Franziska Hartmann

Doran


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Betrübt senkte sie den Blick. „Es tut mir leid.“

      Mein Mund wurde trocken, als sie die Worte aussprach. Obwohl ich bereits gewusst hatte, dass sie soeben mit angesehen hatte, wie ein Halbblut seinen Verletzungen erlegen war. „Lilly und ich… sind die Einzigen?“

      Kaya nickte.

      Ich dachte an die vielen Kinder, die mit uns gemeinsam eingesperrt gewesen waren. Die mit uns gemeinsam gelitten hatten. Mit denen ich mich teilweise angefreundet hatte. Leon. Sie alle sollten… tot sein? Das war nicht möglich. Das konnte nicht sein. Mir wurde schlecht.

      „Komm, wir gehen spazieren.“ Kaya streckte erneut ihre Hand nach mir aus. Diesmal nahm ich sie zögerlich und ließ mich von ihr aus dem Bett ziehen. Ich folgte ihr hinaus in die grüne Landschaft. Die Aussicht beruhigte mich ein wenig. Ich spürte neugierige Blicke auf mir, während wir durch das Tal liefen. Wir trafen auf einige Feuergeister, die Kaya freundlich grüßten. Sie zeigte mir den Marktplatz, auf dem sich die Bewohner des Tales nur so tummelten. Am Stand eines Holzschnitzers blieb ich stehen. Bewundernd beobachtete ich, wie der Mann in seinem Standzelt auf einem Hocker saß, inmitten von Holzspänen, und mit einem Messer die detailreichsten Figuren schnitzte.

      „Gefällt dir das?“, fragte Kaya.

      Ich nickte. Mittlerweile erkannte ich, dass der Mann gerade eine Drachenfigur anfertigte, die etwa so groß wie seine Hand war. „Das möchte ich auch können.“

      Der Mann hielt inne und schaute von seiner Arbeit auf. Obwohl er mich mit einem warmen Lächeln begrüßte, spannte ich mich unter seiner Aufmerksamkeit an. „Soll ich dir ein paar Handgriffe zeigen, Junge?“

      Ich war überrascht von seinem Angebot. Unsicher schaute ich zu Kaya.

      „Möchtest du?“, fragte sie.

      Wieder nickte ich.

      „Na, dann komm mal her.“ Der Mann winkte mich zu sich. Er erhob sich kurz, um das Kissen, auf dem er auf dem Hocker saß, hervorzuziehen und vor sich auf den Boden zu legen. „Setz dich nur.“

      Ich tat, wie mir geheißen und machte es mir auf dem Kissen gemütlich.

      „Was hältst du davon, wenn ich dich hier zum Abendessen wieder abhole?“, fragte Kaya.

      Ich schielte zu dem Schnitzer. Denn ich war der Meinung, dass nicht ich das zu entscheiden hatte, sondern er.

      „Meinetwegen kannst du so lange bleiben, wie du magst“, sagte er.

      Kaya deutete mein daraufhin aufblitzendes Lächeln richtig: „Dann sehen wir uns später wieder, Doran.“

      Ich schaute ihr nach, wie sie über den Markt zurück zu den Heilerhütten ging. Als ich mein Gesicht wieder dem Mann zuwandte, schwebte direkt vor meiner Nase ein Holzgriff. Er gehörte zu einem kleinen Schnitzmesser, das der Mann mir entgegenstreckte. Ich starrte unsicher darauf.

      „Nimm nur! Ohne Messer gestaltet sich das Schnitzen schwierig“, lachte der Mann.

      Ich legte meine Hand um den hölzernen Griff und nahm das Messer entgegen. Die Sonne ließ die scharfe Klinge aufblitzen. Ich dachte daran, dass diese Klinge nahezu wie ein Schmuckstück war: Rein und funkelnd wie ein Diamant.

      „Doran ist also dein Name“, sagte der Mann ruhig.

      Ich nickte.

      „Freut mich, dich kennenzulernen, Doran. Ich bin Bryos. Hast du schon einmal so ein Werkzeug in der Hand gehabt?“

      Ich schaute wieder auf das Messer in meiner Hand. „Ich glaube, noch keines war so scharf wie dieses.“

      Bryos lächelte. „Hier kommt deine erste Lektion: Ein guter Holzschnitzer kümmert sich gut um seine Messer. Eine gut geschärfte Klinge schneidet durch Holz wie Butter. Eine stumpfe Klinge bringt dem besten Schnitzkünstler nichts.“

      Ich nickte.

      Bryos deutete auf einen großen, robust aussehenden Sack, der neben ihm stand. „Such dir ein Stück Holz aus.“

      Ich krabbelte zu dem Sack und wühlte darin herum. Bryos besaß Holzstücke in etlichen Formen und Größen. Ich entschied mich für ein nicht zu kleines, aber dennoch handliches, quaderförmiges Stück und setzte mich damit zurück auf mein Kissen.

