Bastian Litsek

Der Amok-Insasse: Die Psychothriller Parodie


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widersprechend mit den Händen.

      „Da bin ich aber froh“, sagte Dr. Bieder. „Der Papierkram wäre die reinste Hölle. Wenn Sie jemals irgendwen umbringen wollen, haben Sie bitte genug Anstand und warten Sie, bis wir Sie aus der Ballaballaburg wieder entlassen haben, ja?“

      „Ich verspreche es.“

      „Können Sie gerne. Sie werden es mir auch noch unterschreiben müssen. Ein Haftungsausschluss.“

      „Haben Sie Kinder, Dr. Bieder?“

      „Ich? Himmel nein. Habe mir mit dem Doktorat die Leitungen kappen lassen. Menschen haben auf mich schon immer sonderbar gewirkt, müssen Sie wissen. Ich sehe in ihnen keine Personen mit Werten und individuellen Wünschen.“

      „Sondern?“

      „Potenzial, Herr Jerkoff, Potenzial“, sagte er und klopfte Phill auf den Rücken.

      Sie hatten die Treppe zur Haupttür der Anstalt erreicht. Dr. Bieder sprang im Zickzack die Treppe empor, öffnete die gigantischen Flügeltüren und wies Phill an, einzutreten. Als der Arzt die Türen wieder hinter Phill zuzog, konnte er beobachten, wie irgendwer den toten Gaul mit der Kettensäge zerteilte, um ihn wegzuschaffen. Wahrscheinlich der Hausmeister.

      Ja, Pferde waren nun mal große Tiere und da kein Bagger zur Hand war, der es hätte anheben können, musste Gustavo zur guten alten Stihl greifen und das Fleisch des toten Tieres von Hand in die hauseigene Schlachterei schleppen. Daraus machte man für Tage und Wochen Eintopf, Steak und Buletten. Dem Fleischwolf war egal, welches Tier er zermalmte.

      Nach dieser langen Erklärung war Gustavo mit dem Zerteilen fertig und wuchtete sich einen Schenkel von Till dem Trägen über seine Schulter.

      „Ja“, sagte Dr. Bieder, „so ist das Leben. Wir alle haben einen Zweck zu erfüllen. Und ich weiß auch schon, welcher der Ihre sein wird, Herr Jerkoff.“

      Er drehte sich um.

      Doch Phill war längst verschwunden.

      „Aua! Muss das wirklich sein?“, jammerte Mariam Karkuffian.

      Man hatte sie auf den Operationstisch gespannt und vorbereitet. Dr. Bieder war der Meinung, wenn er schon heute Abend nicht nach Hause kommen würde, konnte er genauso gut hier weitertrinken. Und dabei ein bisschen arbeiten. Beziehungsweise am offenen Gehirn operieren.

      Er hatte sich Mariam Karkuffian bringen lassen. In deren Kopf befand sich ein Gedankensteuerungsgerät, bei dem er die Batterien tauschen wollte. Dr. Bieder wusste zwar noch nicht, wo und wann und wie er die Apparatur einsetzen würde, vielleicht auch nur, um damit im richtigen Moment Druck auszuüben. Aber was man hatte, das hatte man bekanntlich auch nur so lange, wie die Batterien geladen waren. Und die galt es jetzt, auszutauschen.

      Gerade wurde die Patientin örtlich betäubt. Die Operation dauerte zwar nicht lange, war aber doch recht unbequem.

      Dr. Bieder und die Anästhesistin Nancy Leich, eine ehemalige Nonne, beendeten selten eine Unterhaltung im Einvernehmen. Gerade zog die ihre Nadel aus dem Kopf der verurteilten Mörderin, die man ihm überreicht hatte wie ein madiger Apfel auf dem Wochenmarkt. „Nimm und mach damit, was du willst.“

      Nancy zog erneut Betäubungsmittel auf die Spritze und steckte Mariam die Nadel in drei weitere Stellen am Kopf.

      „Sind Sie sicher“, fragte Dr. Bieder, „dass Sie so oft betäuben müssen?“

      „Herr Doktor, Sie ham mir doch jesagt, ich soll nicht sparen.“

      „Stimmt, na dann machen Sie mal.“

      Mit jedem Einstich quietschte Mariam ein Aua, das jedes Mal leiser wurde. Sie war an einen Tisch gefesselt. Über ihr das helle OP-Licht und um sie herum jede Menge Maschinen. Die wichtigste und teuerste war natürlich auch dabei. Sie erfüllte keinen großen Zweck abgesehen davon, dass sie mehr Strom schluckte als das Flutlicht eines Fußballstadions. Dr. Bieder hatte die Gerätschaft angeschafft, weil es groß und wichtig wirkte und sich der Name, Brunski5200, gut in der Broschüre der Anstalt machte.

