Stefan G. Rohr

Herr und Untertan


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Doch bevor sie den Raum verließ, hielt sie noch einmal inne und verharrte kurz ein wenig in sich gekehrt. Etwas wollte sie noch fragen, aber sie drehte sich hierzu noch nicht einmal mehr um: „Warum ich“, begann sie leise und mit zerbrochener Stimme, „sagen Sie mir, warum ich?“ Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Und warum diese Eile?“

      Sie wartete nicht wirklich auf eine Antwort, auch wenn sie sich eine solche noch so sehr erhofft hatte. Und so ließ sie nur einige stumme Sekunden verstreichen, dann öffnete sie die Türe und war sogleich in Richtung ihres Zimmers verschwunden.

      Krottenkamp überlegte kurz, was nun zu tun sei. Er drehte sich kurz zu der still im Zimmer sitzenden Käthe um. Diese hatte ihr Büchlein auf den Schoß gesenkt und schaute dem Manne mit einem Lächeln ins Gesicht, das durchaus auch zur Wertung geeignet war, dass das alte Fräulein rein gar nichts von alledem mitbekommen hatte. So verließ nun auch Krottenkamp die Bibliothek und schickte sich an, dem Vater der Braut das Ergebnis der Unterredung zu eröffnen, denn es war natürlich fester Plan, der Soireegesellschaft die freudige Nachricht zu verkünden, dass es soeben zur Verlobung des Dr. Johann Krottenkamp mit der Kaufmannstochter Viktoria Kohlhaase gekommen sei, das junge Fräulein den Antrag des honorigen Arztes aus Hamburg mit Freude und überglücklich angenommen hatte.

      Indes saß Käthe weiter auf ihrem Sessel. Sie lächelte immer noch, doch ganz im Gegenteil zur Annahme, sie würde dieses aus Unverständnis, gar in fortgeschrittener Senilität so tun, war es vielmehr doch die Freude, auch ein wenig Stolz, über das tapf´re Kämpferherzchen ihre doch noch so jungen und unbeugsamen Cousine, an der sich der Zausel womöglich die Zähne ausbeißen wird.

      Doch es mischte sich auch Dunkles in ihre Gedanken. War es doch ein recht ungleicher Kampf der Geschlechter, in dem sich alle Rechte nur auf der einen Seite befanden. Und wo kein Wille war, da war der Zwang. So war´s und so wird´s ewig bleiben.

      Kapitel 4

      Johann Krottenkamp stammte aus einer alt eingesessenen Arztfamilie in Hamburg. Sein Vater, Otto Krottenkamp, war nunmehr im betagten Alter von fast Mitte Achtzig und leitete noch bis vor einigen Jahren ein großes Klinikum als medizinischer Direktor und mit einem dauerhaften Ruf als Professor an der Hamburger Universität. Seine Frau und Mutter von Johann verstarb vor nunmehr fünfzehn Jahren tragisch auf einer Reise nach Kopenhagen. Sie stürzte dem Vernehmen nach bei der Überfahrt auf dem Segler über Bord und ward nie mehr gefunden. Johann Krottenkamp war das ältere der beiden Kinder, ganze fünfzehn Jahre jünger war seine Schwester, die zur Ehre des Vaters Ottilie getauft wurde. Sie stand in guter Ehe mit Wilhelm Nissle, welcher es mit der Herausgabe von Blättern, Gazetten und gebundenen Schriftwerken zur rechten Anerkennung und anschaulichem Vermögen gebracht hatte.

      Die Krottenkamps lebten in feinem Wohlstand, denn Profession und Tätigkeiten an Lehranstalten sorgten für guten Zuwachs des Familienvermögens. Dieses hatten bereits Großvater und Urgroßvater begründet, die schon selbst als anerkannte Mediziner wirken. Alles ward zudem wohl flankiert durch stattlichen Landbesitz, verpachtete Ackerflächen und einem ergiebigen Forst aus Zugehörigkeiten zur rechtlichen Erbfolge, und der alte Krottenkamp zahlte seinen beiden Kindern, ganz aus eigenen Stücken nach Zufluss der neuen Besitzungen, jährlich eine angenehme Summe an den Erwirtschaftungen aus, damit es allen wohl ergehen sollte.

      Dass der älteste Sohn beruflich etwas anderes als Mediziner wählen sollte, war zu keiner Zeit auch nur einer einzigen Überlegung wert. So studierte Johann dann auch das gewünschte Fach und erwies sich nicht nur als fleißiger Student, zudem auch als ein durchaus Befähigter für die Heilkünste. Seine besondere wissenschaftliche Aufmerksamkeit prägte sich aus, als er nach Würzburg zum Studieren reiste und er sich an der dortigen, über die Landesgrenzen hinaus hochanerkannten Universität zur Frauenheilkunde und der Entbindungsmedizin verschrieb. Zurückgekehrt nach Hamburg wurde er über die Jahre zu einem angesehenen Spezialarzt mit weitreichender Expertise, welche ihn von immer dann zu Rate ziehen lassen sollte, wenn anderen Kollegen das Latein ausging. Nicht selten geriet er deshalb in hohe Häuser, zu Fürsten, Staatsmännern und Bankiers, Reedern, Großkontoristen und Fabrikanten.

