Stefan G. Rohr

Herr und Untertan


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Appetit verspürte sie mitnichten, und so verschwendete sie auch keinen Gedanken daran, sich an die elterliche Tafel zu begeben und damit gleichwohl auch stillschweigend ihr Einverständnis um die unsägliche Entscheidung zu bekunden. In ihrer doch noch recht kindlichen Gedankenwelt wollt´ sie den letzten kleinen Hoffnungsschimmer nicht gänzlich löschen, und sie ließ sich sogar zu einem Gebet hinreißen, kniend am Fuße ihres Bettes, dass Gott ihr doch diesen bitteren Kelch ersparen würde.

      Kohlhaase ließ gerade einmal eine Minute stillschweigend auf die Tochter wartend vergehen, dann aber richtete er das Wort an seine Frau: „Verstehe ich das richtig? Unsere Tochter hat sich für den Boykott entschieden?“.

      „Nun lasse Sie doch, Franz. Ich bitte Dich“, antwortete Katharina etwas flehend. „Sie ist ein junges Ding. Noch ganz unreif und Du verlangtest einen harten Weg, ganz ohne Vorbereitung, zudem ganz gegen ihren Willen“.

      Kohlhaase stieg die Zornesröte ins Gesicht. „Papperlapapp!“, schnauzte er zurück. „Was gab denn jemals Anlass bei derlei Unterfangen, nach weibischen Willen und derer Wünsche zu entscheiden? Es ist stets nur nach dem Besten zu handeln. Und ein solches ist nicht von einem jungen Ding zu bewerten. Sie hat sich zu fügen. Basta!“.

      Auch der zaghafte Versuch seiner Ehefrau, den Gatten nun zumindest einmal milder stimmen zu können, vermochte seine Gesichtsfarbe nicht wieder zu ändern. Und als sie ihm in einem unbedachten Nebensatz zur Kenntnis brachte, die Tochter erwöge in kindlicher Verzweiflung sogar ein Weglaufen und die Aufnahme niederster Bauernarbeit, sprang der Herr auf, sichtlich vor Wut schnaubend, und begab sich eilig zum Zimmer seines Kindes. Er trat aber nicht ein, daran dachte er keine Sekunde. Er nahm den großen Schlüssel und sperrte kurzerhand das Türschloss zu. In Gefangenschaft hat sich schon so mancher Übeltäter eines Besseren besonnen. Und was die Isolation dann nicht bewirken sollte, würden Hunger und Durst ganz sicher schaffen. Ein Boykott im eigenen Hause? Aufstand und Revolution hatte er nun genug erlebt. Und dergleichen jetzt unterm eigenen Dache, zudem entgegen seiner Finanzinteressen hinzunehmen, sollte nur über seine Leiche möglich werden.

      Derlei Unterfangen war natürlich nicht hinzunehmen. Und wenn´s von Nöten sollte werden, dann würd´ er auch zur Gerte greifen, von derlei Gerätschaft es in den Stallungen schließlich reichlich gab.

      Kapitel 2

      Zum Sonntag ward der Bräutigam geladen. Ganz manierlich und sittsam, zudem ohne großes Aufsehen. Die Tage bis dorthin waren für Katharina Kohlhaase vollgestopft von allerlei Vorbereitungen und Geschäftigkeiten.

      Zum einen war da der Geburtstag der Tochter. Sie jährte süß ganze achtzehn Lenze, und was eigentlich zu einem angemessenen Festchen hätte Anlass geben können, wurde still und unauffällig zelebriert, ganz im kleinen Kreise von Tochter und Eltern. Denn Kohlhaase hatte entschieden, dass es sich doch besser ausmachen würde, ja überdies aus vielerlei Gründen mehr als empfehlenswert war, das Hochleben seiner Tochter ein paar wenige Tage zu verrücken und im Kreise der kurzfristig eingeladenen Gäste zu einer Soiree im Jagdsaal des Hauses zu laden.

      Da er sich bisher nicht rühmlich mit derlei Festlichkeiten hervorgetan hatte, war davon auszugehen, dass trotz der wahrzunehmenden Spontanität seiner Einladung die meisten der Geladenen auch kommen würden, vielleicht sogar ihm den Vorzug vor bereits zugesagten anderen Gelegenheiten geben würden, allein der Neugier wegen und dem Instinkte folgend, es dann spektakulärer sich erweisen könnte, als die sonstige Gesellschaftsroutine. So führte er denn auch selbst die Feder für jede einzelne Einladung, die er sorgfältig per hauseigenem Kontorsiegel verschloss und mit eilenden Boten den Herrschaften persönlich überbringen ließ.

