Jens Lämmerzahl

Das mächtigste Wort der Welt


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Tochter nicht mehr da sind.

      Im Haus war es ungewöhnlich still. Sam war zwar in seinem Zimmer, doch mehr als das Knarren des Fußbodens, wenn er durch das Zimmer ging, war nicht zu hören. Sam spielte gewöhnlich jeden Tag Klavier. Er spielte so oft, dass es Paul auch ab und zu nervte. Doch seit drei Tagen schwiegen die Tasten.

      Paul sah zur Uhr und atmete tief durch. Er wischte sich die Tränen ab und ging die Treppe zu Sams Zimmer hoch. Einen Augenblick blieb er an der Tür stehen, dann klopfte er-keine Antwort. Vorsichtig öffnete Paul die Tür. Sam saß auf dem Fußboden, ans Bett gelehnt und drehte gelangweilt einen Kugelschreiber zwischen den Fingern.

      „Hast du Hunger, Sam?“ „Verschwinde.“ Sam schenkte Paul keinen einzigen Blick. Paul fühlte sich sehr unwohl. Er schloss die Tür wieder und ging nach unten.

      Auf seinem Schreibtisch stand eine angebrochene Flasche Cognac. Er nahm sie, starrte darauf und kippte sie schließlich in den Abguss.

      „Ich muss jetzt für meinen Sohn da sein“, dachte er dabei. Paul legte sich auf die Wohnzimmer-Couch und starrte nachdenklich in den Kamin. Das gleichmäßige Flackern der Flammen und das leise Knistern beruhigten ihn ein wenig. Irgendwann, nachdem er mehrmals aufgezuckt war, schlief er ein.

      Am nächsten Morgen: Sam weckte Paul. Dad…, Dad.“ Paul sprang auf und rieb sich die Nacht aus den Augen. „Ich wollte dich nur daran erinnern, dass du mich in einer Stunde zu meiner ersten Fahrstunde fahren wolltest.“ „Ja, natürlich. Du wirst pünktlich sein.“ Schlaftrunken schleppte sich Paul ins Badezimmer.

      Pauls dunkler SUV steckte im Morgenverkehr fest. Peinliches Schweigen. Paul wollte das Radio anmachen, doch Sam machte gleich wieder aus. Nach zwanzig Minuten hatten sie Sams Fahrschule erreicht. „Wenn ich in sechs Wochen die Prüfung bestehe, kann ich dann mal mit deinem Auto fahren?“ „Na klar.“ Ohne Abschied sprang Sam aus dem Auto. Paul musste tief durchatmen. Ihm war klar, dass das ein langer Weg werden würde.

      Kapitel 6

      Sechs Wochen später: Paul saß bei seiner Hütte am Wasser und warf gelangweilt Steine ins Wasser. Er sah müde und ungepflegt aus.

      Eine kräftige Brise wehte über die Wasseroberfläche. Das Rauschen des Windes in den Bäumen regte zum Nachdenken an. „Ring“, klingelte Pauls Handy.

      „Hallo Sam…, du bist fertig…? Bin gleich da“, und legte auf.

      Plötzlich wehte der Wind einen Zeitungsabriss, direkt vor Pauls Füße. Zu lesen war bloß „Gott teilt deinen Schmerz und schenkt Liebe im Krieg und im Frieden“. Paul fokussierte vier Wörter: Krieg, Frieden, Liebe und Gott. Plötzlich schoss ihm der alte Mann wieder in den Kopf. Er kramte die Karte des alten Mannes hervor und rief an.

      Es war 10.27 Uhr, als Pauls schwarzer SUV vor der Fahrschule hielt, wo Sam bereits wartete. Er sprang wortlos in den Wagen. „Hallo, mein Sohn, begrüßte er Sam. „Ich habe bestanden“, hielt Sam seinen Führerschein hoch.

      „Ist es in Ordnung, wenn wir noch einen kleinen Abstecher machen? Ich möchte jemanden besuchen und hätte dich gern dabei, fragte Paul. „Wenn es sein muss. Ist besser, als zu Hause die Wände anzustarren“, willigte Sam ein. „Ich wäre aber dafür, wenn du vorher mal duschst“, ergänzte Sam und runzelte die Nase. Paul lächelte etwas beschämt.

      „Möchtest du nach Hause fahren?“ „Ernsthaft?“ „Ich habe es dir versprochen.“ Sie tauschten die Plätze und fuhren los. Paul genoss das Lächeln in Sams Gesicht. Das hatte er seit langer Zeit vermisst. Eine Stunde später verließen sie das Haus Richtung Autobahn.

      Sie fuhren auf der Autobahn und es dämmerte bereits. Sam durfte auch mal fahren. Paul war überrascht, wie gut er bereits fahren konnte. „Einen kleinen Abstecher?“, fragte Sam zähneknirschend. Paul versuchte zu beruhigen.

