Jens Lämmerzahl

Das mächtigste Wort der Welt


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an einer großzügig gedeckten Tafel, als Sam hereinkam.

      „Dad…, der Zoo ist der Wahnsinn. Da gibt es Tiere, die ich noch nie gesehen habe. Ein Greif und ein Knuff, oder…“ „Stopp…, ein Greif und ein was?“ „Ein Knuff.“ „Was zum Geier ist ein Knuff?“ Der alte Mann begann zu lachen.

      Sam setzte sich und fiel halbverhungert über die Tafel her. Der alte Mann amüsierte sich köstlich. Paul hingegen bekam nur wenige Bissen herunter. Regen peitschte an die Fenster. Es blitzte und donnerte.

      „Was haltet ihr beiden davon, die Nacht hierzubleiben?“, warf der alte Mann in die Runde. „Oh, Dad, bitte.“ Paul schaute zum Fenster und nickte zustimmend. „Sam, ich habe für dich ein Zimmer mit Klavier herrichten lassen“. „Woher wussten sie…?“, fragte Paul verdutzt. „Schon gut. Ich habe so eine Ahnung.“ „Gibt es hier einen Fernseher?“, fragte Sam neugierig. „Auf deinem Zimmer findest du alles, was du brauchst“, warf Sinclair ein, der irgendwie verloren neben dem alten Mann stand. „Danke, Sinclair…, hatte gerade den Mund voll. Das Rebhuhn ist aber auch wieder köstlich“, schmatzte der alte Mann genüsslich.

      Alle waren fertig mit dem essen und wirkten zufrieden. „Sinclair, würden sie bitte Sam sein Zimmer zeigen.“ Sam sprang auf und folgte Sinclair.

      Der alte Mann sah Paul fragend an. Paul schaute nachdenklich auf den Tisch dann schüchtern zum alten Mann, schnell wieder auf den Tisch und wieder zum alten Mann. Der alte Mann grinste schelmisch.

      „Was passiert, wenn ich mich dagegen entscheide?“, brannte Paul auf der Seele. „Ich habe ja nun Kenntnis, dass es da ein seltsames Wort gibt, dass, keine Ahnung, was alles kann. Wäre ich dann nicht eine Gefahr?“ Der alte Mann atmete tief durch. „Würden sie mich bitte begleiten, Paul? Ich möchte ihnen etwas zeigen“, erhob sich der alte Mann. Beide gingen aus dem Speisesaal. Plötzlich blieb der alte Mann im großen Vorsaal stehen, schloss die Augen und lauschte genussvoll den Klängen des Klaviers, was in den großen Sälen besonders gut hallte. „Ihr Sohn hat ein besonderes Talent. Das könnte noch von Nutzen sein“, sprach der alte Mann mit einem verschmitzten Lächeln. Dann gingen sie Richtung Kellertreppe.

      Währenddessen in Sams Zimmer. Sam schlug noch zwei Tasten an und klappte den Deckel des etwas in die Jahre gekommenen Flügels herunter. Er sah sich im Zimmer um. Stylische und moderne Einrichtung. Großer Flachbildschirm an der Wand. Jede Menge DVDs aus verschiedenen Genres. Soundanlage und eine geheimnisvolle Kiste in der Ecke, etwa die Größe eines Reisekoffers. Sam machte den Fernseher an. Eine Dokumentation über Brückensprengungen lief gerade, untermalt mit Klavierklängen.

      Sam schaute einen Moment gebannt zu. Doch sein Blick wanderte immer wieder in Richtung der Kiste. Sam ging zu ihr und öffnete sie. Da lagen nur zwei kleine Kästchen darin, ein schwarzes und ein weißes, nicht größer als ein normales Smartphone. Er nahm vorsichtig das weiße Kästchen heraus und begutachtete es. An der Seite befand sich ein kleiner Druckknopf in Form eines Notenschlüssels.

      Plötzlich begann der Knopf wie ein Smaragd zu leuchten. Sam war wie hypnotisiert und drückte drauf. Plötzlich faltete sich das Kästchen blitzschnell auf. Sam ließ es erschrocken fallen. Einen Augenblick später stand ein glänzend-weißes Klavier vor ihm. Sam war einen kurzen Moment platt.

      „Haben die mir irgendwas ins Essen getan?“ Sam berührte vorsichtig das Klavier mit dem Finger, nichts passierte. Er klappte vorsichtig den Deckel der Tasten hoch. In dem Moment kam ein Hocker darunter hervor, welcher ihm fast in die Beine fuhr. Er setzte sich und fing an zu spielen.

      Es hallte durch das ganze Haus, ja sogar bis in den Wald. Der Klang hatte etwas Magisches. Die beiden Pauls gingen gerade eine lange steinerne Wendeltreppe herunter als dem alten Mann eine Spinne in ihrem Netz auffiel, oberhalb seines Kopfes. Sie wankte im Rhythmus des Klavierspiels.

      Plötzlich hörte die Musik auf und die Spinne fiel wieder über eine Fliege her, die sich im Netz verfangen hatte. Der alte Mann lächelte und ging dann weiter die Treppe runter. „Alles in Ordnung?“, fragte Paul. „Ja, ja“, antwortete der alte Mann. „Musste nur mal durchschnaufen.“ Am unteren Ende der Wendeltreppe angekommen, zwängten sie sich durch einen dunklen, schmalen Gang.