      Indes oblag es der Hausdame, die zuvor von ihm detailliert festgelegte Festlichkeit zu gestalten. Dies hatte er mit dem Hinweis verbunden, dass der Schneider, Metzger, Dekorateur, Weinhändler, Konditor oder auch die Musiker von ihm beauftragt wurden, die Rechnung ans Kontor zu stellen wären, die Gattin sich somit um das Budget keine Gedanken zu machen bräuchte. Sie sollte es nur sicherstellen, dass alles am Abend zur Soiree nach seinen Vorgaben erledigt sei, so dass es an nichts mangelt, weder Lücken noch Entbehrungen zu beklagen wären. Auch stattete er dem Goldschmied einen schnellen Besuch ab, gab die großzügige Bestellung eines Ringes mit edelstem Stein in Auftrag, für dessen Rechnung jedoch nicht er gerade stehen würde, sondern diese vom ehrenwerten Herrn Dr. Krottenkamp beglichen werde, es aber die Konkurrenz sein würde, die das Folgegeschäft einheimsen würde, sofern es Hinweise auf die Indiskretion des Meisters oder seiner Angestellten zu beklagen gäbe, der Bräutigam nicht selbst den Ring gewählt hätte. Der Goldschmied bekundete seinen Eid auf die Tora, Stillschweigen zu bewahren und alles in gewünschter Zeit sowie in höchster Wertigkeit auszuführen.

      Kohlhaase nickte zufrieden, wusste er doch nur zu gut, dass sich die Nachricht um die anstehende Vermählung des Herrn Medizinalrates Dr. Johann Krottenkamp mit der Kaufmannstochter Viktoria Kohlhaase wie ein Lauffeuer entfachen würde, sobald die Ladentüre nach seinem Austritt hinter ihm zugefallen war. Dass er nun selbst es war, als Vater der Braut, der den Verlobungsring in Auftrag gab, tat, trotz der eigentlichen Unüblichkeit, der Sache keinen Abbruch. Im Gegenteil. Bekräftigte dieser Umstand doch vielmehr, wie hoch im Stand und auch tonangebend in der Bestimmung der Kaufmann über dem Medizinalrat zu verorten war. Denn nur wer derlei zu behaupten hat, kann sich die Freiheit herausnehmen, selbst noch Größe und Qualität eines Ringes zur Verlobung zu bestimmen, was gewiss sodann erst recht den Rückschluss auch auf alle anderen Konditionen bezüglich dieser Liaison zuließ. So geriet auch dieser Winkelzug zu seiner Ehre.

      Viktoria selbst hatte sich zu einem fast durchgängigen Schweigegelöbnis entschieden. Sie sprach nur selten, gab einsilbig Antwort, meist dabei beschränkend auf ein „Ja“, ein „Nein“ oder im Zweifel dem „Wie Sie woll´n!“. Sie hatte schnell erkannt, dass ein Boykott zum Scheitern verurteilt war und beschlossen, das bitt´re Spiel zwar mitzumachen, doch eben ganz ohne eigenes Zutun, bar jedweder eigenen Einbringung. Man sollte sehen, dass sie sich nicht in Freiwilligkeit bewegte, und es war ihr ein Anliegen, die Suppe gut zu versalzen, jedoch keinen Anlass zur Korrektur ihres Handelns zu offerieren. Lächeln, Freude, Ausgelassenheit oder gar verliebte Blicke unterlagen keiner Befehlsgewalt. So lange sie zur Musik allein das Füßchen bewegte, wäre es der Forderung nach Tanz Genüge getan. Und was an eigener Erwartung ihr gegenüber und dem prahlerischen Getue der Gesellschaft gezollt sein würde, wollte sie mit größter Kühle und undurchsichtiger Miene durchkreuzen, damit sich Eltern und der fette Pfau in jeder Sekunde grämten, es aber keinen Vorwurf zu formulieren gäbe. Was Vater und zukünftiger Gatte daraus machen würden, war für sie nur bedingt von Interesse. In erster Linie galt es für sie, die Mutter zum schlechtesten Gewissen zu treiben, welches dieser nicht nur alle Tage verhageln sollte, ihr zudem den Schlaf zu rauben hatte. Stürzte doch mit ihrer Hilfe ihr eigen Fleisch und Blut ins Unglück. So sollte doch der Gerechtigkeit zuliebe die Mutter ein Stück dieser Hölle tragen, die ihrer Tochter nun zum Daueraufenthalt werden sollte.

      Deswegen nahm das junge Fräulein weder Anteil beim Aufmaß des Schneiders, noch bei den Anproben der Entwürfe. Stoisch ließ sie alles mit sich geschehen, und es wäre ihr nur Recht gewesen, wenn sich die Maße und die Schnitte als fatal und falsch erweisen sollten, sie schief und krumm gekleidet der Belustigung aller anwesenden Damen dienen würde. So zog sie nur ganz minimal den Bauch ein, denn Taille wollte sie nicht zeigen. Und mit vorgezogenen Schultern, leicht nach vorn in sich gekippt ließ sie den Schneidermeister gänzlich falsch das Aufmaß nehmen, um hiernach sicher gehen zu können, dass dieses Werk von ihm nur Spott einbrächte.

      Und als die Frau Mama sie instruierte, um das Verhalten auf der Soiree, ihr nach besten Sitten das Verlangen der Gesellschaft um Proporz herum kundzutun, da lächelte sie in sich hinein und dachte, ein bess´res Lehrbuch könnt´ es gar nicht geben, zum Zwecke der Umkehrung des Guten in das Peinliche studieren zu können. Und so hörte sie die Worte, sah aufmerksam den empfohlenen Bewegungen zu, um sich nur das Gegenteil einzuprägen, damit es genügend Fettnäpfchen geben sollte, in die sie hineinzutreten sich vornahm.

      Und für die anstehenden Sonntage, die allesamt nun für einen sittsamen Empfang des künftigen Gatten reserviert waren, hatte sie sich vielerlei