Günther Dümler

Mords-Therapie


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er ihr nicht gefiel stimmte so nicht ganz. Er gefiel ihr im Allgemeinen sogar ausnehmend gut und heute ganz besonders. Schick sah er aus in seinem Festtagsanzug und der silbergrauen Krawatte, die inzwischen, auch infolge der heftigen Verrenkungen und der damit unmittelbar verbundenen Hitzewallungen, schon lange auf Halbmast hing. Die meisten anderen Gäste hatten die ihren schon lange abgenommen oder von vorne herein auf den als altmodisch verrufenen Kulturstrick verzichtet. Was Marga vielmehr meinte war, dass Peter nicht gesund aussah und ihr sein Zustand nicht gefiel. Die anderen Gäste hatten allesamt noch nichts bemerkt, seine bessere Hälfte kannte ihn jedoch in und auswendig und wusste genau wie er selbst augenblicklich, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.

      „Etz iss ja aa scho glei vierer in der Fräih, dou iss schließli nimmer grad zu bald, wemmer hamm gäihd. Kumm, mir soong ade zu der Elli und zum Manfred und dann fahr mer. Drink dei Zeich aus und dann bagg mers. Iss sowieso nu a weider Weech bis hamm nach Rödnbach.“

      Wenn es eines weiteren Indiz‘ für Peters Zustand bedurfte hätte, dann hätte die Marga es aus der Tatsache erhalten, dass ihr Mann sofort aufstand und sein halb volles Glas einfach unbeachtet stehen ließ.

      Im Auto wurde es nicht besser. Peter hing leicht nach vorne gebeugt in einer reichlich unnatürlichen Haltung auf dem Beifahrersitz. Sein Atem ging schwer. Nach wenigen Kilometern war beiden klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Es war Sonntag früh, ein Arzt wäre im jedem Fall nur über einen Notdienst erreichbar. Da kann man es getrost als Glück im Unglück bezeichnen, dass die Kleinleins auf ihren Nachhauseweg von Schwabach, wo die Feier zu Ellis sechzigstem Geburtstag stattgefunden hatte, über die Autobahn mussten und dass gerade in diesem Augenblick das blaue Schild mit dem Hinweis auf die Abfahrt Nürnberg-Langwasser aus dem Dunkel auftauchte, mit der Zusatzinformation Klinikum Nürnberg-Süd. Kurz entschlossen setzte Marga, die auch ohne Peters aktuelles Problem, allein schon aus alkoholtechnischen Gründen als Fahrerin eingeplant gewesen wäre, den Blinker und nahm zügig die Ausfahrt. Weitere zehn Minuten später standen die beiden bereits vor dem spärlich beleuchteten Haupteingang des Klinikums. Einen Parkplatz hatten sie, was um diese Zeit nicht verwunderte, unmittelbar vor dem dorthin führenden, überdachten Weg gefunden. Ein Umstand, der tagsüber gut und gerne einem Sechser im Lotto gleichgekommen wäre. Es war inzwischen kurz vor fünf Uhr morgens und es regnete leicht.

      Der Haupteingang ist ab 21.00 Uhr geschlossen.

      Bitte benützen sie den Eingang über die Notaufnahme.

      So stand es auf dem Schild zu lesen, das an der gläsernen Eingangstür angebracht war. Soweit, so gut, aber wohin musste man sich nun wenden? Die Kleinleins waren nun mal keine Nürnberger, sondern stammten aus dem kleinen Örtchen Röthenbach, das etwas mehr als eine halbe Fahrstunde von der Großstadt entfernt liegt und sie hatten daher auch noch nie das Nürnberger Klinikum besucht, weder als Patient, noch als Besucher. Peter fiel das Atmen von Minute zu Minute schwerer. Zu allem Überfluss stellte sich auch noch ein beängstigendes Stechen in der linken Lungenhälfte ein. Dennoch schafften sie es, im Dunklen den Fußweg zu finden, der zu dem ein Stockwerk tiefer gelegenen Eingang der Notaufnahme führt.

      Sofort wurden sie von einer jungen Dame, welche eine warme Strickweste über der Schwesternkleidung trug, an der Rezeption in Empfang genommen. Sie wirkte müde und erschöpft. Ihre Schicht hatte wohl schon viele Stunden gedauert und neigte sich hoffentlich bald dem Ende zu. Peters Personalien wurden aufgenommen. Er hatte aufgrund der Atemnot und der mittlerweile immer stärker werdenden Schmerzen große Mühe zu sprechen. Die Daten seines Versichertenkärtchens, das er glücklicherweise immer in seinem Geldbeutel mit sich führte, wurden erfasst. Danach ging alles ganz schnell. Er wurde in einen Raum geführt, wo er sich auf einer Liege lang austrecken sollte. Seine Schuhe und seine warme Jacke wurden in einen großen Plastikbeutel gepackt und am Fußende der Liege deponiert. In seine linke Ellenbogenbeuge wurde eine Nadel gestochen und befestigt. Das geschah alles ganz unaufgeregt und nach einem tausendfach erprobten Ritual.