      Ein paar kleine Wandlichter erlaubten es den beiden wenigstens etwas zu sehen. Paul musste den Kopf einziehen, um sich an der halbrunden Deckenkonstruktion nicht zu stoßen. Er war mindestens eineinhalb Köpfe größer als der alte Mann. Der alte Mann ging mit geschlossenen Augen vorneweg und murmelte leise. „Siebzehn, achtzehn, neunzehn und zwanzig Schritte.“ Er blieb stehen und öffnete die Augen. Freudig lachend starrte er nun auf eine Wand aus Naturstein.

      Paul wunderte sich. „Keine Tür weit und breit. Und an der Wand endete der Gang.“

      Wieder murmelte der alte Mann. Es zischte und hallte. Paul tat es in den Ohren weh in der Enge des Ganges. Plötzlich wuchs der enge Gang zu einem großen, gut begehbaren Raum. Es sah aus, als ob die Wände des Ganges dabei verbrennen würden.

      Paul duckte sich und hielt schützend die Arme über den Kopf. Nun standen sie in einem hell erleuchteten Raum. Türkis-blaue Marmorwände. Schwarz-weißer Granitfußboden. Und bei der Decke hatte man das Gefühl, sie sei offen, da man dort Wolken vorbeiziehen sah.

      „Was ist das hier?“, fragte Paul schlicht überwältigt. „Nennen wir es mal einen Übungsraum“, sagte der alte Mann und ging zu etwas in der Mitte des Raumes, was wie eine große, runde Waschschüssel aus weißem Marmor aussah. „Paul, legen sie bitte ihre beiden Handflächen auf die Wasseroberfläche.“ Zögerlich trat Paul heran und tat es. Der alte Mann tat auf der gegenüberliegenden Seite das Gleiche. Er schaute Paul mit ernstem Blick an. „Sie werden jetzt einen kleinen Eindruck davon bekommen, was das Wort kann. Sie werden sehen, was ich sehe und fühlen was ich fühle…, bereit?“ „Was muss ich tun?“, fragte Paul ängstlich.“ Einfach bloß stehenbleiben, bereit?“ Paul nickte etwas unsicher. „Dann schließen sie nun die Augen.“

      Beide schlossen die Augen. „Haaah“, schrie Paul plötzlich auf. „Was denn? Ich hatte doch noch gar nichts gemacht“, wunderte sich der alte Mann. „Ah, ok“ Paul war das etwas peinlich. Er atmete nochmal durch. „Gut, bin bereit“ Beide schlossen wieder die Augen.

      Währenddessen in Sams Zimmer: Sam begutachtete das Klavier. Er fand schließlich wieder den kleinen Notenschlüssel-Knopf am rechten, vorderen Standbein und drückte drauf. Blitzartig faltete sich das Klavier wieder zusammen. „Wie cool ist das denn?“, staunte er und legte es zurück in die Kiste. Sam wollte nach dem schwarzen Kästchen greifen. Er zögerte jedoch.

      „Dich schau ich mir später an“, und schloss die Truhe. „Ich will mir erstmal dieses Haus anschauen.“ Sam schaute vom Geländer auf den großen Vorsaal. Eine gespenstige Atmosphäre war zu spüren in den großen verlassenen Räumen. Plötzlich wanderte Sinclair unten umher, ging von einem Raum zum nächsten. Sam duckte sich und verfolgte seinen Weg. Als Sinclair aus dem Sichtfeld verschwand, fiel Sam die Wendeltreppe zum Keller ins Auge.

      Auf leisen Sohlen begab er sich dorthin, vergewisserte sich immer wieder, dass er nicht gesehen wird. An der Wendeltreppe angekommen, blickte er hinab in eine gespenstige Dunkelheit. Doch ab und zu wird die Dunkelheit durch ein aufblitzendes Leuchten unterbrochen. Neugierig stieg Sam hinunter.

      Sinclair blinzelte um die Ecke. Er hatte Sam bemerkt. Sam befand sich unten in dem engen Gang. Am Ende des Ganges sah er den Raum, der durch das Blitzen gut zu sehen war. Sam schlich sich heran und lunzte um die Ecke. „Was zum Geier ist das denn?“, verschlug es ihm den Atem. Er sah seinen Vater und den alten Mann. Zwischen den beiden drehte sich ein Lichtstrudel, der bis zur Decke reichte. Der alte Mann blinzelte mit einem Auge in Richtung Sam.

      Plötzlich wurde Paul mit einem lauten Aufschrei zurück an die Wand geschleudert und landete auf dem Hintern. Sam und der alte Mann eilten zu ihm. Paul atmete schwer und hastig. Er war völlig fertig. „Was…, was zur Hölle war das denn?“, rang Paul nach Luft. Langsam beruhigte sich Paul wieder. „Das war Zodoriantes.“ „Zodo…, wer?“ „Er ist der Grund, warum das Wort einen Hüter braucht“, erklärte der alte Mann. „Was ich da gesehen habe, war so unfassbar bösartig“, sagte Paul und übergab sich.