Franziska Hartmann

Doran


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„Dann gibt es aber auch noch jene Feuergeister, die genau diese Zerbrechlichkeit, die Andersartigkeit, anziehend finden. Sie sind nahezu vernarrt in die Menschen. Sie lieben sie. Wie dein Vater.“

      Mir blieb der Bissen beinahe im Halse stecken. Mühevoll schluckte ich ihn hinunter. „Ich glaube, da irrst du dich“, widersprach ich Bryos. „Mein Vater liebt die Menschen nicht. Sonst wäre er nicht gegangen.“ Ich mied es, Bryos anzusehen. Doch ich spürte seinen Blick auf mir.

      „Das tut mir leid, Junge“, sagte Bryos nach einem Moment der Stille. „Dein Vater muss ein Tor sein, solch einen talentierten, besonderen Sohn wie dich zu verlassen.“

      „Vielleicht bin ich nicht so besonders, wie du denkst“, meinte ich.

      „Nicht besonders?“, wiederholte Bryos empört. „Das, was ich bisher von dir gesehen habe, sagt mir da etwas anderes.“

      Auch wenn sich etwas in mir weigerte, Bryos Glauben zu schenken, legten sich seine Worte wie Balsam über meine Seele. Ich spürte, dass sie mich beruhigten. Und trotz jeglichen inneren Widerstands gaben sie mir das Gefühl, wertvoll zu sein. Ohne ein weiteres Wort nahm ich wieder Holz und Messer zur Hand. Den Rosenanhänger hatte ich bereits fertiggestellt. Nun widmete ich mich meinem Drachen und versuchte, mich von meiner Aufregung abzulenken. Meiner Aufregung ob Kotos Rückkehr. Würde ihm mein Anhänger gefallen? Würde er etwas zu mäkeln haben? Würde ich womöglich schuld daran sein, wenn Bryos einen Kunden verlor? Ich vertiefte mich in meine Schnitzerei. Gerade war ich dabei, den linken Flügel auszuarbeiten, als der gefürchtete Besuch kam.

      „Ich bin hier, um meine Bestellung entgegenzunehmen.“ Koto klang verbissen und herablassend.

      „Doran, kümmerst du dich bitte um den Kunden?“, bat Bryos mich.

      Mit großen Augen sah ich ihn ängstlich an. Doch Bryos nickte mir nur kaum merklich ermutigend zu. Was ich jedoch viel ermutigender fand, war die Art, wie seine warmen orangegelben Farben in ein helles Blau übergingen. Es beruhigte mich, als würde ich in einen strahlenden Himmel schauen. Meine Beine wackelten unter mir, als ich mich vom Kissen erhob und eine kleine Schachtel vom Tisch nahm. Während ich sie Koto über den Tisch hinweg reichte, mied ich es, zu ihm aufzuschauen. Mein Blick war nur auf meine eigenen Hände gerichtet.

      Unwirsch riss Koto mir die Schachtel aus den Händen und hob den Deckel an.

      Stille.

      Dann hörte ich, wie Koto die Schachtel wieder schloss. „Wollt ihr mich etwa auf den Arm nehmen?“, donnerte Koto.

      Ich zuckte zusammen. Ich hatte es gewusst. Ich würde ihn enttäuschen. Ihn und damit auch Bryos.

      „Das hat dieser Junge niemals geschnitzt!“, behauptete Koto.

      Es kostete mich Überwindung, zu ihm aufzuschauen. Seine Aura warf Flammen. Aber da war noch mehr als das aggressive Rot. Dazu mischte sich ein wohliges Orange. Ihm gefiel mein Anhänger. Ich nahm all meinen Mut zusammen. „Doch, Herr. Der Anhänger ist von mir.“

      Kotos Augen flackerten. Ungläubig schaute er zu Bryos. Dann zurück zu mir. „Wie viel möchtest du für dieses Schmuckstück haben?“, fragte er mich zerknirscht. Er hatte sich sichtlich darauf gefreut, mich erneut niederzumachen und war nun enttäuscht, dass er keinen Grund dazu hatte.

      Unsicher warf ich einen Blick zurück zu Bryos.

      „Dreißig Rhipa“, half Bryos mir.

      Kotos Lippen waren nur noch ein schmaler Strich, während er in seinem Geldbeutel kramte und mir eine goldene Münze in die Hand drückte. „Behalt den Rest.“ Dann wandte er sich um und ging.

      Mit offenem Mund starrte ich ihm hinterher. Dann schaute ich hinab auf meine Hand und öffnete sie langsam. Das war eine goldene Rhipamünze. Ich drehte mich mit noch immer geöffnetem Mund zu Bryos um. Er grinste mich an. „Bryos“, hauchte ich, „d… das sind fünfzig Rhipa! Fünfzig!“

      „Dein fünfzig Rhipa“, ergänzte Bryos. „Behalt sie. Das ist dein Lohn.“

      Ich war fassungslos. Wie gelähmt stand ich da und konnte nicht glauben, dass das gerade wirklich passiert war.

