Günther Dümler

Mords-Therapie


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Gastfreundschaft geschuldet war, einer traditionellen Formalie, die vielleicht gar nicht wortwörtlich genommen werden durfte. Wie wenig er eigentlich über diese Dinge wusste, ob wohl ihn dieser Teil der Welt schon immer fasziniert hatte. Allein Ägypten hatten er und seine Marga immerhin schon drei Mal und zuletzt noch einmal mit den Röthenbacher Freunden im Rahmen einer Bildungsreise besucht. Die paar Brocken, die er sich damals angeeignet hatte, um etwa ein Essen bestellen und um zudringliche Bakschischjäger abweisen zu können, reichten natürlich nicht aus, um dem Gespräch folgen zu können, waren jedoch gut genug um zu erkennen, dass die Eheleute miteinander arabisch sprachen. Ein krächzender Kehllaut jagte den anderen. Einige Worte erkannte er sogar ganz deutlich, so dass er sicher sein konnte. Aiwa, aiwa. Ja, ja. Die Ehefrau schien genaue Anweisungen zu bekommen, was daheim im Sinne des Hausherrn erledigt werden musste. Immerhin kam von ihm zwischendurch auch einmal ein kehliges Schukran, wenn auch bedeutend seltener, was danke bedeutete und zu Peters touristischem Minimalwortschatz gehörte.

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      Nachmittags erschien erneut Besuch. Vier Männer auf einmal, alle viel jünger als al-Hamadi, durch die Bank bärtig und der arabischen Sprache mächtig. Mächtig vor allem in Bezug auf die Lautstärke, mit der sie ihre Unterhaltung führten, aber auch die ausladende Gestik betreffend, die Peter mehr an das Feilschen in einem orientalischen Souk erinnerte als an einen Krankenbesuch. Alle Neuankömmlinge begrüßten den Patienten mit mehreren Küssen auf beide stachligen Wangen, einer drückte sogar seine Lippen auf dessen Hände. Peter fühlte sich an eine Audienz beim Papst oder einem exotischen Würdenträger erinnert. Anscheinend nahm sein Mitpatient in den Augen seiner Besucher eine besondere Stellung ein. Ob es sich wohl um seine Söhne handelte? Ihm selbst war die Lautstärke egal, fast schon willkommen nach der Funkstille, die durch die mangelnden Deutschkenntnisse seines Gegenübers bedingt, die meiste Zeit herrschte. Er schloss seine Augen und versuchte ein wenig zu entspannen. Der Schlafmangel der letzten Tage war lange noch nicht kompensiert.

      Nur dunkel bekam er etwas von dem Gespräch mit, das nur wenige Meter von ihm entfernt stattfand. Es würde gekrächzt und die Vokale nahezu gesungen, natürlich ohne dass Peter etwas verstehen konnte. Dieses für ihn eher monotone Klangmuster aber verhalf ihm trotz der ungewohnten Lautstärke tatsächlich dazu etwas einzunicken. Nur entfernt und sehr gedämpft hörte er ab und zu deutsche Städtenamen. Heilbronn, Stuttgart, Augsburg, Schwabach, wobei letzterer geradezu für die arabische Sprache gemacht zu sein schien, die bei Peter den Eindruck erweckte, als sei sie ausschließlich aus einer Vielzahl stark betonter Rachenlaute zusammengesetzt. Bach ach ach. Ob die Besucher wohl Grüße von Verwandten ausrichteten?

      Peter fiel nun endgültig seinem Schlafmangel zum Opfer. Wach wurde er erst wieder, als der Stationsarzt im Eiltempo und mit einem Klemmbrett in der rechten Hand das Krankenzimmer betrat und die Unterhaltung am Bett gegenüber jäh unterbrach. Er versuchte dem arabischen Patienten wortreich die weiteren Behandlungspläne, die man aufgrund der Resultate eines ausgiebigen Bluttests für notwendig erachtete, näher zu bringen, was an den mangelnden sprachlichen Gemeinsamkeiten zu scheitern schien. Einer der vier Besucher verstand offenbar genug Deutsch, konnte aber mit den medizinischen Fachbegriffen nichts anfangen, so dass die Fragezeichen auf dem Gesicht al-Hamadis von Sekunde zu Sekunde mehr über Hand nahmen. Ein letzter Versuch des Arztes bestand in dem unzusammenhängenden Satz

      „Thrombozyten zu viel, too much, verstehen sie?“

      Danach schien er sich geschlagen zu geben und wollte sich schulterzuckend auf den Rückzug begeben. Da kam plötzlich Bewegung in die Männergruppe. Ein bemerkenswerter Anstieg der Lautstärke, ausgelöst durch gleichzeitig geäußerte erregte Gesprächsfetzen, die andernorts unweigerlich auf einen beginnenden Streit hätten schließen lassen, die aber hier nach wenigen Sekunden in einer allgemeinen Übereinstimmung endeten, die ihren Ausdruck in dem mehrfach wiederholten freudigen Ausruf „al-Saadi“ fand.

      „Al-Saadi“, wiederholte auch der über das ganze Gesicht strahlende kranke Patriarch erleichtert und kramte sogleich ein supermodernes Handy aus seinem Schrank, worauf er mit einem einzigen Tastendruck die Anwahl einer scheinbar häufig benutzten Nummer auslöste.

