Günther Dümler

Mords-Therapie


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zwei dicke, ebenfalls dunkle Linien von etwa einem halben Zentimeter Durchmesser, dazwischen ein dünner Strich der in etwa die Stärke einer Paketschnur aufwies.

      „Sehen sie, Herr Kleinlein“, erklärte der offenbar gut aufgelegte Professor, „das sind die Arterien, die ihr Herz mit Blut versorgen und das da in der Mitte, das ist unser Problem, das ihnen aktuell so zu schaffen macht. Die sollte genauso dick dargestellt werden wie die beiden anderen, ist sie aber nicht, weil sie nahezu völlig verstopft ist. Ich werde ihnen jetzt einen sogenannten Stent einsetzen, der die Ader wieder aufdehnt und voll funktionsfähig macht. Danach sind sie wieder fast wie neu.“

      Die sympathische und vor allen völlig entspannte Stimme des Arztes verfehlte ihre Wirkung auf Peter nicht. Er war sich in diesem Moment völlig sicher, dass nun alles wieder ins Lot kommen und er bald wieder ganz hergestellt sein würde. Dass er als Kassenpatient vom Professor persönlich operiert wurde oder war das technisch gesehen gar keine richtige Operation, er wurde ja nicht einmal aufgeschnitten, das verwunderte ihn schon. Später erfuhr er, dass der Professor ohnehin zur Sonntagsvisite im Hause war und man die Gelegenheit genutzt hatte, ihn, Peter Kleinlein, so schnell wie möglich zu versorgen. Der ganze Vorgang dauerte nicht sehr lange, obwohl Peter beim besten Willen keine verlässliche Angabe über die Dauer des Eingriffs hätte machen können. Irgendwie hatte ihn der ganze Vorfall so sehr aus seiner Routine gerissen, dass sein Zeitgefühl doch sehr gelitten hatte. Als der dünne Schlauch, den man ihm auf Hüfthöhe in die Arterie geschoben hatte, wieder entfernt war, zeigte ihm der Professor gut gelaunt ein neues Bild seines „reparierten“ Herzens auf dem Monitor.

      „So, jetzt haben wir es geschafft. Schauen sie, da in der Mitte, diese Arterie ist jetzt mindestens genauso durchlässig wie die beiden anderen. Ich würde sagen, der Eingriff ist bestens gelungen. Das Gefäß sieht wieder aus wie eine eins, ach was, eine eins plus.“

      Genauso fühlte sich Peter auch. Keine große Operation und anscheinend auch kein großer bleibender Schaden am Herzen. Er war einfach nur froh und glücklich. In diesem Jahr hatte er sein Weihnachtsgeschenk schon etwas früher bekommen. Die Nacht musste er trotz des guten Verlaufs auf der Intensivstation verbringen. Aus dem Weg dorthin hörte er dumpf die beiden Krankenschwestern miteinander sprechen, wie sie über das geeignete Zimmer berieten, während sie sein Bett durch die Gänge schoben.

      „Fahr mern am besdn auf die Viererzwanzich. Die Fümferzwanzich hald mer uns in Reserve, falls villeichd doch noch a ernsder Fall reikummd.“

      Falls ein ernster Fall hereinkommt. Das relativierte die Vorstellung, die Peter mit dem Begriff Intensivstation bisher verbunden hatte und die, so lange er zurückdenken konnte, immer so etwas wie höchste Alarmstufe vermittelte, zumindest ein wenig. In der jetzigen Situation war alles, was zu seiner Beruhigung beitragen konnte natürlich herzlich willkommen. So auch diese so leicht dahin gesagte Bemerkung, die seinen Fall, zumindest in den Augen der Profis, als weniger kritisch einstufte als er selbst es getan hatte. Der Grad seiner Entspannung erreichte ein neues Niveau. Anscheinend war er noch einmal davon gekommen. Er war dankbar und zufrieden.

      Die Nacht verlief ruhig, wenngleich er es als sehr unangenehm empfand, dass er wegen des Druckverbandes, den man zum Verschließen der Einschnittstelle an der Leiste anlegen musste, gezwungen war still zu liegen und man ihm deshalb eine Urinflasche zur Benutzung im Bedarfsfalle an sein Bett gehängt hatte. Ihm war das alles extrem peinlich, auch wenn dies für die Pflegerinnen und Pfleger eine selbstverständliche und alltägliche Routine darstellte. Und nichts trinken, wie er sich das anfangs gedachte hatte, das kam überhaupt nicht in Frage, darauf achtete das Krankenhauspersonal peinlichst genau. Alle halbe Stunde weckte ihn, sofern er doch einmal ein bisschen eingenickt war, ein Brummen zur Linken und das daraufhin folgende Aufpumpen der Blutdruckmanschette. Die Werte, die er auf dem über seinem Bett angebrachten Monitor verfolgen konnte, trugen zu seiner weiteren Beruhigung bei. Alles gut!

