Günther Dümler

Mords-Therapie


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Diagnose nicht her. „Aus den vorliegenden Unterlagen des Klinikum Nürnberg Süd geht leider keine medizinische Notwendigkeit für eine vollstationäre Rehabilitationsmaßnahme hervor. Bei angegebener Indikation ist eine ambulante kardiologische Anschlussrehabilitation medizinisch möglich und ausreichend.“ So hatte es in dem Schreiben seiner Krankenkasse geheißen. Eine reichlich umständliche Umschreibung für „Wir müssen sparen“. Egal. Alles hat seine zwei Seiten, dachte Peter. Dann hatte er wenigstens den Vorteil, dass er die Nächte in seinem eigenen Bett verbringen konnte, ein Vorteil, der speziell in seinem Fall nicht zu unterschätzen war. Fremde Betten und warteten sie auch in noch so landschaftlich reizvoller Umgebung auf ihn, waren bei ihm stets ein Grund für schlechten Schlaf, zumindest die ersten Tage. Das kannte er aus langjähriger Erfahrung in den Urlauben, die ihn und seine Marga schon weit in die Welt hinausgeführt hatten. Und natürlich durfte man die Wochenenden im heimischen Röthenbach inklusive des hervorragenden Essens seiner Frau und den Kontakt mit den Freunden nicht außer Acht lassen.

      Und so sah er den kommenden Wochen mit gespannter, aber auch hoffnungsvoller Erwartung entgegen.

      „Hauptsach, es werd widder alles goud. Alles andre iss etz erschd amal worschd.“

      Das war seine Devise. Mit dieser Einstellung gewappnet setzte sich Peter in den 56-er. Weitere zehn Minuten später marschierte er, in der rechten Hand eine kleine Sporttasche mit Turnschuhen, einem nagelneuen Jogginganzug, Badesachen und einer Menge schriftlicher Unterlagen auf den Eingang des ZFARM-Gebäudes zu. Die Abkürzung ZFARM steht für „Zentrum für ambulante Rehabilitationsmaßnahmen“, mit einer Farm im eigentlichen Sinn des Wortes hat das alles nicht das Geringste zu tun.

      Die Tür öffnete sich automatisch und er betrat einen geräumigen Vorraum, in dem sich schon einige Patienten in legerer Freizeit- oder Sportkleidung in bequemen Sesseln sitzend die Zeit vertrieben, offenbar auf weitere Anwendungen wartend, mit Tassen oder Gläsern in den Händen. Hier befand sich auch die Rezeption, wo Peter sich ordnungsgemäß anmeldete. Eine der freundlichen Damen kümmerte sich sofort um ihn und wies ihn umgehend in die Gepflogenheiten des Hauses ein. Eine seiner ersten Tätigkeiten in seinem neuen Umfeld bestand überraschenderweise im Aussuchen der Mahlzeiten, die er in den kommenden drei Wochen im Speiseraum der ZFARM einnehmen würde. Immerhin gab es eine Auswahl aus jeweils drei Menus, die alle drei Vs komplett abdeckten: Völlerei, Vollkost, Vegetarisch. Das fing doch schon einmal ganz gut an. Wie sich bald herausstellte, sollte es allerdings mit der Völlerei nichts werden.

      Schließlich erhielt Peter einen kleinen Schlüssel, der zusammen mit einer runden Plakette, in die die Zahl 97 eingraviert war, an einem kleinen metallenen Ring hing. Dieser würde im Umkleideraum für Herren zu einem Schrank passen, in dem er seine Straßenkleidung und seine Wertsachen tagsüber unterbringen konnte, sobald er sich umgezogen, das heißt seinen Jogginganzug und die Turnschuhe angelegt hatte. So hatte es ihm zumindest die fürsorgliche Dame vom Empfang erklärt. Was er allerdings bald schmerzlich vermisste, das war eine Gebrauchsanweisung für den so genannten Spind. Es gab keinerlei Hinweis auf einen wie auch immer gearteten Zaubertrick, den er zweifellos benötigt hätte, um seine Sachen in dem mikroskopisch kleinen Fach unterzubringen, das sich hinter dem Schloss mit der Nummer 97 verbarg. Peter fragte sich automatisch, wo das Wort Spind wohl seinen Ursprung haben mochte. Konnte es tatsächlich mit dem Begriff spindeldürr in Zusammenhang stehen?

