Franziska Hartmann

Doran


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antwortete ich.

      Amber lächelte. „Dann ist das hier ja quasi dein zweites Zuhause.“

      Bisher hatte ich Amber wirklich gemocht. Aber irgendetwas an ihrer Aussage stach in meiner Brust. Ihre Worte bohrten sich in meinen Kopf und lösten dort etwas aus, womit ich nicht gerechnet hatte. Mein gesamter Körper spannte sich an. Und ich wurde wütend.

      „Versuch, etwas zu schlafen, Doran. Du musst dich viel ausruhen.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Amber von mir, nahm das Tablett von meinem Schoß und ging.

      Irritiert von meinen Gefühlen legte ich mich auf die Seite und zog die Decke zu meinem Kinn hinauf. Warum war ich wütend? Dann ist das hier ja quasi dein zweites Zuhause. Das war doch eigentlich eine freundliche Aussage. Sie bot mir eine neue Heimat. Sie wollte mir das Gefühl geben, hier willkommen zu sein. Doch ich wusste, wo der Fehler war.

      Das hier war nicht mein Zuhause. Mein Zuhause war in der Stadt bei meiner Mutter. Das hier würde nie mein Zuhause sein. Der einzige Feuergeist, dem ich je wirklich nahe gestanden hatte, hatte mich, meine Geschwister und meine Mutter allein gelassen. Wie sollte das Tal solcher Wesen je meine Heimat werden?

      Ich grübelte lange darüber nach. Der Gedanke an eine neue Heimat brachte mich um den Schlaf. Genauso wie das Gefühl der Einsamkeit, das sich von innen durch meinen gesamten Körper fraß, wie ein ausgehungertes Tier. Dabei gab es doch bei mir gar nichts mehr zu holen. Ich war doch bereits leer. Ich zog die Knie an und schlang die Decke noch enger um mich. Schlaf, Doran. Schlaf. Ich versuchte, meine Gedanken zur Ruhe zu bringen, um einschlafen zu können. Tatsächlich schaffte ich es irgendwann. Doch die Gedanken ließen mir keine erholsame Nacht. Sie verfolgten mich bis in meine Träume, die damit endeten, dass ich in Flammen stand. Hilflos. Es gab kein Entkommen. Nur endloses Feuer. Und niemals verhallende Schreie.

      DAS HERZ EINES WOLFS

      Der letzte Schrei, den ich in der Nacht hörte, war mein eigener, als ich schweißgebadet erwachte. Kurz darauf erschien Amber in meinem Zimmer. „Doran, was ist passiert?“, fragte sie mich geschockt.

      Ich atmete schwer. Dann schüttelte ich den Kopf. „Nichts. Ich habe nur schlecht geträumt.“

      „Soll ich dir einen heißen Tee machen?“, bot Amber mir an. „Das beruhigt Körper und Geist.“

      In dem Moment, in dem ich dankbar nickte, wirbelte ein roter Lichtstreifen um Ambers linke Hand. „Pass auf, dass du dich nicht verbrühst, wenn du den Tee aufgießt“, sagte ich.

      Sie schaute mich kurz irritiert an, dann verließ sie den Raum. Ich schloss die Augen. Heute würde ein schlimmer Tag werden. Ich war unausgeschlafen. Die Farben tanzten wild und grell vor meinem goldenen Auge. Ich öffnete die Augen erst wieder, als ich hörte, wie der Vorhang beiseitegeschoben wurde. Amber trat ein. Sie hielt einen Becher in der rechten Hand. Die linke war mit einem feuchten Stofftuch umwickelt. Ohne ein Wort zu sagen, stellte sie den Becher neben mir auf einen kleinen Tisch. Dort blieb sie stehen, hielt sich die verhüllte Hand und schaute eine Weile schweigend auf diese herab. Dann sah sie mich an. Durch ein buntes Farbenmeer aus Verwirrung, Überraschung, Skepsis und Bewunderung. „Ich habe mir beim Teekochen die Hand verbrannt“, sagte sie. Sie stellte diese Tatsache einfach in den Raum. Doch ein gewisser Unterton verlangte eine Erklärung, als wäre ich schuld daran, dass sie sich verletzt hatte.

      Beschämt schaute ich auf meine Bettdecke.

      „Doran, wusstest du, dass ich mich verbrennen würde?“

      Ich reagierte nicht.

      „Du bist ein Seher! Bei der Feuergöttin Fulvia! Weißt du, wie selten deine Gabe ist?“

      Je begeisterter Amber klang, desto unwohler fühlte ich mich.

      „Was kannst du noch alles sehen?“, fragte sie mich.

      Nun verkrampfte sich endgültig alles in mir. „Mal dies, mal das“, antwortete ich ausweichend. Ich sehe, was die Leute lieben. Ich sehe, was sie hassen. Ich sehe, wie sie heißen. Ich sehe, wo sie herkommen. Ich sehe ihre Zukunft. Ich sehe ihren Tod.

