Stefan G. Rohr

Herr und Untertan


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es schnell vorbei mit der Freude, und es wäre den Erklärungen ganz ebenso kein Ende zu setzen.

      „Liebste Ottilie!“, antwortete der Bruder ihr. „Wie freue ich mich doch über Deine Teilhabe und ich danke Dir von Herzen, dass Du es derart für mich richten willst. Und ich lasse Dir gern die freie Hand, es in der Villa fein zu machen, ganz wie Du es empfehlen magst.“ Er machte eine kleine Pause, denn nun sollte es auf jedes einzelne Wort ankommen und es musste demnach wohl überlegt sein, was er zu ergänzen vorhatte: „Dir wird es nicht entgangen sein, dass meine Wenigkeit gewisslich der Jugend nicht mehr zuzuordnen ist. Und mögen wir mit dem Entscheid die üblich Sitten teils auch brechen, so ist es doch ein bess´rer Plan, in bescheidener Zeremonie die Kopulation zu begehen, deshalb im elterlichen Hause der Braut, ganz nur im kleinsten Kreise. Es ist zudem nicht nur der meine Wunsch, aus vorgenanntem Grunde, es ist auch ganz im Sinne von Viktoria, die für sich – und es wird Dir ganz angenehm zu bemerken sein – mit großer Bescheidenheit mir schmeichelt, sie deshalb dringlichst bat, es nicht zu einem opulenten Feste werden zu lassen, die Ehe doch ganz heilig ist, und wir den Bund am besten nur vor uns´rem Gott zu schließen haben.“

      Ottilie hörte die Worte ihres Bruders mit gewisser Traurigkeit. Doch nach kurzem Bedenken lächelte sie und nickte langsam mit ihrem Kopf: „Nun ja, es ist nicht ohne Sinn, der Entscheid von Dir und ihr. Und es erhält durchaus meine Achtung, dass ein junges Ding schon von solch´ Vernunft und Weitsicht ist. Fürwahr ist es nicht von der Hand zu weisen, dass ein Traufest nach guter Sitte im speziellen Falle dann zur Hanswurstiade gerät. Und nur um Muhmen, Oheims und Cousinen Kurzweil zu bieten, den Kreis nach gesellschaftlichem Proporz zu erweitern, ist kaum der Mühe wert, zumal es Euch dann auch noch ganz anders wär´. Die Freude sollt´ Ihr sicher anders haben. Und so ist dann Euer Wunsch das Maß der Dinge.“

      Dann sei es so, wie es eben sei, dachte Ottilie noch eine gewisse Zeit, obwohl es ihr im Herzen doch ein wenig schwer ward, denn eine Vermählung ist nun einmal eine Vermählung, und ein Traufest wunderbare Kurzweil, mit schönen Erinnerungen behaftet, was die beiden aber scheinbar für sich nicht wollten. Aber einen lieben Brief sollte sie ihr doch wohl ihrer künft´gen Schwägerin auch ohne Zutun ihres Bruders verfassen. Und sie dürfte dann gewiss ihre glückleuchtende Freude bekunden, auch zu bestätigen die gute Wahl. Ein Gruß von der lieben Schwägerin, ein Vorgeschmack auf harmonische Familienbande, die junge Braut sich doch trefflich darüber freuen möge.

      Und so verging der Sommer. In der schönen Heide, im geschäftigen Hamburg, im Jagdhaus der Familie Kohlhaase, in der Villa der Krottenkamps. Gewiss waren die Befindlichkeiten nicht die gleichen. Sie waren ganz außerordentlich so verschieden, wie es kaum unterschiedlicher sein konnte. Die Leichtigkeit des Fräulein Viktoria war seither verflogen. Nichts mehr war von dem einstig so holdseligen Buttervogel noch zu bemerken. Sie wollte an rein gar nichts mehr Freude entwickeln, und meist saß das zarte Wesen grübelnd in seinem Zimmer, und es musste so manches Mal ein Machtwort des Vaters gesprochen sein, damit es aus seinem verbollwerkten Gefilde hinunter in den Salon kam, um den Eltern beizusitzen oder an der Tafel mit diesen zu speisen. Beharrlich vermied Viktoria es, von sich aus das Wort an Vater oder Mutter zu richten, und sie sprach nur mit ihren Altvorderen, wenn sie angesprochen ward. Dann jedoch pflegte sie nur kurz und knapp zu antworten, stets der Höflichkeit gerecht bleibend, doch monoton im Stimmenklang. Verließ sie dann doch noch hier oder dort das Haus, war derlei stets nur von kurzer Dauer, um in der Stallung nach den Pferden zu sehen, sie zu pflegen und im Gatter die Longe zu führen, damit sie ein wenig Bewegung haben sollten, oder für einen kleinen Spaziergang durch das Wäldchen vor dem Haus am Rande der einsamen Heide.

      Nur ein einziges Mal in dieser Zeit vergaß sie all die Beschwernis, für einen kurzen Augenblick innert altgewohnter Herrlichkeit. Da sah sie wieder den Bussard schweben, wie er seine Kreise zog, immer höher und weiter. Mit breiten Schwingen hielt er sich in der Luft, und als er wieder tiefer sank, sich womöglich seiner Beute annähern wollte, das konnte Viktoria sehen, wie seine Flügel sich in der Luft bewegten, sein Schweif die Richtung korrigierte und der Vogel mit fast schon zarten Bewegungen seinen Flug ganz meisterlich zu beherrschen vermochte. Was nutzte dem Menschen sein Verstand und seine vermeintliche Überlegenheit, wenn er doch auf ewig verdammt sei, am Boden zu bleiben, als würde der Erdball ihn zur Gefangenschaft genommen haben, ihn nicht mehr loszulassen gedachte, konnte er sich auch noch so anstrengen, in die Luft springen und dabei mit den Armen kreisen.