      „Scho eher wäi nedd“, dachte er, denn das Gebilde, das ihm als solcher zugewiesen war, glich eher einer in die Länge gezogenen Zigarrenkiste als einem Schrank, den er bis dato immer mit dem Wörtchen Spind verbunden hatte. Eine Blockflöte könnte man hier gerade so unterbringen, dachte Peter und er musste unweigerlich an seine Marga denken, als er vor diesem Wunderwerk der Miniaturtechnik stand. Der Platz würde nicht einmal für ihre Handtasche reichen, vielleicht für die schmale Ausgehtasche, gerade mal so. Nun gut, die oberen zwanzig Zentimeter der Röhre waren immerhin doppelt so breit wie der untere, maximal zehn Zentimeter breite längliche Spalt, der den Hauptteil der Kleiderablage ausmachte. Dadurch begünstigt gelang es ihm, nachdem er seine Hose an dem an der Decke befestigten Haken aufgehängt, diese dann hineingedrückt, sowie seine wattierte Winterjacke mit beiden Händen hinterhergequetscht hatte, auch noch sein Hemd und seinen warmen Wollpullover mit dem Norwegermuster auf dem verbleibenden kleinen oberen Absatz unterzubringen. Das Hemd ordentlich zusammenlegen zu wollen war illusorisch. Die sorgfältige Bügelfalte an den beiden Ärmeln, der Bruch, auf den Marga immer größten Wert legte, konnte man bei all den Knittern, die sich nach Sekunden vergeblicher Versuche eingestellt hatten, schon nicht mehr erkennen. So wie sein Hemd jetzt aussah würde sie ihm nie im Leben glauben, dass er tatsächlich wenigstens zehn Minuten mit angestrengtem Überlegen darüber verbracht hatte, wie er dieses Malheur und die unweigerlich damit verbundenen Vorhaltungen zuhause vermeiden könnte. Irgendwie musste er aber weiterkommen. Also nun noch die Handschuhe und die Mütze in eine kleine Ritze hineindrücken, die Schuhe und Strümpfe mussten notgedrungen auf dem Fußboden unter dem Schrank abgestellt werden. Vielleicht auch besser so. Die Kleidung musste nicht auch noch zusätzlich nach Fußschweiß riechen. Schließlich hatte er auch nicht gerade das Bedürfnis auf dem Rückweg nachhause in der sicher wieder randvollen U-Bahn geruchstechnisch negativ aufzufallen. Alles fertig. Gottseidank!

      Peter wollte sich gerade mit seinem gelben Behandlungsplan in der Hand auf den Weg zur Erstuntersuchung machen, da fiel sein Blick auf die kleine Reisetasche, die immer noch, zwar nun leer, aber leider noch unaufgeräumt auf einem kleinen Hocker neben dem Heizkörper stand. Er hatte bereits endgültig Abstand von dem Gedanken genommen, ohne Verluste aus der Nummer herauszukommen und so faltete er sie in einem Anflug von Fatalismus einfach so gut wie möglich zusammen und presste sie, die Jacke einem finalen Zerreißtest unterziehend, neben diese in die längliche Abteilung des Dings, das im Folgenden der Einfachheit halber, obwohl irreführend, als Spind bezeichnet werden soll.

      Endlich hatte er die Tür des Spinds zugebracht und konnte sich auf den Weg zu seiner ersten Station machen, „vor Zimmer 25, Erstaufnahme“ stand auf seinem Plan. Also setzte er sich pflichtgemäß auf einen der freien Stühle vor dem angegebenen Raum und wartete darauf aufgerufen zu werden. Er war ganz in Gedanken versunken und hatte den Blick vor sich auf den Boden gerichtet, als ihn eine entfernt bekannte Stimme von der Seite ansprach.

      „Kennscht mi wohl gar nimmer?“

      Er drehte sich überrascht nach dem Sprecher um und traute seinen Augen nicht. Neben ihm saß, ebenfalls in einen Trainingsanzug gewandet sein alter Kollege aus aktiven Zeiten, der Bäumler Werner und grinste ihn verschwörerisch an.

      „Was machsdn du da? Sportverletzung oder was?“

      Komisch, dass niemand einen Herzinfarkt bei ihm vermutete, andererseits freute es ihn innerlich auch, dass man es ihm offensichtlich nicht ansah.

      „Naa, ich hobb an Herzinfargd ghabd, kann schlimmer, abber immerhin. Abber a Infargd iss a Infargd, hodd der Doggder im Granggnhaus immer gsachd, worschd wäi arch, aweng woss gäihd dabei immer kabudd. Naja, mir wern scho seeng“, antwortete der überraschte Peter. „Und du, woss machsd du dou?“

      „Ich hab au scho wieder an Herzinfarkt ghabt, mei zwoidr“, berichtete Werner. An seiner Aussprache war trotz langjähriger Tätigkeit in Nürnberg noch immer der bayerische Schwabe erkennbar. Und so entwickelten sich ein munterer Erfahrungsaustausch bezüglich der aktuellen gesundheitlichen Situation, sowie höfliche Nachfragen nach den häuslichen Verhältnissen des jeweiligen Ex-Kollegen. Unterbrochen wurden die beiden erst von der Krankenschwester, die Peter zur Aufnahmeuntersuchung ins Zimmer hereinrief. Ihm blieb nur noch ein kurzes „Bis dann. Mir seeng uns wahrscheinli nu öfder etz!“ bevor er sich der neuen Situation zuwandte. Er wurde nach seinen persönlichen Daten gefragt, nach Größe und Gewicht, aber auch nach seinen Hobbies.

      „Schafkobfn, Radfahrn und …“

      Er zögerte einen Moment während er überlegte ob er seine zweifellos vorhandenen Erfolge als Hobbydetektiv ebenfalls angeben sollte und entschied sich erst einmal dagegen. Erstens ist es ihm generell eher peinlich, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen und zum anderen handelte es sich dabei ja genau genommen gar nicht um ein richtiges Hobby. Seiner Meinung nach wurde er bisher immer nur unfreiwillig und infolge ungünstiger Umstände dazu gedrängt sich in Nachforschungen