      Zum Glück schien Amber endlich zu merken, dass ich ihre Begeisterung nicht teilen konnte. „Kann ich dir noch etwas Gutes tun?“

      Ich schüttelte den Kopf.

      „In Ordnung, Doran. Dann lasse ich dich erst einmal wieder allein. Ich hoffe, du kannst nach dem Tee noch ein wenig schlafen.“ Amber wartete noch kurz auf eine Antwort. Als ich ihr keine gab, ging sie langsam hinaus. Ich nahm den Tee von meinem Tisch und pustete, um das Getränk abzukühlen. So saß ich da, nahm immer mal wieder kleine Schlucke und beobachtete dazwischen den vom Becher aufsteigenden Dampf, bis es draußen hell wurde und der Becher leer war.

      „Frühstück!“ Kaya kam hereingeschneit und brachte ein Tablett mit einer Schüssel und einem Becher darauf mit. Sie stellte es mir auf den Schoß. In der Schüssel erkannte ich Haferbrei mit Beeren und der Becher war erneut mit Tee gefüllt. „Wie fühlst du dich?“, fragte Kaya.

      „Müde“, antwortete ich knapp und nahm den Löffel neben der Schale in die Hand, um damit im Brei herumzurühren.

      Kaya entging die Geste nicht. „Magst du keinen Haferbrei?“

      „Doch.“ Ich nahm einen Löffel. Eigentlich mochte ich Haferbrei wirklich. Mutter hatte ihn oft gekocht. Vielleicht schmeckte er mir genau deshalb diesen Morgen nicht.

      „Hm… Fühlst du dich bereit, deine Schwester zu besuchen?“

      Auf einmal war ich hellwach. „Darf ich denn?“

      Kaya lächelte und nickte. „Wenn du möchtest, können wir nach dem Frühstück gemeinsam zu ihr gehen, Ich komme einfach gleich wieder, wenn du…“

      „Warte!“, unterbrach ich sie und schaufelte plötzlich so schnell wie möglich den Haferbrei aus der Schale.

      „Ganz in Ruhe. Verschluck dich nicht!“, mahnte Kaya. Doch da hatte ich mein Frühstück bereits verputzt.

      „Fertig!“, sagte ich, nachdem ich auch den Tee ausgetrunken hatte. Ich stellte das Tablett auf den Tisch, schlug die Bettdecke zur Seite und sprang auf. Mir wurde schummrig.

      Kaya umklammerte meinen Arm, als ich zur Seite taumelte, um mich zu stützen. „Nicht so hastig, junger Mann! Ich lasse dich nur zu deiner Schwester, wenn du mir versprichst, vorsichtig zu sein und auf dich zu achten.“

      Ich nickte. „Entschuldigung.“

      Sie begleitete mich hinaus. Mit nackten Füßen trat ich in weiches, tiefgrünes Gras. Vor mir erstreckte sich eine grüne Landschaft mit hohen Bäumen, in denen teilweise Baumhäuser hingen. Und zwar waren das keine gebauten Häuser. Sie waren in die Bäume hineingewachsen, bestanden aus ineinander verschlungenen Ästen und Zweigen. Inmitten der Baumschar ragte ein felsiger Berg zum Himmel empor. Es war der Feuerberg. Er war so hoch, dass man ihn sogar von der Stadt aus sehen konnte. Doch von hier aus wirkte er noch sehr viel imposanter. Ich war ein einziges Mal im Tal der Feuergeister gewesen. Mein Vater hatte mich mal mitgenommen. Da war ich drei Jahre alt gewesen. Ich konnte mich nicht wirklich daran erinnern.

      Kaya führte mich an einer Reihe identisch aussehender Hütten vorbei. Am Ende der Reihe blieben wir stehen. Vorsichtig schob Kaya den roten Vorhang beiseite. „Hallo, Lilly. Ich habe Besuch mitgebracht.“

      Kaya winkte mich heran. Unsicher betrat ich die Hütte. Erschrocken blieb ich im Eingang stehen, als ich das kleine Mädchen auf dem Bett sitzen sah. Sie starrte mich aus großen braunen Augen an. Ihre rechte Gesichtshälfte war eine einzige Wunde. Die Haut leuchtete teils rot, teils war sie weiß verfärbt. Und ihre Haare waren kürzer, als ich es in Erinnerung hatte.

      „Bruder“, sagte sie leise.

      Ich ging langsam zu ihr und setzte mich neben sie auf einen Hocker. Ich nahm ihre Hand und drückte sie fest. „Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Ich bin da. Wir sind in Sicherheit.“

      „Ist Cuinn auch hier?“, fragte Lilly hoffnungsvoll.

      Ich