzen. Das Leben in einer kontrafaktischen Innenwelt zeugt von geistiger Gesundheit, denn erst hier lebt ein Geschöpf seinen eingeborenen Schöpfungsmodus aus. Die Innerlichkeit liebt es, sich mit Äußerlichkeiten anzureichen, wobei sie selbst dabei verschüttgeht, und sich ihrer Schöpfungskraft, nach ihrem Willen selbst Äußerlichkeiten zu gestalten, beraubt. Eine fast selbst zu Äußerlichkeit gewordene Innerlichkeit muss sich erst aller Äußerlichkeiten entledigen, um ihr Schöpfungspotenzial zu erkennen. Eine potente Innerlichkeit ist diejenige, die ihr eigenes Sein über die konventionelle Realität zu stellen weiß und immer wieder entgegen eigener Denkgewohnheiten, gegen eigene Musterbildung, denkt. Es ist eine Innerlichkeit, die entgegen einer Festsetzung arbeitet und an äußere Manifestationen nicht anhaftet, unabhängig, ob sie bewusst gewollt, oder unbewusst ungewollt sind. Eine solche Innerlichkeit ist nicht ergebnis-, sondern prozessorientiert, da alles was sie macht Selbstzweck ist, unabhängig der daraus entstehenden Resultate. Diese sehr reine Form der Innerlichkeit geht keinen Weg in der Hoffnung, auf diesem etwas zu finden, oder irgendwo anzukommen. Sie selbst ist der Weg, und egal wo sie hingeht, ist sie immer schon dort angekommen. Sie ist schon immer das, was sie werden will, womit jede Sorte Veränderungen spielend einfach wird. Anstatt sich passiv reaktiv zu Umwelt zu verhalten, verhält sie sich aktiv kreativ, da sie sich als Ursache jeder auf sie einwirkenden Erfahrungen sieht. Nur eine gefestigte, rein gehaltene Innerlichkeit ist stabil genug, die volle Verantwortung für alle ihr widerfahrenden Ereignisse zu tragen. Je mehr Last der Eigenverantwortlichkeit getragen werden kann, desto mehr kann aus der Innerlichkeit heraus erschaffen werden, anstatt sich scheinbar von Äußerlichkeiten erschaffen zu lassen. Eine Figur im Weltengeschehen wird dann immer mehr zu einem Spieler, der die Ursache seiner Erfahrung ist, anstatt nur deren Auswirkungen wahrzunehmen, auf sie zu reagieren und sie für etwas außerhalb von sich zu halten. Ein Spieler mit einer von allen Äußerlichkeiten befreiten Innerlichkeit ist resistent gegen jede Form äußerer Gifte und Verschmutzungen, da alles von außen Kommende nicht Verunreinigungen oder Befleckungen hereintragen kann. Haben sich jedoch Äußerlichkeiten innerlich festgesetzt, dann sind diese wie Andockstellen, an denen sie ihre toxische Wirkung entfalten können. Ignoriert man jede Innerlichkeit, wird alles Absolutheitsnahe, Vollkommene, als eine idealistische Illusion abgetan. Ist die Innerlichkeit aber Grundbaustein für alles darauf Aufbauende, dann wird alles Absolutheitsferne, Relative, als gleichermaßen illusionsbehaftet betrachtet. Es kommt lediglich darauf an, ob der Standpunkt, von dem angefangen wird denkerisch tätig zu werden, ein innerlicher oder ein äußerlicher ist. Eine Innerlichkeit nimmt mit Gelassenheit das, was die Äußerlichkeiten geschäftig werden lässt, um dort geschäftig zu sein, wo die Äußerlichkeit gelassen bleibt. Innerlichkeit durchsetzt und transzendiert Äußerlichkeiten und offenbart somit andere Innerlichkeit, was zum Wegfall der Vorstellung der Andersartigkeit führt, da auch bei unterschiedlichsten Innerlichkeitsformungen deren Substanz immer ein und dieselbe bleibt. Innerlichkeit kann weder in dir noch von anderen getrennt sein, da sie alle äußeren Formen, alle Körper durchsetzt und eine Art kollektives Innerlichkeitssystem bildet. Gleichklingende Innerlichkeiten räsonieren miteinander und bilden Subsysteme. Umso mehr gleichschwingende Innerlichkeiten sich zusammenfinden, desto wirkmächtiger können sie erschaffen, denn Innerlichkeit potenziert sich, wenn man sie teilt.

