Franziska Hartmann

Doran


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flackerte wieder auf. Die Wut. Doch sie verfloss irgendwo zwischen den bunten Farben, die ich immer noch anstarrte. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich das Gefühl hatte, dass all meine Gedanken mit den Farben verschmolzen waren und ich mich schlafen legen konnte. Selbst als ich die Augen schloss, tanzten die Farben noch vor mir. Das geschah häufig. Zwar leuchteten sie nicht mit der gleichen Intensität wie mit geöffneten Augen, dennoch sah ich sie klar und deutlich. Manche Nächte hielten sie mich wach. Heute begleiteten sie mich in den Schlaf.

      DIE BESTE WAFFE

      „Darf ich wieder zu Bryos?“, fragte ich aufgeregt, nachdem ich mein Frühstück verdrückt hatte.

      Amber grinste. „Wenn du dich gut fühlst…“

      „Mir geht es blendend!“, sagte ich und sprang aus dem Bett. Das ging meinem Kreislauf etwas zu schnell und ich schwankte kurz, hielt mich aber diesmal eigenständig auf den Beinen. Als ich mich wieder gefangen hatte, lächelte ich Amber entschlossen zu.

      Sie hob zunächst skeptisch eine Augenbraue. Dann nickte sie jedoch in Richtung Ausgang. „Na los, verschwinde! Du lässt mir sonst sicher eh keine Ruhe, ehe du zum Marktplatz kannst. Kaya hatte mich schon vorgewarnt, dass du ganz vernarrt ins Holzschnitzen bist.“ Sie zwinkerte mir zu.

      Ich grinste. „Danke.“ Dann lief ich an ihr vorbei hin­aus. Die Morgensonne schien blass am hellblauen Him­mel. Ich sog die frische kühle Luft ein. Ich spürte, wie mit dem tiefen Atemzug neues Leben meinen Körper durchströmte. Es waren erst zwei Tage vergangen, seit­dem ich im Tal erwacht war. Und doch fühlte ich mich so energiegeladen wie lange nicht mehr. Ich lief mit neugierigen Augen durch das Tal. Fasziniert beobach­tete ich ein paar Kinder, die am Flussufer Fangen spielten. Kleine Funken tanzten um sie herum, stoben von ihren Füßen empor, bei jedem Schritt, den sie taten. Ich ging langsam weiter, wobei mein Blick immer noch an den Kindern haftete. Sie sahen so vergnügt aus. Ich hatte auch mal so mit Cuinn im Wald gespielt. Und am liebsten hätte ich gefragt, ob ich mitspielen durfte. Aber ich traute mich nicht.

      Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ich plötzlich gegen etwas prallte. Oder besser gesagt gegen jemanden.

      „He, pass doch auf, du kleiner Wicht!“, tadelte mich ein großer, muskulöser Mann. Als ich zu ihm aufschaute, sah er mich genervt und wütend an.

      „T… tut mir leid“, stammelte ich. Er glühte in einem aggressiven Rot, das sich so weit ausbreitete, als wollte es mich auffressen. Unwillkürlich trat ich zwei Schritte zurück.

      „Schau nach vorne, wenn du gehst!“, grummelte er und beugte sich zu mir herunter. „Oder bist du blind?“

      „Nein, ich… es tut mir wirklich leid.“ Unterwürfig senkte ich den Blick. Dann eilte ich an ihm vorbei und ging weiter zum Markt, ohne mich noch einmal von meinem Weg ablenken zu lassen. Mich ließ das Gefühl nicht los, dass das Rot mich verfolgte und versuchte, nach mir zu greifen. Ich wagte nicht, mich noch einmal umzudrehen.

      Erst als ich den Holzwarenstand erreichte, richtete ich meinen Kopf wieder auf und erweiterte mein Blickfeld. Als ich Bryos dort in seine Schnitzerei vertieft sitzen sah, entspannte ich mich ein wenig. Vorsichtig trat ich näher an den Stand heran. Erst als ich mich unsicher räusperte, schaute Bryos zu mir auf. Er lächelte. „Doran, schön, dich zu sehen. Schnapp dir ein Stück Holz und setz dich zu mir!“

      Freudige Aufregung kribbelte durch meinen Körper. Ich hüpfte hinter den Verkaufsstand und setzte mich auf das Kissen, das Bryos neben seinem Stuhl platziert hatte. Ich wühlte durch die Holzstücke, bis ich ein geeignetes gefunden hatte und zückte das Schnitzmesser, das ich mitgenommen hatte.

      „Was möchtest du heute machen?“, fragte Bryos.

      „Einen Drachen“, antwortete ich, visualisierte vor meinem inneren Auge die Drachengestalt, die ich schnitzen wollte und begann, das Holz Schicht für Schicht abzutragen.

