Franziska Hartmann

Doran


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Fieberhaft überlegte ich, was ich nun tun sollte. Die Trévarda waren nicht weit entfernt. Wenn ich es zu ihnen schaffen würde, wäre ich vermutlich wesentlich sicherer als dort, wo ich mich nun befand. Doch um direkt zu ihnen zu laufen, hätte ich mich aus meinem Versteck begeben müssen. Ob der Bogenschütze noch da war und auf mich lauerte? Vorsichtig lugte ich am Baumstamm vorbei zum Gebüsch. Die Farben waren weg. Doch das beruhigte mich keinesfalls. Wenn er nicht mehr im Gebüsch hockte, wo war er dann? Langsam trat ich hinter dem Baum hervor, mit meinen Augen wachsam die Gegend absuchend. Das Rauschen auf meinen Ohren ließ nach. Stattdessen hörte ich nur das leise Rascheln des Grases unter meinen Füßen. Plötzlich ertönte hinter mir ein Knacken. Ich fuhr herum. Doch da war niemand. Es war nur ein Eichhörnchen gewesen, das von Ast zu Ast gesprungen war und dabei das Holz zum Knirschen gebracht hatte.

      „Sieh einer an, es ist wirklich unser Adlerauge.“

      Ruckartig drehte ich mich zurück, als hinter mir eine Männerstimme erklang. Mir gefror das Blut in den Adern. Direkt vor mir stand der Mann, dem ich bei meinem gescheiterten Fluchtversuch ins Gesicht gespuckt hatte. Er trat noch einen weiteren Schritt auf mich zu. „Hat dein Feuergeistfreund da drüben dich gerettet?“ Er nickte zu Bryos‘ leblosem Körper.

      Ich atmete schnell. Panisch überflog ich die Gestalt vor mir. Er hielt einen Bogen in der linken Hand. Doch der Köcher auf seinem Rücken war leer.

      „Was für eine Enttäuschung, dass du ihn nicht retten konntest.“ Sein Blick wollte falsches Mitleid ausdrücken. Doch seine aggressiv roten Farben spuckten mir nur Schadenfreude entgegen. Er ließ seinen Bogen fallen und hob die Hände. Da wurde mir klar, dass er sich jeden Augenblick auf mich stürzen würde. Vielleicht würde er mich verprügeln. Vielleicht würde er mich erwürgen. So viel wollten mir die Farben nicht verraten. Eine neue Welle Angst wallte durch meinen Körper und lähmte mich für eine Sekunde. In dieser Sekunde wanderte meine Aufmerksamkeit zum Gewicht an meinem Gürtel. Meine rechte Hand tastete nach dem hölzernen Griff an meiner Seite. Und während sich die Hände des Mannes auf meinen Kopf zubewegten, zog ich den Dolch hervor und stieß ihn, ohne weiter darüber nachzudenken, nach vorn. Die Augen des Mannes weiteten sich überrascht. Meine Hände wurden warm. Erschrocken ließ ich den Dolch los und trat zurück. Jede Muskelfaser zum Zerreißen gespannt, sank der Jäger auf die Knie, die Hände auf seinen Bauch gepresst. Blut bedeckte seine Kleidung. Ich blickte auf meine Hände hinab. Meine rot verfärbten Hände. Dann wieder zu dem Jäger, der zur Seite kippte und sich auf den Rücken rollte.

      „Du… du kleiner dreckiger…“ Er atmete schwer. „Du kleiner dreckiger Bastard.“

      Vorsichtig trat ich wieder näher an ihn heran und starrte auf das Dolchheft, das aus seiner Bauchdecke ragte. Hatte ich das getan? Hatte ich ihn wirklich mit meinem Dolch angegriffen?

      Seine Farben flackerten. Sein Körper befand sich in einem absoluten Ausnahmezustand und arbeitete auf Hochtouren. Ich wusste, wenn er nicht schnell Hilfe bekommen würde, würde er sterben. Ich beugte mich zu ihm hinunter. Dem Mann, der hunderte meinesgleichen in den Tod geschickt hatte. Und Bryos. Ich sah, wie er sich unter Schmerzen wand und nicht zu wissen schien, wohin mit sich. Und ich schämte mich für den Gedanken, der mir dabei in den Kopf kam: Er hatte es verdient. Zögerlich legte ich eine Hand um das blutverschmierte Heft. Dann zog ich es mit einem Ruck aus dem Körper. Der Mann stöhnte. Dann rannte ich davon.

      „Der König hat recht“, hörte ich den Jäger mir noch hinterherrufen. Seine Stimme klang hysterisch. „Ihr… ihr seid Monster! Alle! Ihr seid schreckliche, widerwärtige Monster!“

      Ich hetzte durch den Wald, den Dolch mit meiner Hand fest umklammert. Ich verschwand im Farbnebel der Trévarda. Tränen brannten heiß auf meinen Wangen. Er hat Bryos getötet. Und ich hatte gewusst, dass das geschehen würde. Ich hatte es seit einer Woche gewusst. Und ich hatte es nicht verhindern können. Oder hatte ich das vielleicht selbst heraufbeschworen? War ich schuld daran, dass das passiert war? Ich stolperte über eine knorrige Baumwurzel. Mir fiel der Dolch aus der Hand und ich fing meinen Sturz mit den Händen ab. Eilig suchte ich den Boden nach der Klinge ab. Als ich sie gefunden hatte, sammelte ich sie auf und sprang trotz schmerzender Beine wieder auf. In der Ferne konnte ich durch die Bäume hindurch bereits die Weite des Tals sehen. Und obwohl Cirian mir Schutz zugesagt hatte, fühlte ich mich erst sicher, als ich den Wald endgültig verlassen und das Tal direkt vor mir hatte.

      Ein Tal, das mir plötzlich schrecklich leer erschien. Denn das Herz dieses Tals hatte ich im Wald zurückgelassen. Und es würde niemals wiederkehren.

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