      Krottenkamp galt seit jeher als eher still und verschlossen. Erst über die Jahre als Arzt gewann er eine gewisse Offenheit und die Fähigkeit, sich in der Gesellschaft zu bewegen. Er erlernte auch eine gewisse Galanterie, die dann doch aber bei näherer Betrachtung hölzern, mitunter tölpelhaft wirken sollte. Und da die Natur es mit seinem Äußeren nicht allzu gut gemeint hatte, er schon immer dicklich und fleischig daherkam, mit einem wulstigen Hals, über dem ihm ein breiter Kopf gewachsen war, schien es für niemanden wirklich verwunderlich, dass es ihm nicht gelingen sollte, ein ledig Fräulein für sich gewinnen zu können. Als junger Mann lag all sein Streben der Komplettierung seiner Wissenschaften. Sodann bestand sein vornehmliches Interesse in der Anwendung des Gelernten. Den Mangel an weiblicher Zuwendung geriet ihm nicht zur Entbehrung, und Koketterie war ihm so fremd wie das Reiten auf einem Kamel.

      Seine allseits ein wenig belächelte Schüchternheit war allerdings dann fast wie weggeblasen, wenn er im Kreise seiner Burschenschaft dem Bechern in Kameradschaft, mit Biermensur und so manchem Säbelhieb frönte. So trug er mit Stolz seine beiden Schmisse, den größeren auf seiner Stirn, den anderen auf seiner rechten Wange. Und wenn sie ihre Lieder sangen, wenn sie der Vergangenheit huldigten, vom Zug auf die Wartburg, vom Hambacher Fest oder dem Frankfurter Wachensturm schwärmten, dann glänzten seine Augen, ja sie leuchteten sogar und an langen Tischen, sitzend auf kargen Bänken, knallten sie ihre Seidel auf das Holz, hakten sich ein, schunkelten mit Wohlbefinden und lobten den Mut der Füchse nach ihren ersten erhaltenen schweren Hieben.

      Ach wie schön waren sie doch anzuseh´n, wie herrlich die Gemeinschaft, wie klar doch die Struktur, ganz ohne Weibsvolk und Maiden. Wie herrlich auch die Männerfreundschaft, die Umarmungen und das Schulterklopfen nach der Mensur. Und wenn es feuchter wurde, und die Sinne der Burschen gerieten dann doch ins Schwärmen für Röcke und zartrosa Haut, wenn sie krakeelten, grölten und sich in Formation aufmachten, um die Freudenhäuser zu inspizieren, dann zog Johann sich zurück, meist ganz ohne Aufsehen, denn derlei Kurzweil und Pläsanterie oblag doch den Kameraden und nicht ihm. Mitnichten weil er schokant war, es interessierte ihn ganz einfach nicht.

      Und da war dann noch das Gegensätzliche, denn wie anders sollte man es bezeichnen, wenn ein Mann, der so häufig in herber Gemeinschaft und groben Manieren erst dem kruden Zechen frönt, dann doch schon am nächsten Tag den schönen Künsten verschrieben zu sein scheint. Malerei und Modellierung, so manches Mal auch Poesie und Prosa, zogen ihn fast magisch an. Er selbst war bar solch musischer Talente. Aber vielleicht war es ja gerade diesem Umstand geschuldet, dass derlei Künste ihn so faszinierten. So war es ihm ein großes Vergnügen, sich in die Künstlerquartiere kutschieren zu lassen, um dort herumzuspazieren und die Kaschemmen zu besuchen, in denen sich Maler und Poeten, Bildhauer und Tänzer, Schauspieler und allerlei verrückte Sonderlinge trafen. Freudig zeigten sie ihm bei bekundetem Interesse ihre Ateliers, und er erklomm steile Stiegen hinauf bis unters Dach, sah des Künstlers unvollendetes Werk auf dessen Staffelei oder widmete sich dessen Fundus, kaufte mitunter ein Bild oder gab etwas Spezielles in Auftrag, wobei er dann stets zur Bedingung machte, das Kunstwerk in der Entstehung miterleben zu können.

      So traf er viele illustre Leute und so manche Nacht blieb er schlaflos, da es den neu gewonnenen Freunden mit dem nachfolgenden Tagwerk nicht drängte und Feste zu feiern sein sollten, wie sie fielen. Und so lagen beim Morgengrauen nicht selten links der junge Maler oder rechts der schmächtige Lyriker in der Gewölbekaschemme des Quartiers in seinen Armen, und so manches Mal schliefen sie in dieser Pose ihren Rausch aus.

      Dr. Johann Krottenkamp hatte nach seiner Rückkehr nach Hamburg früh eine Praxis etabliert, in der er seine Sprechstunden nach Vereinbarung abhielt. Er pendelte zwischen dieser, den Privathäusern und den Hospitälern, denn seine Patienten wären naturgemäß zur Niederkunft an diesen Orten oder lagen mit Komplikationen zur Ruhe. Oft verbrachte er die Nacht auf einem Chaiselongue im Nebenzimmer seines Doktorzimmers, las in seiner Fachliteratur oder sinnierte um komplizierte Behandlungsfälle. Er zog nicht selten den Verbleib an diesem Ort der Fahrt in die väterliche Villa, in der er einen separaten Flügel bewohnte,