      Bryos lachte. „Ich würde jeden anderen für verrückt erklären, als Anfänger solch eine komplexe Gestalt schnitzen zu wollen. Aber dir traue ich das zu. Drachen sind wirklich sehr schöne Wesen.“

      Ich hielt inne und sah Bryos an. Hast du schon mal einen gesehen?, hatte ich ihn fragen wollen. Doch da verschwammen die Farben vor meinen Augen, vermischten sich, formten sich. Und plötzlich stand dort, wo eben noch Bryos gesessen hatte, ein gigantischer Drache. Ich starrte das riesige Wesen mit seinen violetten Schuppen an. Es starrte aus seinen großen dunklen Augen zurück. Als es schnaubte, stiegen kleine Rauchwölkchen von seinen Nüstern empor. Ich schluckte schwer und widerstand dem Drang wegzulaufen. Das ist nicht echt. Das ist nicht echt, Doran.

      „Ist alles in Ordnung mit dir, Junge?“

      Als ich Bryos Stimme hörte, zerfiel der Drache wieder in zig verschiedene Farben, die begannen, sich um Bryos zu winden.

      Ich schüttelte den Kopf und blinzelte ein paarmal, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

      „Doran?“, fragte Bryos noch einmal besorgt.

      „Ja, alles in Ordnung“, antwortete ich dann. „Hast du schon mal einen echten Drachen gesehen?“

      Bryos blickte nach oben, als schwelge er in weit entfernten Erinnerungen. Seine Farben tanzten, flackerten, blitzten. Es hämmerte in meinem Kopf. Ich legte Holz und Messer vorsichtig in meinen Schoß und rieb mir die Schläfen.

      „Ja, aber das ist schon einige Jahre her. Sein Schuppenkleid leuchtete wie Amethyst. Seine Gestalt war so mächtig, dass ich nicht anders konnte, als ihn ehrfürchtig anzustarren.“

      Während Bryos erzählte, versuchte ich, wieder zu ihm aufzuschauen. Aber im Strom seiner Erinnerungen explodierten die Farben um ihn herum wie ein wildes Feuerwerk, das ich im Kopf nicht aushielt. Also lauschte ich seiner Geschichte, den Blick auf das Holz in meinem Schoß gerichtet.

      „Man kann sich nicht vorstellen, wie beeindruckend und furchterregend zugleich diese Geschöpfe sind. Wer weiß, vielleicht wirst auch du eines Tages das Glück haben, einem zu begegnen.“

      „Mhm…“, murmelte ich. Ich hatte wirklich Probleme, mich auf seine Worte zu konzentrieren.

      „Geht es dir wirklich gut?“, hakte Bryos erneut nach. „Du siehst blass aus. Warum schnitzt du nicht?“

      Lass dir nichts anmerken. Die Farben sind nicht wirklich da. Ignorier sie einfach. Ich setzte ein Lächeln auf. Ich nahm all meinen Mut zusammen und sah erneut zu ihm auf. Dieses Stechen in meinem Kopf. „Ich musste nur noch einmal überlegen, wie ich weitermache.“ Dann konzentrierte ich mich wieder auf das Holz, nahm mein Messer und schnitzte. Ich hatte Sorge gehabt, dass meine Kopfschmerzen mich im Schnitzen behindern würden. Doch stattdessen milderte die Beschäftigung den Schmerz. Das Schnitzen lenkte mich ab und irgendwie hatte es etwas Beruhigendes, das Holz in meiner Hand zu spüren und das Messer in flüssigen Bewegungen darübergleiten zu lassen. „Wo hast du ihn gesehen?“, fragte ich Bryos.

      „Ich war allein im Wald unterwegs, um mir Holz für meine Figuren zu beschaffen. Da sah ich ihn auf einer Lichtung liegen und rasten. Als er mich entdeckte, richtete er sich zu seiner vollen Größe auf.“

      „Bist du weggelaufen?“

      „Nein. Ich stand wie versteinert dort. Der Drache schien meine Furcht zu spüren und flog einfach davon“, erzählte Bryos.

      „Irgendwann finde ich auch einen Drachen“, sagte ich bestimmt. „Kann ich mal mit dir zusammen in den Wald gehen und Holz sammeln?“

      Bryos stand auf und stellte die Holzschale, die er angefertigt hatte, auf eine freie Stelle auf dem Verkaufstisch. „Irgendwann einmal. Aber erst, wenn du etwas kräftiger geworden bist. Sonst brichst du mir unterwegs noch vor Erschöpfung zusammen.“ Er drückte meinen linken Oberarm, den er mit seiner großen Hand komplett umfassen konnte. „Deine Arme sind ja nicht breiter als ein Besenstiel.“

      Enttäuscht verzog ich das Gesicht. „Ich bin stärker, als ich aussehe!“, beharrte ich. Ich wollte da raus und Bryos helfen. Die Gegend erkunden. Und einen Drachen finden.

      Bryos