      Wusste er doch, wie schwer die ersten drei Wochen nach der Beerdigung waren. Doch Paul hielt an Sam fest und gab nicht auf. Er wollte nicht auch noch ihn verlieren. Doch das Verhältnis war immer noch brüchig. Mit dem Besuch des alten Mannes hoffte Paul, etwas Abwechslung hinein zu bringen.

      „Laut Navi noch ungefähr eine Stunde“, antwortete Paul.

      Als sie die Autobahn verließen, zog ein Unwetter auf und es begann wie aus Eimern zu schütten. Paul blieb plötzlich am Seitenstreifen der Landstraße stehen. Der Regen prasselte auf das Auto. „Laut Navi sind wir da“, sagte Paul verdutzt und starrte auf das Navigationsgerät. „Hier ist doch nur Wald und sonst nichts“, sagte Sam und versuchte irgendein Orientierungslicht zu finden.

      Paul bemerkte plötzlich einen Wegweiser, wenige Meter vor sich. Er fuhr langsam näher heran, um es zu erkennen. „Nullius-Villa, 2 Kilometer“, las Sam vor. Ein Pfeil darunter deutete in einen Waldweg. Beide sahen den schlammigen Weg und blickten sich einen kurzen Moment fragend an. „Besser, als zu Hause die Wände anzustarren“, sagten beide gleichzeitig und mussten dabei lachen.

      Kapitel 7

      Mit Mühe wühlte sich der SUV zirka zehn Kilometer durch den schlammigen Boden, bis sie schließlich aus dem Wald herauskamen. Der Regen hatte vor zirka 5 Minuten aufgehört.

      Plötzlich passierten sie ein seltsames Licht, wie eine Wand, eine Barriere. Was sie dann sahen, verschlug ihnen fast den Atem. Eine riesige alte Villa, einem Schloss gleich, stand auf einer Lichtung, mitten in einer traumhaften Landschaft. Dunkles altes Gemäuer, das fast die Wolken berührte. Wilder Wein umschloss die halbe Ostseite der Villa, von wo auch die Wolken kamen, jedoch keineswegs ungepflegt.

      Durch die abwechselnd hellen und dunklen Wolken und den nassen Blättern des Weines, sah man ein beeindruckendes Farbenspiel.

      Eine zwei Meter hohe Steinmauer umschloss das ganze Gelände. Auf der Steinmauer ein nochmal ein Meter hoher Stahlzaun mit nach oben ragenden Speer-Spitzen.

      Paul fuhr ans geschlossene Tor heran und klingelte. Das Tor öffnete sich automatisch. Paul fuhr auf das weitläufige Gelände. Nun war das Fahren wieder angenehmer, da sie sich auf Kies bewegten. Paul fuhr ans Haus heran. Sie stiegen aus und sahen sich erstmal überwältigt um.

      Ein Butler öffnete ihnen die große Eisentür, die mit Beschlägen verziert war. „Guten Abend“, begrüßte sie höflich der Butler. „Ich bin Sinclair. Wenn sie mir bitte in die Bibliothek folgen würden. Der Hausherr wird sie in wenigen Minuten empfangen“.

      Staunend gingen sie durch die Eingangshalle nach links in eine beeindruckend große Bibliothek. Eine weitere Tür in der Eingangshalle führte zur Küche.

      Zwei große, halbrunde Steintreppen führten links und rechts der Halle in die oberen Räume. Die Treppenstufen waren akkurat gearbeitet und ein roter Läufer aus Samt sorgte für sicheren Tritt. Gegenüber der Bibliothek befand sich eine dritte Tür, die in das Arbeitszimmer führte. Etliche Kerzenhalter und verschiedene Gemälde zierten die Wände. Drei Stockwerke hoch und voller Bücher ragte die Bibliothek in der Paul und Sam nun standen. Sie waren sprachlos.

      „Zu meiner linken finden sie ein paar Erfrischungen. Bedienen sie sich“, sagte Sinclair und schloss die Tür. Beide sahen sich überwältigt um.

      Sam fiel sofort eine mindestens zweihundert Jahre alte Kanone auf, die mitten im Raum Stand. Paul begutachtete die vorzügliche Auswahl an alkoholischen Getränken. Schließlich machte er sich einen Brandy.

      Paul sah plötzlich ein separates Regal, in der alle seine Werke in Reihe und Glied aufgebahrt waren- „Was ist der Sinn des Lebens?“, „Warum weinen wir?“, „Wer ist Gott?“, „Welcher Gott ist Gott?“, „Wie entstand das Bewusstsein?“, „Wieviel Geld ist genug Geld?“, „Wieso können wir lieben?“, „Wer begann den ersten Krieg und warum?“, „Wann kommt der letzte Krieg?“, „Warum töten wir?“, „Warum ist das Universum so groß?“, „Warum sterben wir?“. Paul geht etwas verlegen näher heran.

      Unterdessen ist Sam in der zweiten Etage und bestaunt die Darstellung