      „Das hast du sehr gut gemacht. Aus dir wird noch ein richtig guter Händler“, meinte Bryos. „Aber ich würde vorschlagen, du gehst jetzt zurück zu den Heilerstätten. Das war ein aufregender Tag für dich. Gönn dir etwas Ruhe.“

      Ich wollte gern hier weiter mit Bryos sitzen. Aber ich war tatsächlich erschöpft. Und meine Beine fühlten sich noch immer an wie Pudding. „Kann ich meinen Drachen mitnehmen?“

      „Selbstverständlich.“

      Ich hob meinen halbfertigen Drachen und mein Messer vom Boden auf.

      Als ich mich wieder aufrichtete und Bryos ein Abschiedslächeln schenken wollte, ließ ich Holz und Messer wieder fallen. Bryos saß plötzlich mit leerem Blick vor mir. In seiner Brust steckte ein Pfeil. Und sein Hemd war blutdurchtränkt. Dieses Bild flimmerte nur für den Bruchteil einer Sekunde vor mir, dann zerstreuten sich Pfeil und Blut in unzählige dunkle Farben. Der Glanz kehrte in Bryos‘ Augen zurück. Doch die dunklen Farben hingen weiterhin schwer zwischen den kräftigen, warmen Farben, die ich von ihm gewohnt war.

      „Doran? Träumst du wieder?“, fragte Bryos mich.

      Ich schüttelte den Kopf, um zurück in die Realität zu kommen und bückte mich erneut, um meine Sachen wieder aufzusammeln. „Ja… Scheint so…“ Hastig drehte ich mich um, ohne Bryos noch einmal anzusehen.

      „Kommst du morgen wieder?“, rief Bryos mir nach.

      „Ja“, antwortete ich und lief davon.

      Während ich durchs Tal eilte, versuchte ich, so wenig wie möglich nach links und nach rechts zu schauen. Was hatte ich da eben gesehen? War das echt gewesen? Würde das wirklich passieren? Nein, bestimmt nicht. Mein Auge spielte mir einen Streich. Es wollte mir Angst machen. Aber darauf würde ich nicht hereinfallen.

      Doch ich bekam das Bild nicht aus dem Kopf. Es beunruhigte mich. Und plötzlich erschienen mir alle Farben, die ich sah, bedrohlich. Ich wollte sie nicht sehen. Ich hatte Angst, sie würden sich wieder verwandeln. In irgendetwas Schreckliches.

      Als ich bei meiner Hütte ankam, riss ich den Vorhang beiseite, stolperte in das Zimmer, legte das Messer, den Drachen und die Münze neben den Wolf auf den Tisch und verkroch mich unter meiner Bettdecke. Ich zog sie bis über meinen Kopf. Dunkelheit. Endlich Dunkelheit.

      „Doran?“

      Ich antwortete nicht. Ich war mir nicht ganz sicher, ob es Amber oder Kaya war.

      „Doran, ist etwas passiert?“

      Ich schüttelte den Kopf, ehe mir einfiel, dass die Fragende meinen Kopf unter der Bettdecke gar nicht sehen konnte. „Nein, ich bin nur müde.“

      „Möchtest du noch zu Abend essen?“

      „Nein, ich habe keinen Hunger.“

      „Ist wirklich alles in Ordnung? Möchtest du reden?“

      „Nein.“ Geh einfach. Bitte geh einfach.

      Sie schien meine Gedanken zu hören. Ich lauschte den Schritten, die sich aus dem Raum bewegten. Stille.

      Und als ich mir sicher war, dass ich alleine war, weinte ich. Ich wusste gar nicht, wo die Tränen plötzlich herkamen, aber sie schienen niemals enden zu wollen. Es fühlte sich an, als hätte sich in mir ein ganzer See an Tränen angestaut, der nun überlief und aus meinen Augen strömte. Immer wieder dachte ich an Bryos. An den Pfeil in seiner Brust. Und an die Halbblute, die gestorben waren. Und ich hatte es gewusst. Ich hatte es die ganze Zeit gewusst. Ich wollte diese Dinge nicht sehen. Ich wollte, dass es aufhörte. Ich wollte mich nicht daran erinnern. Aber ich bekam die Bilder einfach nicht aus meinem Kopf. Ich drückte mein Gesicht in mein Kissen. Und schrie. Schrie, so laut ich konnte, meine erstickten Schreie in den weichen Stoff. Ich hörte erst auf zu schreien, als ich spürte, wie etwas die Decke auf mir beschwerte. Jemand strich mir über den Rücken.