      Am frühen Morgen, für die anderen Patienten gab es gerade Frühstück, durfte er bereits zurück auf sein „altes“ Zimmer. Er hatte in der Zwischenzeit einen Zimmergenossen bekommen. Auf dem Bett gegenüber saß, auf der Bettkante balancierend ein älterer Herr mit unheimlich traurigen Augen, schneeweißem, sauber gestutzten Dreitagebart und einem Haarschnitt, der ihn zusammen mit seiner markanten, fleischigen Nase und den typischen Gesichtszügen in Peters Augen eindeutig als Orientalen auswies. Er tippte auf den Nahen Osten oder eventuell Nordafrika. Der Mann verzog sein leidendes Gesicht zu einem freundlichen Grinsen, wandte sich dann aber gleich wieder ab. Er schien etwas scheu zu sein. Vielleicht hatte er ja auch Schwierigkeiten, sich in Deutsch auszudrücken. Das war wenigstens Peters erster Eindruck.

      Im Moment war ihm dies ganz recht, denn er war verständlicherweise rechtschaffen müde. Immerhin hatte er seit Samstagfrüh keine Minute mehr geschlafen. Den Tag über hatte es zuhause genug zu tun gegeben, am Abend waren sie dann zur Geburtstagfeier aufgebrochen, hatten die ganze Nacht durchgefeiert und dann kam die aufregende Zeit in der Notaufnahme, gefolgt vom Eingriff mit dem Herzkatheter, und einer weiteren durchwachten Nacht auf der Intensivstation. Peter war daher gänzlich ermattet und fiel, obwohl völlig überdreht, in einen unruhigen Schlaf. Als er wieder aufwachte, wurde gerade das Mittagessen gebracht. Die Pflegerin fragte ihn, ob er am Tisch oder auf seinem Bett sitzend essen wolle. Er entschied sich für den Tisch. Es ging ihm gut genug und er wollte so bald wie möglich zur Normalität zurückkehren. So kam es, dass er seinem Zimmerpartner, Anwar al-Hamadi, wie er später mittels eines interessierten Blicks auf das Namenschild an gegenüberliegenden Bett feststellte, erstmals aus nächster Nähe in die auffällig traurigen Augen blickte. Sie verständigten sich mit Gesten und den wenigen deutschen Worten, die al-Hamadi beherrschte, wobei das Wort beherrschte bereits eine Übertreibung darstellte. Wahrscheinlich war er noch ganz neu in Deutschland, vielleicht sogar einer der vielen hunderttausenden von Flüchtlingen, die gegenwärtig Deutschland auf der Flucht vor Terror und Krieg in ihren Heimatländern buchstäblich überfluteten. Dass er gläubiger Moslem war, wurde sehr schnell klar, als er, mit dem Finger auf sein Fleisch deutend das Wort „Schwein?“ radebrechte. Peter war sich eigentlich ganz sicher, dass es sich um ein Putenschnitzel handelte, denn er hatte das gleiche Menu auf seinem Teller liegen, wollte aber sicher gehen, dass er sein Gegenüber nicht in einen Gewissenskonflikt stürzte und stand auf, um sich vorsichtshalber bei den Schwestern zu erkundigen. Auf seine entsprechende Frage antwortete die Schwester freundlicher, als Peter aufgrund der unwillkommenen Störung erwartet hätte:

      „Der Herr al-Hamadi? Der hat, so viel ich weiß, Putenfleisch bestellt. Dann ist es sicher auch Pute.“

      Peter dankte und machte sich auf den kurzen Weg zurück. Die Schwester schaute verwundert hinterher. Was das wohl für einer war, der gleich, kaum dass er sich wieder einigermaßen auf den Beinen halten konnte, den Dolmetscher und Betreuer seines Mitpatienten spielte? Zurück im Zimmer gab Peter dem Leidensgefährten die gewünschte Auskunft. In Englisch zunächst. Turkey. Wobei er bei der bewährten Kommunikationsmethode blieb und mit ausgestrecktem Zeigefinger auf das inzwischen kalte Schnitzel deutete, damit es kein sprachliches Missverständnis gab, denn Turkey bedeutet im Englischen auch Türkei. Nicht dass der Mann glaubte er wolle wissen, ob er aus der Türkei stamme und noch dazu, dass Peter ein neugieriger Mensch wäre. Wieder dieses bemühte, aufgesetzte Lächeln. Gegessen hat er das Fleisch dann doch nicht. Vielleicht hatte er Angst, dass zwar das Fleisch von der Pute stammte, die Soße aber doch aus Schwein hergestellt wurde oder dass sie wenigstens mit Speck angereichert war. Ein Problem, das Peter aus seiner früheren Firma sehr gut kannte, wo es regelmäßig mit dem Kantinenkoch Krach gab, nur weil das vermeintlich moslemisch unbedenkliche Essen in einem Behälter erwärmt wurde, der irgendwann schon einmal das verbotene Schweinefleisch enthalten hatte. Tatsächlich aß der Mann lediglich den trockenen Reis. Wie konnte er nur damit auskommen, wo Peter selbst nachdem er alles aufgegessen hatte, immer noch einen heftig nagenden Hunger verspürte. Doch in dieser Hinsicht sollte es bald Aufklärung geben.

      Kurz nach dem Essen erschien eine mit Ausnahme des obligatorischen Kopftuchs durchaus europäisch gekleidete Frau um die Fünfzig, offenbar die Ehefrau des Mannes und brachte in einem blank polierten Kochgeschirr eine hausgemachte Mahlzeit, über die sich der Hungrige dann auch sofort eifrig hermachte. Mit seiner ausgestreckten Handfläche deutete er auf den Topf und lud Peter auf