Stefan G. Rohr

Herr und Untertan


Скачать книгу

und Leumund, und wenn er an das fahlhäutige Töchterlein dachte, so grauste ihm vor der Pflicht der Zahlung einer Mitgift, die flüssig dann wohl nicht mehr vorhanden wäre.

      Wem ist´s dann zu verdenken, die lukrative krottenkampsche Wendung als ein `Wunder´ zu verstehen, denn war´s was anderes als göttliche Fügung? Und wäre es nicht gleichzusetzen mit sündhaft Frevlerei, dem Willen des Herrn zuwider zu handeln, im Gegenzuge als Lohn ins Fegefeuer oder gar in die Verdammnis einzufahren? Der lahme Gaul geriet zum Retter. Ganz ohne eigenes Wissen und statt schmachvoller Insolvenz, ließe sich die Verheiratung des lieben Töchterleins verkünden, und niemand hegte einen Verdacht, dass statt die Mitgift auszuschütten sich der Brautvater einer stattlichen Einnahme erfreuen konnte.

      So geriete es ihm dann gleich auch zweifach zur Ehre, da ein Jeder ganz selbstverständlich die Mitgiftleistung unterstellt, den Zufluss ins Geschäft und die Abwehr des Ruins nicht durchblicken würd. Das nun aber dem angetrauten Frauenzimmer zu offenbaren, käme einer nicht mehr heilbaren Selbsterniedrigung gleich. Und würde er nun der holden Gattin ganz großzügig von einer reduzierten Mitgiftpflicht berichten, so könnte er sich abermals als fähiger Kaufmann bewiesen wissen und das `Wunder´ allein darauf beschränken, den unverkäuflich lahmen Gaul in den dauerhaften Beritt an einen neuen Besitzer übereignet zu haben.

      Und als dann die Karaffe von ihm halb geleert ward, schloss er seine Unterredung mit seiner Gattin wie folgt: „Es liegt mir fern, Dich am Ende aller Worte um Einverständnis ersuchen zu müssen. Zu offen liegt die Vorteilsnahme auf unserer Seite, und das Kind hat Folge zu leisten, wenn der Familienrat getagt, das Oberhaupt entschieden hat. Es ist somit genug des getanzten Sprachreigens. Und als Popanz gedenke ich mich gewiss nicht zu erweisen. Gleichwohl vernahm ich Deine Anmerkungen, und ich ehre diese, denn es ist das mütterliche Herz, das aus Dir spricht. Doch wo stünde uns´re Welt, wenn Mütter uns regierten? Kopfüber wanderten wir durch derlei Zeit. Geschäfte obliegen nicht ohne Grund den Herren, und Vaterherzen lieben auch, nur führt Vernunft und Logik uns auf guten Wegen. So ist´s zum Besten für uns alle, und die Tochter wird es uns bald danken, Gattin – und sicher auch bald Mutter unserer Enkel – eines ehrenwerten Mediziners in bester Vermögenslage geworden zu sein.“

      Kohlhaase griff abermals die Karaffe und goss ein weiteres Glas randvoll. Auch zückte er eine Zigarre, welche er in bester Vorausschau eingesteckt hatte, um diese zum gegebenen Zeitpunkt zu entzünden. Als er sie aus seiner Anzugtasche zog, war er bemüht den dort ebenfalls deponierten ersten Anzahlungsscheck des Doktor Krottenkamps nicht versehentlich auch gleich dazu ans Tageslicht zu befördern. „Nun füg Dich besser ein, liebe Frau. Und es steht für Dich nun an, dem Kinde schonend beizubringen, dass der Traualtar ihr winkt, Verlobung nächste Woche gefeiert wird, die Hochzeit dann in der Adventszeit erfolgt.“

      In diesem Moment sprang die Türe auf. Hastig und mit leicht geröteten Wangen stürmte ein junges Fräulein in den Salon. Es hatte den Vormittag im Stall mit der Pflege ihrer beiden Pferde verbracht und war hiernach in die Heide geritten, hatte die Pferdchen nacheinander über Hürden springen lassen, war galoppiert, in den Trab gewechselt und vor Einkehr in den Heimatstall die Tiere im Schritt zur Ruhe kommen lassen. So trug sie dann noch das Reitkleid und die Stiefel, den kleinen Hut hingegen hatte sie in der Eingangshalle deponiert, denn sie gedachte nach dem Mittag zurück in den Stall zu gehen.

      „Verehrter Papa, Sie sind schon da?!“, rief Viktoria erstaunt aus, als sie ihren Vater zu dieser Zeit im Salon sitzend vorfand, „… ich wusste ja nicht …!“

      Der Vater erhob sich aus seinem Ohrensessel: „Schon gut, liebe Tochter. Ich hatte etwas sehr Wichtiges mit Deiner Mutter zu besprechen. Wie ich sehe, warst Du erneut in den Stallungen und bist dem Gesinde zur Hand gegangen.“ Sein Blick versteinerte sich wieder: „Nun, ich werde mich heute aus gutem Grunde nicht abermals dazu einlassen. So fröne dann noch ein wenig Deiner Marotte. Und nun setze Dich zu Deiner Mutter. Sie hat etwas mit Dir zu bereden.“ Mit einigen kurzen Schritten ging dieser sodann zur Kommode und dem daraufgestellten Zylinder, dann eilte der Hausherr durch die selbe Tür, durch die sein Töchterlein gerade herein gekommen war. Er vermied es dabei tunlichst in das verdutzte, zudem auch sichtlich besorgte Gesicht seines eigen Fleisch und Blutes zu schauen. Die Tatsachen waren geschaffen, nun galt es nur noch diese zielstrebig zu vollenden. Und Franz-Joseph Kohlhaase wäre nicht er selbst, wenn ihm das Vorhaben, aus welchem Grund auch immer, jetzt noch aus der Hand gleiten sollte.