      Dr. Bieder war gleichzeitig Chefarzt, Aufsichtsrat und Verwaltungsrat. Gerade stellte er den Herzfrequenzmonitor laut, der immerzu „Ka-Doing“ machte. Der Vorteil daran, wenn kein Ka-Doing mehr zu hören war, gab es einen frühen Feierabend und Gustavo rückte mit einem Plastiksack an. Doch wie so oft bei Dingen, die einen frühen Feierabend herbeiführten, traten sie nur selten ein.

      Dr. Bieder war damit beschäftigt, sich seine Whiskey-Gin-Infusion zu legen, als Gustavo den Kopf hereinsteckte. Der Hausmeister trug eine türkisfarbene Mütze mit einem „G“, das sich in einem weißen Kreis befand.

      „Das Pferd ist versorgt, Meister.“

      „Zieh dich zurück, Gustavo, ich werde dich rufen, wenn wir dich brauchen.“

      „Sehr wohl, Meister“, sagte er mit halber Verbeugung und schlich davon.

      Mit der Infusion in seinem Arm, dem Alkohollevel in seinem Blut stabilisiert, Mariam betäubt und Nancy an seiner Seite konnte es losgehen.

      „Welchen Eingriff nehmen wir vor?“, fragte Nancy.

      „Ist das wirklich so wichtig?“, fragte er.

      „En Arzt sollte schon wissen, was er tut.“

      „Ich weiß auch, was ich tue, Frau Leich. Danke“, sagte Dr. Bieder und drehte den Tropf der Infusion weiter auf. Jetzt war es an der Zeit, sich zu konzentrieren.

      „Eine Laune hat der Herr Doktor heute wieder“, flüsterte Nancy. „Hauptsache, wir sind bald fertig. Die Kinder warten zu Hause.“

      Dr. Bieder nahm sich ein Skalpell. Er brauchte es nicht wirklich, aber es sah im OP einfach besser aus, wenn man etwas in der Hand hatte. „Was hat die Kirche damals gesagt, als Sie ausgetreten sind, weil sie eine Familie gründen wollten?“

      Was vielen Menschen oft ein Leben lang verborgen bleibt, ist, dass Operationssäle schlimmer waren als Friseursalons oder Kfz-Werkstätten. Hier wurde getratscht und geklönt, geschnackt und gelästert, man zerriss sich das Maul und dichtete Kollegen Dinge an, die sie den Rest des Arbeitsjahrs versuchten, wieder loszuwerden.

      „Gesagt, hom die nischt. Begeistert waren se ned. Ham jesagt, icke wäre mit dem Herrgott verheiratet und der kriegt zurzeit kene Kinder mehr. Da hab ick gesagt, sehnse, da hammse det Problem. Ick will Familie und en Mann. Nun bin ick im Bunde mit enem, der vor zweitausend Jahren det letzte Mal jezeugt hat und so janz zu de Sache jestanden hat der Kerl damals ja och nich. Was bringt der mich? Tschüssle Kaikowski, ick bin dann mal wech, hab ick gesagt.“

      „Aha. Dann haben Sie die Kluft abgegeben und sind ausgetreten.“

      „Nüscht dergleichen. Ick bin einfach zur Tür raus. Die ham wohl erst beim Beten jemerkt, dass eine fehlt. Bin dann zum C&A, hab misch neu einjekleidet und hab mir sofort en Mann gesucht. Man wird ja och nich jünger, wa?“

      Dr. Bieder versuchte, das Alter der Frau zu schätzen. Sie hatte lange braune Haare, redete aber wie jemand, der an die vierzig kratzte. Na hier und da waren auch schon graue Strähnen sichtbar und ihre Haut war faltig und leicht rötlich. Könnte aber auch von ihrer Raucherei kommen. Gedankenverloren suchte er das Scharnier im Kopf von Frau Karkuffian, immerhin musste neben der Unterhaltung auch noch operiert werden.

      „Nu hab ick drei Kinder und sie sind mir det Liebste und Teuerste uff de janze Welt. Icke wüsste nüscht, was ich anfangen würde, wenn ens davon mal auf ein Scheusal wie dieses trifft“, sagte Nancy und schlug der potenziellen Kindermörderin mit der Zeitung auf den Kopf.

      „Ey“, protestierte Dr. Bieder. „Wir operieren.“

      „Aha. Na wär ja en echtet Dilemma, wenn die de Zehen in die Luft reckt, wa?“, fragte Nancy und schielte in Richtung Maschine mit dem Herzfrequenzmonitor.