waren dabei die naheliegenden Optionen. Sie erwog aber tatsächlich auch den Sturz vom Pferde mit anschließender Bewusstlosigkeit und notwendig werdenden Ruhe über mehrere Tage. Sie überdachte auch die Wahrscheinlichkeit sich böse zu erkälten, sofern sie dann des nachts lang genug am offenen Fenster stünde, sich den kalten Wind auf Kopf und Brust wehen zu lassen, damit sie das Fieber niederstreckte. Doch war es derzeit noch ein warmer Sommer, der im Kalender stand. Und die Nächte waren mitnichten kalt, so dass sie dieses Vorhaben ad acta legte.
Und Fieber war auch anders zu erhalten. So fiel ihr ein, dass der Verzehr von Seife recht schnell und eindrücklich zu höheren Temperaturen im Körper führen sollte, und so nahm sie auch einen solchen Akt in ihr inneres Programmheftchen auf. Sie kannte zudem reichlich Heidesträucher mit Beeren, deren Genuss zur Übelkeit beim Konsumenten führten, und es war ihr dabei ganz unwichtig, ob sie durch derlei Geschehen sich selbst ganz böse Pein verursachte. Was war denn diese im Vergleich zu all den Schrecklichkeiten, die ihr die Zukunft bereitzuhalten gedachte?
Und alles aber stand unter einem festen Vorsatz: Dem Freier, dem siegesversichertem Gockel, nicht den kleinsten Ansatz liefern zu wollen, dass dieser sich der Illusion einer bevorstehenden Harmonie und Zuneigung hingeben mochte. Als Gegenstand des Geschäftsvertrages zwischen diesem und dem Vater war sie doch förmlich einem Getreidesack gleichgesetzt. Und so sollte es den künft´gen Gatten dann nicht wundern, wenn es eben einen solchen dann zu lieben galt. Nicht mehr, nicht weniger. Und wenn der liebe Gott es milde mit ihr halten sollt´, dann wird der Kindersegen ausbleiben. Und dafür würde ihr in Zukunft dann so mancher Taler für den Klingelbeutel recht sein.
Ganz nebenbei, es geriet ihr zumindest anfänglich nur ganz oberflächlich zur Überlegung, hatte sie darüber zu sinnieren begonnen, worin der Grund wohl bestand, dass es Krottenkamp mit Verlobung und Vermählung so eilig hatte. Waren doch ihre seltenen und wenigen Begegnungen bisher nicht nur von kürzester Dauer, es mangelte diesen vor allem an Substanz und Liebelei. Kaum waren mehr als die üblichen Höflichkeitsworte gewechselt, nie Blicke ausgetauscht, kein Lächeln geschenkt, welches selbst minimalste Hoffnung auf Glückseligkeit aufkeimen ließ. Sie musste sich zwar eingestehen, dass es durchaus einer Einseitigkeit unterlegen sein konnte, sich der ältere Herr Medizinalrat in der Irrigkeit seiner Wirkung in sie verguckt haben mochte, doch so sehr sie sich auch anstrengte, ihr fiel partout nicht ein, bei welch einer der Gelegenheiten sie seinen Vulkan hätte entfachen können. Sie selbst hatte den dicken Herrn mit dessen fetten Fingern nur kurz einmal betrachtet, dies um sich sogleich abzuwenden und zu beschließen, diesen Arzt auch dann nicht zu konsultieren, wenn ihr das Leben davon abhänge. Hiernach vermied sie es erfolgreich, ihm in die Augen zu blicken oder gar in seiner Nähe zu stehen. Das war dann auch der eigentliche Grund, denn das offenkundig fortgeschrittene Alter, die glänzende Glatze und der Umstand, dass sie ihm doch einen ganzen Kopf überwachsen war, nahm sie schon deshalb gar nicht wahr, weil sich bei ihr zu keiner Zeit auch nur der Hauch eines Gedankens entwickelt hatte, in diesem Herrn mehr zu sehen, als einen der Familie flüchtig bekannten Mediziner, der darüber hinaus nichts weiter war, als ein fettleibiger Widerling.
Auch täuschte sie sich selbst mitnichten über die Tatsache hinweg, dass es ihr für eine Ausstellung als zu freiende Jungfrau an vielerlei Notwendigen fehlte, zumindest, wenn der Maßstab allein an weiblichen Insignien ausgerichtet war. Schließlich schaute sie tagtäglich selbst in den Spiegel, sah ihre blasse Haut, die Augenringe, die Dürre ihrer Statue. Und wüsste sie es selbst nicht am besten, so hätte auch sie sich die Schwindsucht attestiert, ganz so, wie es ihr häufig nachgesagt wurde. Nach dem Ausritt, ja, nach frischer Luft und vergnüglichen Stunden in der Natur, nach dem Schauen in die Wolken, nach stundenlanger Beobachtungen des Fluges von Bussard und Falke, da zeichneten sich farblich Vitalität und Frische auf ihrem Gesicht ab, und ihre Schönheit kam für diese Momente unübersehbar und fast auf magische Weise zum Vorschein. Doch da es ihr nicht zu eigen war, laufend prüfend ihr Spiegelbild zu betrachten, mangelte es ihr an jedweder Eitelkeit und Überzeugung. Sie verstand sich als ein hässlich Entlein, zu dürr um noch ein Schwan zu werden, zu dünn die Haut um Begehrlichkeiten zu entfachen, und auch die häufigen Bekundungen ihrer Frau Mutter um das vermeintliche Gegenteil und dem Verweis auf noch fehlende Reife sowie die Zuversicht, dass sich jedes Manko in naher Zukunft von allein in wahre Schönheit wandelt, wog sich im gleichen Teil mit den nicht selten gehässig klingenden Wertungsnoten ihres Herrn Vaters auf.