      Gefasst, jedoch mit innerlich ganz beschwertem Herzen, tat die Mutter nun, was ihr soeben aufgetragen ward. Und obwohl es ihrer Rede wohltuend an langen Ausschweifungen um den heißen Brei mangelte, diese vielmehr kurz und knapp das Wesentliche zur Verkündung brachte, ließ sie nichts an mütterlicher Sanftheit und fürsorglicher Wortwahl missen.

      Der Tochter kam es dennoch wie in einem Alptraum vor. So ritt sie nur wenige Augenblicke noch zuvor durch die herrliche Heide, in Gänze frei und unbedarft, mit spielerischer Leichtigkeit die Pferdchen über Gräben getrieben, sich auf der Lichtung ausgeruht, den Rücken liegend zur Erde gewandt, die Blicke in den Himmel gerichtet, geträumt und dem Wolkenzug die Freiheit neidend, danach jedem Wölkchen eine Figur entnommen, gestaltet vom Schöpfer, ganz zu ihrer Erbauung und Unterhaltung. Und sah sie derweil nicht auch wieder den Vögeln hinterher? So, wie sie es fast immer tat? Sah den Bussard schweben, auf seinem Weg zur Jagd? Und verirrten sich dabei nicht erneut ihre Gedanken um die Herrlichkeit des Fliegens, welche dem Menschen so bitter versagt blieb? Wär sie nur allzu gern mit ihnen mitgeflogen, wie oft war dieser Wunsch in ihr. Wie lange war die Sehnsucht in den Lüften zu fliegen schon in ihr! Für das, was Daidals und Ikarus für kurze Zeit vermochten, wär´ sie bereit das Schicksal gleich zu nehmen und in die Tiefe dann zu stürzen, denn jede Sekunde im Fluge stünde höher im Wert als ein ganzer erdgebundener Tag. Und so war sie oft tief in Gedanken, mit großer Phantasie sich Pläne zu entwerfen, wie es den Menschen im Luftraum hielte, und wenn´s nur für Momente sei. Was nur war ihr Geheimnis? Das der Vögel, der Schmetterlinge, der Libellen und auch selbst der Käfer?

      Doch jäh erstarb jetzt die gerade noch leuchtend´ gewesene Zukunft, die Jugend und die Leichtigkeit, denn Gattin sein zu müssen, war bisher in ebensolcher Ferne, wie ein wundersamer Wuchs von Schwingen auf ihrem Rücken. Sie hörte das Gesagte zunächst mit ungläubiger Ruhe, doch als sie kurzerhand begriff, dass es beschlossene Sache war, brach sie in Tränen aus und hielt sich verzweifelt die blassen Hände vor ihr Gesicht. Und es schüttelte sie, so sehr krampfte die Tochter beim Weinen, dass die Mutter nicht umher kam, nach dem Mädchen zu läuten und dem bemitleidenswerten jungen Fräulein ein kühles Glas Wasser bringen zu lassen.

      Es dauerte noch eine Weile bis sich Viktoria soweit gefangen hatte, dass es ihr wieder möglich war zu sprechen: „Sagen Sie mir, Mama, was habe ich Ihnen und Papa nur angetan, um dass Sie mich so strafen wollen?“ Doch ohne eine Antwort abzuwarten, denn eine solche hatte sie mit ihrer Frage auch nicht erwarten wollen, fuhr sie fort: „Oder bewerten sie als meine Mutter den alten Zausel namens Krottenkamp als geeigneten Kandidaten zur Vermählung mit Ihrem eigenen Kind? Nicht nur das Alter, welches doch nur unwesentlich von dem meines Vaters abweicht, steht zum Beklagen frei. Ist´s Ihnen denn zudem entgangen, dass Ihr gewählt habt einen Mann, den´s durchaus mit einem Schlachtschwein zu vergleichen lässt, so dick sein Bauch und fett seine Wangen. Und haben Sie denn nicht auch Mitleid mit all seinen Patienten, die er mit seinen wulstigen und stets nassfeuchten Fingern betastet, auch wenn´s der ärztlichen Kunst geschuldet ist und allein der Heilung dient? Doch mögen Sie es nun gutheißen, dass ebensolche Finger die Hand Eurer Tochter im Stande der Ehe umschließen? Und dann die zionistische Eile! Mich düngt, es drängt Sie mehr als nur die gute Absicht. Doch werd´ ich nicht der Illusion verfallen, dass Sie mir, Vater oder Mutter, den Hintergrund erklären werden. So erlauben Sie mir nun, mich in mein Zimmer zurückziehen zu dürfen. Und es wird für mich zu überlegen sein, ob ich Ihrer Order am Ende den Vorzug vor einem Weggang zuteile, auch wenn das Letztere zur Folge hätte, mich als Magd verdingen zu müssen, um fortan die niedersten Dienste bei einem Bauern zu erbringen“.

      „Viktoria!“, platzte der Mutter heraus. Doch das junge Ding war bereits aufgesprungen und lief schnellen Schrittes aus dem Salon, hinauf in ihr Zimmer, dessen Tür sodann deutlich vernehmbar in den Rahmen knallte.

      Als das Dienstmädchen das Werk der Köchin zum Abendessen