      Doch die Vögel, ganz und gar unabhängig ihrer Größe und Farbe, ob sie Körner, Früchte oder Mäuse fraßen, ja selbst die fetten Enten und Gänse, sie konnten sich im Nu in den Himmel katapultieren, pfeifend und singend, rufend oder warnend und jede Richtung auf dem Kompass nach ihrem freien Wille einschlagen, davonfliegen, mit den Wolken tanzen, an jedem Ort der ihnen beliebte. Und wieder staunte sie über die beneidenswerten Fähigkeiten und spürte erneut die Wehmut, vom lieben Gott nicht auch mit gefiederten Schwingen, mit libellenartigen Flügeln oder mit kräftigen Muskeln auf den Oberschenkeln auf die Welt geraten zu sein, damit sie wenigstens gleich den Fröschen und Kröten zu einem hohen Sprung ansetzen konnte, der sie für einen kurzen Augenblick den Flug des Vogels nacheifern ließ. Was war es nur, dass die Vögel in der Luft hielt? Es musste etwas geben, unsichtbar für den Menschen. Aber es musste doch etwas da sein …?

      Doch auch dieser Moment war kurz darauf verflogen, und sie kehrte zurück zum Elternhaus. Es wurde Herbst, über die Heide zogen nun wieder Nebelschwaden, die Bäume färbten sich rot, gelb und braun, und dann waren sie auch schon kahl, und so würde der Winter nun bald kommen.

      In Hamburg hatte Ottilie alle Hände voll zu tun. Johann hatte ihr Carte Blanche erteilt und stürzte sich in den anstehenden Monaten mit besonderer Hinwendung in seine Arbeit, zudem – und das entging wie immer den Augen anderer – frönte er des Nachts besonders ausgelassen seinen Zechrunden in der Burschenschaft und seinen Milieustudien im Hamburger Künstlerquartier. Immer öfter opferte er die Nacht für seine Exkursionen und fand sich sogar hier und dort am Mittag auf irgendeinem alten Chaiselongue in einem schmutzigen Atelier eines armen und untalentierten jungen Malers.

      So fühlte er sich gerade in diesen Monaten bis zur Eheschließung auf ganz besondere Weise zu dem losen, lotterhaften Leben hingezogen. Ganz eigentümlich, und es gelang ihm nicht, sich dem zu entziehen. Nicht einmal ein Erlebnis, welches er ganz widerlich empfand, konnte ihn zur Abkehr bewegen. An einem Abend, es war schon späte Nacht, traten vier Huren durch die Tür der Kellerkaschemme. Und als sie Krottenkamp erspähten, grinsten sie frech und setzten sich krakeelend an den Nebentisch. Sie hofften vielleicht auf einen spendablen Mann aus bester Gesellschaft, der es sich ein Späßchen machte und im Verruchten einmal badete, bevor er sich dann, gut ausgestattet mit schmutzigen Erfahrungen, zurück zu seinem braven Weibe kutschieren ließ. Und sie kannten diese Herren nur zu gut. Die Advokaten, Konsuln, Großkontoristen, Professoren und Kommerzienräte. Selbst die Pfaffen würden es des Öfteren zelebrieren, vielleicht ja weil sie denken, es sei ein Fegefeuer auf Probe und sie könnten derlei studieren, um hiernach besser von der Kanzel zu predigen.

      Die vier Huren jedenfalls waren voller Ehrgeiz, dem reichen Zausel das Schwitzen beizubringen. Und sie knüpften sich die Dekolletés auf und hielten Krottenkamp ihre Brüste vor die Nase. Eine nach der anderen. Und als er ihrethalben noch nicht genug zu schwitzen schien, setzte sich die dickste unter ihnen direkt auf seinen Schoß und stülpte ihren Busen über sein Gesicht, bis er kaum noch Luft bekam. Es ertönte ein spitzes Gelächter und in der Kaschemme hob sich mit lautem Beifall die Stimmung. Nun kam eine Zweite hinzu. Sie zeigte ihm ihre dicken und rot bemalten Lippen wie zum Kusse, immer wieder, dann griff sie ihm zwischen die Beine und begann an ihm zu kneten. Johann Krottenkamp war außerstande, sich aus der Belagerung zu befreien. Das Gewicht der barbusigen Aufsitzerin machte ihn schier bewegungslos, und die Kneterin wollte einfach nicht mehr von ihm ablassen. Er hörte eine der zuschauenden Huren rufen, dass ihm das nun sicher doch gefallen sollte, er sie deshalb gewiss nicht um ihren verdienten Hurenlohn bringen würd´. Und schon ertönte wieder lautes Gelächter und die Stimmung stieg nochmals höher.

      Irgendwie schaffte er es dann doch, das dicke Pferd abzuschütteln und schob zudem angewidert die Hurenhand aus seinem Schritt. Da sprang die Verschmähte auf, zeigte mit dem Finger auf ihn und krächzte spitz, dass er ganz offensichtlich wohl kein Mann mehr sei. Denn jedem anderen wäre doch die Hose eng geworden. Sie