Schon am Kindsbett hatte dieser seinen Unmut nicht für sich behalten, dass ihm statt eines Sohnes nur ein Mädchen geboren war. Und dieses, mickrig und mit wenig Gewicht, auch noch das einzige in der Reihe seiner Nachkommen bleiben sollte, da es der Mutter fortan versagt wäre, nach der Schwere der Geburt ein weiteres Mal eine Leibesfrucht entwickeln zu können. So schien Gott ihm also keinen Stammhalter gönnen zu wollen, und er musste sich mit einem Mädel abfinden, was ihm all diese Zeit nie recht gelang. Und da ihm sein Selbstmitleid allzu häufig näher lag, als Einsicht und Gerechtigkeit, zürnte er so manche Stunde um das Ausbleiben eines Sohnes, den er gewiss zur rechten Reife geführt haben würde.
Was sollte er sich auch einem Töchterchen hingeben? Ein Kontor würde dieses nie betreten, ein Geschäft nie unter Dach und Fach bringen können, und all die jahrelange Arbeit ein Handelshaus mit bestem Ruf und anschaulicher Finanzkraft zu etablieren, war am Ende für die Katz, wenn sich der Deckel über ihm schließen sollte, nur der Verkauf des Erbes dann zur Debatte stehen würd´. Zu allem Übel addierte sich für den Kaufmann schnell auch der Umstand, dass neben der Unfähigkeit des Kindes, in den Stand des ehrbaren Kaufmannes gelangen zu können, auf diese Art dann für die Mehrung des Erfolges zu sorgen, ein Mädel ja sogar gegenteilig kostet, und jede Aufwendung in Bildung und Anstand es nur noch zur Folge hätte, dass sich als Brautwerber eben bess´re Herren der Gesellschaft einfinden würden, wodurch eine immer kräftigere Mitgift aufzubringen wär´.
Gewürze aus Indien, Safran aus Persien, Pelze aus Russland, Seide aus China, Teppiche aus Levantinien, Silberwaren aus England, Marmor aus Italien, Parfüme und Essenzen aus Frankreich oder auch nur Käse aus Holland – all diese Waren hatten einen Preis im Handel. Mit Geschick und guter Kenntnis war stets mit Gewinn bei Weiterverkauf zu rechnen. Doch ein dürres Mädel musste schon mit teuerstem Geschmeide behangen werden, um das Auge des Interessenten von der Mangelhaftigkeit der Trägerin abzulenken. So war es für ihn bald schon klar, das Kind, das ihm die Mutter schenkte, ihm ein sicheres Minusgeschäft bedeuten werde.
Und ganz obendrauf kam ihre Widerspenstigkeit hinzu, ihr allzu eigner Kopf, der sich nicht selten spürbarer Opposition hingab und es immer wieder nötig werden ließ, dass an Respekt erinnert werden musste, es diesen dann auch häufig tatkräftig einzufordern bedurfte. Statt sittlich Nähzeug zu gebrauchen, statt weiblich´ Tugenden zu lernen, hielt es das Fräulein gerne mit dem Vertun von Zeit und Energie, in dem sie den Flug von Federvieh, vom Huhn bis auch zur Gans und Ente, dann später Spatz und Amsel, seit Kurzem auch den Bussard und den Falken zu beobachten pflegte, um hiernach in dümmlichster Weise vom Traum eines Menschenfluges zu schwadronieren, was gewisslich nah des Irrsinns liegen würd´. Wenn Gott es gern gesehen hätte, dass Menschen fliegen sollten, dann hätte er diesem Flügel verabreicht, und es wären wohl die Vögel, die dann erdgebunden verweilten.
So hielt er es denn für durchaus denkbar, dass das Kind im Zuge der schweren Geburt einen Schaden davongetragen hatte, und es wurde ihm immer wieder schwer um die Vorausschau, sie dennoch passabel unter den Hut bringen zu können, wohlgemerkt ohne dabei zu viele Taler vor des Pastors Ehesegnung an den künft´gen Schwiegersohn berappt zu haben.
All das war der jungen Frau bekannt. Zum Teil weil´s offen ausgesprochen längst wie ein aufgeblättertes Kartenspiel zu Tische lag, zum anderen war ihr zwar die Schönheit nach eigenem Bemessen nicht in gleicher Üppigkeit gegeben wie´s ihr wohl zum Ausgleich mit Verstand gegeben ward. So hörte, sah nicht alles. Doch spürte sie zuhauf, was an Wertung ihr zuteil ward, trotz mannigfaltiger Vorsicht der Flüsterer es im Verborgenen zu halten. Und klares Wissen, Gefühltes in Ergänzung, ließ mit der Zeit ein treffendes Päckchen schnüren, welches das Gesamtbild über sie als Sendung trug.
Auch sah sie schon als junges Ding den Vorteil in der Täuschung. Dies nicht aus Hinterlist oder zur Erfüllung schlechter Absichten. Derlei Züge wies ihr Charakter gar nicht auf. Hingegen aber hatte sie zu lernen verstanden, dass es ihr leichter dann erging,