      Auf das, was in der Innerlichkeit eines Wesens, besonders aber in den kollektiven Innerlichkeitssystemen passiert, folgen äußerliche Manifestationen in der Sinnenwelt. Stimmt sich Innerlichkeit innerhalb mehrerer Körper aufeinander ein, dann merkt man das an der Stimmung. Wenn etwas räsoniert, stimmt es, es harmoniert im Einklang miteinander und findet Anklang und Zustimmung bei denen, die gleichgestimmt und gleichgesinnt sind. Nur von dem, was räsoniert, sind wir bewegt, und nur das, was uns tangiert, kann etwas in uns in Bewegung setzen. Durch die Übereinstimmung von Innerlichkeit wird diese immer energetischer, bis entweder Unstimmigkeiten auftreten und destruktive Interferenzen das Eingestimmtsein hemmen, oder bis sich Innerlichkeit in etwas Äußerlichem Ausdruck verleiht. Wenn dann die Innerlichkeit nicht wieder den Weg zurück zu sich findet und an ihrem manifestierten Ausdruck haftet, dann hat sie sich im Materiellen bestimmt, was die Innerlichkeit auf Dauer verstimmt, beziehungsweise ihre Stimmung drückt. Hat sich eine Innerlichkeit einmal ausgedacht und haftet an dem dabei Herausgedachten, dann hat es sich für diese Innerlichkeit ausgedacht, und alles, was sie sieht, sind Verschiedenheiten äußerer Formen. Anstatt über Dinge im Außen innere Prozesse weiterzuentwickeln, haben wir gegenteilig innere Prozesse verwendet, um Äußerlichkeiten zu gestalten. Doch die Innerlichkeit dient nicht dem besseren Verstehen von Äußerlichkeiten, sondern Äußerlichkeiten sind für das Verständnis der Innerlichkeit da. Die Innerlichkeit erschafft Äußerlichkeit, die Äußerlichkeit erschafft aber nie Innerlichkeit, denn Innerlichkeit ist immer zur Gänze vorhanden. Damit aber die von der Innerlichkeit gemachten Äußerlichkeitsdinge für den Menschen wirklich werden, muss er glauben, dass Äußerlichkeit auf Innerlichkeit wirke. Oder mit anderen Worten: Menschen machen Dinge, doch Dinge machen keine Menschen. Damit aber die von Menschen gemachten Dinge für den Menschen wirklich werden, entwickelt er einen Glauben daran, dass Dinge Menschen machen, denn hätten diese Dinge keinen Einfluss auf den Menschen, so wären sie nicht wirklich.

      Wir sind nicht dazu da, um die Welt zu verstehen, sondern die Welt ist dazu da, dass wir uns selbst besser verstehen, um dadurch über unser Selbstkonstrukt hinauszuwachsen. Alle indigenen (Natur)Völker lebten und leben das Verhältnis von Ich-in-der-Welt auf diese Weise und wissen um den (transzendenten) Sinn des Lebens. Der moderne Mensch glaubt, er sei die Spitze der menschlichen Entwicklung in seinem fortgeschrittensten Stadium, doch diese Art Fortschritt ist ein Rückschritt, der immer mehr zurückschreitet von einer bereits viel fortschrittlicheren Lebensführung. Wir entwickeln uns und halten Rückschritt für Fortschritt,