      „Gut. Halt das Messer so, siehst du?“ Er beugte sich zu mir und zeigte mir, wie sein Messer in seiner Hand lag. „So ist es gut. Und schneide von deinem Körper weg. Ich möchte dich nachher nicht mit neuen Wunden an Kaya übergeben. Hast du dir überlegt, was du schnitzen möchtest?“

      Ich zeigte mit dem Finger auf einen Wolf, der auf dem Verkaufstisch stand. „Den finde ich schön.“

      Bryos lachte. „Da hast du dir aber was vorgenommen. Vielleicht solltest du mit etwas Leichterem anfangen.“

      Doch ich schüttelte entschlossen den Kopf. „Ich möchte einen Wolf schnitzen.“

      Bryos hob eine Augenbraue. „Na gut, wie du willst. Dann schnitzen wir jetzt zusammen einen Wolf.“ Er zeigte mir zunächst ein paar verschiedene Schnitztechniken. Dann ließ er mir die Freiheit, mich einfach auszuprobieren. „Aber ich will kein Gejammer hören, wenn dein Wolf Klumpfüße bekommt.“

      Ich grinste. Ich mochte Bryos. Auch wenn er sich lustig über mich machte. Ich mochte die Farben, die ihn umgaben. Manche Wesen trugen ein grell leuchtendes Farbfeuer mit sich herum, dass es schmerzte, sie anzusehen. Bryos aber saß dort vor mir zwischen warmen Rot-, Orange- und Violetttönen, die allesamt weich und sanft waren, sodass ich mich mit jeder Minute wohler in seiner Nähe fühlte. Es war lange her, dass ich mich an einem Ort sicher gefühlt hatte. Doch hier tat ich das. Während ich das Messer durch das Holz gleiten ließ und Schicht für Schicht von meinem Holzklotz abtrug, vergaß ich alles um mich herum. Ich vergaß die Zeit, ich vergaß, dass ich nicht zu Hause war, ich vergaß, dass ich vor wenigen Tagen noch auf einem Scheiterhaufen gefesselt gewesen war und ich vergaß meine Wut auf meinen Bruder. Zwischendurch registrierte ich, wie Bryos seinen Platz verließ, um Interessenten zu begrüßen, zu beraten und seine Ware zu verkaufen. Aber in keiner Sekunde wandte ich meinen Blick vom Holz ab. Ich hatte den Wolf vor Augen. Ich konnte ihn ganz genau in diesem Stück Holz sehen. Den Kopf mit den spitzen Ohren, die Struktur des Fells auf seinem Körper. Ich wusste nicht, wie lange ich an meinem ersten Werk saß. Als ich glaubte, fertig zu sein, hielt ich die Holzfigur in der Hand und drehte sie hin und her, um sie von allen Seiten zu betrachten und auf noch vorhandene Mäkel zu untersuchen. Ich wurde unterbrochen, als Bryos mir die Figur aus der Hand nahm. Überrascht und etwas erschrocken schaute ich zu ihm auf.

      Er studierte die Figur wie ich zuvor aus jedem Winkel. Dann sah er mich an. „Du hast ein gutes Auge. Und beachtliches handwerkliches Geschick.“ Er stellte meinen Wolf neben den, der noch immer auf dem Tisch stand. Hätte ich nicht gewusst, welcher meiner war und wären die Holzstücke nicht unterschiedlich gemasert gewesen, hätte ich sie nicht voneinander unterscheiden können.

      „Und du hast wirklich noch nie geschnitzt?“, hakte Bryos noch mal nach.

      „Nein, wirklich nicht“, schwor ich.

      Bryos lächelte und gab mir den Wolf zurück. „Dann hast du meinen größten Respekt, mein Junge. Schau mal, Kaya erwartet dich.“ Er nickte zum Marktplatz.

      Tatsächlich kam Kaya gerade auf uns zu. „Hallo Doran! Und hast du Spaß gehabt?“

      „Schau mal, was ich gemacht habe!“ Stolz stand ich auf und streckte ihr den hölzernen Wolf entgegen.

      Kayas Augen weiteten sich. „Den… hast du gemacht?“, fragte sie ungläubig.

      Ich nickte.

      „Der ist wunderschön geworden“, lobte Kaya meine Arbeit, was mich umso stolzer machte.

      „Danke, dass ich mit dir schnitzen durfte, Bryos“, sagte ich zum Abschied und reichte ihm das Schnitzmesser zurück.

      Doch statt es entgegenzunehmen, legte er nur seine großen schwieligen Hände um meine und den Messergriff und drückte