      Die Marga musste derweil in sichtlicher Sorge zurück bleiben. Von nun ab überschlugen sich die Ereignisse. Kurze Zeit nach einer Blutentnahme betrat ein grün gewandeter Arzt den Raum, Peter tippte auf eine Herkunft irgendwo aus Asien. Indien oder Pakistan vielleicht. Er teilte Peter mit, dass es sich wohl um einen, wenn auch leichten Herzinfarkt handeln würde. Diese Nachricht traf den Patienten wie ein heimtückischer Überfall aus dem Hinterhalt, wie ein Hieb den man nicht kommen sah und gegen den man keinerlei Abwehrmöglichkeit hatte. Als notorischer Optimist hatte er sich auf der Fahrt ins Krankenhaus die beruhigende Theorie zurechtgelegt, der zufolge sich wohl infolge der wilden Tanzerei ein Wirbel verklemmt hätte, ein Problem, das der Doktor mit einer harmlosen Spritze schnell und problemlos erledigen könnte. An einen Herzinfarkt hatte er nicht im Entferntesten gedacht.

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      Die Marga saß derweil im Warteraum der Notaufnahme und rutschte unruhig und nervös auf der unbequemen Bank hin und her. Jetzt war ihr Ehemann schon seit weit mehr als einer Stunde in den Behandlungsräumen verschwunden und sie hatte noch immer keine Nachricht darüber, wie es ihm ging und was eigentlich Sache war. Eine ganze Stunde! War denn kein Arzt verfügbar? Oder war es am Ende sogar so ernst, dass die Behandlung aufgrund der Schwere des Falls so lange dauern musste? Die Ungewissheit machte ihr sehr zu schaffen. Alle möglichen und mit zunehmender Wartezeit auch unmöglichen Vorstellungen schossen durch ihr Gehirn. Er wird doch nicht … Um Gottes Willen! Nein, dann hätte sie doch erst recht schon Bescheid bekommen. Nein, es würde sicherlich nichts Schlimmes sein. Das durfte es auch gar nicht. Sie brauchte ihren Peter doch noch länger.

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      Der wurde inzwischen mit Medikamenten versorgt. Zu allererst hatte man ihm etwas gegen seine Schmerzen gegeben und nach gesicherter Diagnose auch blutverdünnende Mittel. Nachdem die akute Gefahr offenbar beseitigt war und nach Abschluss der Notfallmaßnahmen wurde er auf ein Zimmer gebracht, wo er erstmals wieder mit seiner Marga sprechen konnte. Sie hatte sich natürlich immense Sorgen gemacht, die mit jeder Minute, die sie ohne Information im Wartezimmer der Notaufnahme verbracht hatte, noch an Stärke zugenommen hatten. Auch noch jetzt war sie völlig aus dem Häuschen, ganz im Gegensatz zu Peter, der erstaunlich ruhig wirkte. Er befand sich offenbar in einem gewissen Schockzustand. Ein Schutzmechanismus des Unterbewusstseins verhinderte anscheinend, dass er die volle Tragweite der niederschmetternden Nachricht erkannte und sorgte dafür, dass er sich in seinen Gedanken ausschließlich mit den organisatorischen Konsequenzen seines Zustandes beschäftigte. Was würde die Marga jetzt ohne ihn anfangen? Seltsamerweise machte er sich Sorgen um den Weihnachtsschmuck, die Dekoration des Hauses, die noch nicht einmal halbwegs fertiggestellt war. Und dabei war das Kleinleinsche Anwesen doch immer eines der am schönsten geschmückten im ganzen Ort. Wer sollte jetzt den schweren Nikolaus mitsamt seinem Rentierschlitten auf das Vordach stemmen und befestigen? Wusste die Marga eigentlich wie man, wie man … Über all diesen Nebensächlichkeiten fielen ihm die Augen zu und er dämmerte kurzzeitig weg.

      Als er wieder erwachte, hatte sich die Marga erstaunlich verändert. Erst nach einigen Sekunden, die er brauchte um richtig wach zu werden, erkannte er, dass anstelle Margas jetzt eine Ärztin an seinem Bett stand, die ihm verkündete, dass in den nächsten Stunden der Herr Professor eine Herzkatheteruntersuchung bei ihm durchführen würde. Danach würde man weitersehen. Er musste eine ganze Menge Informationsmaterial lesen, von dessen Inhalt er das meiste schon wieder vergessen hatte, als er sein Einverständnis zu dem Eingriff und seinen möglichen Konsequenzen am Ende per Unterschrift auf dem Formblatt erklärte. Ging ja auch gar nicht anders.

      Eine Schwester holte ihn samt seinem fahrbaren Bett ab und schob ihn durch ein Labyrinth von Gängen, deren Flügeltüren sich wie von Geisterhand vor ihm öffneten. Schon bald hatte er die Übersicht verloren. Am Ende landete er in einem Operationsraum, der ihn eher an einen Kinosaal als ein Krankenhaus erinnerte und ihm wurde mit einem Schlag klar, warum die Engländer in diesem Fall von einem „Operating Theatre“ sprechen. Monitore überall, eine ganze Wand war vollgepackt damit, über ihm an der Decke hing ein riesiger Apparat, gleich einer metallenen Krake, mit an den Enden der Fangarme befestigten hochkomplizierten medizinischen Geräten, die sich, sobald der Professor mit der Katheteruntersuchung begonnen hatte, im Wechsel von ihn weg und dann erneut auf seine Brust zubewegten. Auf einem der Monitore konnte man nun Peters Brustkorb erkennen, das heißt er konnte