      „Da schau her“, staunte Peter, „dess häddi mer etz abber aa nedd denkd. Ä Smartphone, Reschbeggd! Und ich hobb nern für an verirrdn Ziegnhirtn ghaldn.“

      Es stellte sich sogleich heraus, dass der besagte Herr al-Saadi Ägypter, ein Landsmann al-Hamadis und zugleich der Arzt seines Vertrauen war, der natürlich sowohl die deutsche Sprache, als auch die medizinischen Fachausdrücke aus dem Effeff beherrschte. So wurde aus der illustren Männerrunde im Nu eine Telefonkonferenz, wobei der hinzugezogene Arzt dem Patienten simultan zu den Erklärungen des Stationsarztes seine Übersetzung nebst persönlicher Empfehlung lieferte.

      Die ganze Szene ließ Peter seine bisherige Einschätzung seines Gegenübers spontan überdenken. Hier schien es sich keineswegs um einen der vielen mittellosen Flüchtlinge zu handeln. Der Mann hatte immerhin einen Hausarzt, den er zu jeder möglichen und wie ein Blick auf seine Armbanduhr verriet, auch unmöglichen Zeit so einfach anrufen konnte und der daraufhin sofort zur Verfügung stand. Peter war sich sicher, dass das mit seinem eigenen Hausarzt, dem Doktor Eichberger, bei dem er schon jahrzehntelang Patient war, nicht so ohne weiteres möglich gewesen wäre. Interessant. Al-Hamadi entwickelte sich immer mehr zu einer schillernden Figur.

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      Gegen Abend endlich kam auch die Marga wieder vorbei. Schwer schnaufend, als ob sie von einer ausgedehnten Einkaufstour ins vorvorweihnachtliche Nürnberg nach Hause zurückkehren würde. In beiden Händen hielt sie jeweils eine prallvolle Tasche und schnaufte dem zu Folge heftig wie nach einem olympischen Marathonlauf.

      „Horch amal, hosd denn du den ganzn Haushald miedgschlebbd?“, fragte Peter staunend.

      „Quadsch, dess iss doch nedd alles für dich. Dee aane Daschn hobbi doch brauchd, walli glei bei der Gelegnheid in die Stadt ganger bin und aweng nach Weihnachdsgschengge gschaud hobb. Etz kommer grad nu nei, wennsd erschd kummsd wenn alle kummer, dann derdreedns di doch in die Kaufheiser. Und wenn nou erschd der Christkindlersmarkd ohganger iss, dann konnsd doch scho gor nimmer hie.“

      Peter nahm es pflichtgetreu nickend zur Kenntnis. Immer praktisch, seine Marga.

      Die andere, minimal kleinere Tasche enthielt tatsächlich eine Reihe für Peter bestimmte Gegenstände, die er, wie ihm Marga ausführlich erklärte, dringend für seinen Krankenhausaufenthalt brauchen würde. Ein nagelneuer Schlafanzug, den er zuvor noch nie gesehen hatte, die Ladegeräte für sein Handy und den Kindle, Rasierzeug, genug Duschgel, Schampoo, Rasierwasser, Waschlappen, Deo für einen mehrmonatigen Aufenthalt in einer weltabgeschiedenen Gegend, wo es nichts zu kaufen gab, noch dazu in einer Menge, mit der er problemlos die gesamte Kardiologie hätte versorgen können. Dazu seine Hausschlappen, ebenfalls ein neues Paar. Die alten waren an einigen Stellen schon sehr fadenscheinig und an Weihnachten hätte er sowieso welche bekommen, dann einen langflorigen Bademantel, in dem er wie ein Eisbär aussehen würde, weiß mit dunkelgrauen, eingewirkten Fäden. Ebenfalls neu. Fünf Rätselzeitungen, einen Stift, die heutige Tageszeitung, seinen Kindle, der immerhin zirka einhundert Kriminalromane enthielt, sowie sämtliche Harry-Potter-Bände, damit es ihm in den Behandlungspausen nicht langweilig werden würde. Eine graue Jeans, dazu ein kariertes Hemd und einen warmen Pullover legte sie auf sein Nachtschränkchen, außerdem ein paar frische Strümpfe. Zuletzt förderte Marga noch eine Großpackung Lebkuchen vom Hufnagel, dem Röthenbacher Dorfbäcker, einen Apfel und drei Mandarinen zutage. Vitamine waren jetzt sicher sehr wichtig.

      „Woss maansdn du, wäi lang ich dou herinner bleim soll? Der Doggder hodd gsachd, wenn alles gladd gäihd, dann konni in zwaa odder drei Dooch scho wieder hamm. Und wo sollin dess alles underbringer? Horch amal, so vill Bladds iss dou fei nedd.“

      Er machte tatsächlich einen total überforderten Eindruck.

      „Gibb mer dein Anzuuch mied und des weiße Hemmerd. Des wasch i dann glei und bring die Hoosn und die Jaggn in die Reinichung. Dess schdinkd doch alles beschdimmd furchtbar nach dem abgschdandner Rauch und dem Essn von der Feier. Horch amal, dee Elfriede hodd der villeichd widder qualmd. Wenn dee an Herzkaschber grichd hädd, dou hädd mer sich ja nedd wundern braung, abber