Franziska Hartmann

Doran


Скачать книгу

auch meine Atemzüge ruhiger und gleichmäßiger wurden. Doch auch dann blieb die Person, die sich zu mir gesetzt hatte, an meiner Seite und strich mir weiter über den Rücken. Erst dachte ich, sie würde irgendwann mit mir sprechen. Mich wieder ausfragen, was los sei. Doch nichts dergleichen geschah. Ich lag da in absoluter Stille. Und sie streichelte mich weiter. Ohne irgendetwas von mir zu erwarten. Als ich das begriff, entspannte ich mich allmählich. Ich ließ die Erschöpfung mich übermannen und konzentrierte mich auf den sanften Druck auf meinem Rücken. Ich war schon fast weg, als mir eine Frauenstimme zuflüsterte: „Schlaf gut, Seher. Ich wünsche dir, dass die Nacht dir gnädig ist.“ Danach ging sie vermutlich. Ich bekam es nicht mehr mit.

      VON MESSERN UND DOLCHEN

      Die nächste Woche verlief größtenteils eintönig. Ich aß, besuchte meine Schwester, verbrachte die Nachmittage bei Bryos zum Schnitzen und wenn ich konnte, schlief ich. Zum Glück fragte mich niemand mehr nach dem Abend, an dem ich geweint hatte. Jedes Mal, wenn ich Bryos besuchte, hatte ich Angst vor dem, was ich sehen würde. Obwohl ich seine Farben für gewöhnlich mochte, traute ich mich nun nicht mehr, ihn anzusehen. Das entging Bryos nicht. Einmal sprach er mich darauf an, doch ich antwortete ihm nur, dass er sich das wohl einbilden müsse. Ich war mir sicher, dass Bryos merkte, dass ich ihm nur ausweichen wollte, aber dennoch fragte er daraufhin nicht weiter nach. Ich kam jeden Tag zu ihm und half ihm bei der Arbeit. Ich lauschte seinen Geschichten und für jede Figur, die ich verkaufte, überließ er mir den Verdienst.

      „Kauf dir etwas Nettes auf dem Markt dafür.“ Bryos schielte auf meine nackten, schmutzigen Füße. „Vielleicht ein Paar neue Schuhe.“

      Unsicher blickte ich ebenfalls auf meine Füße. „Jetzt?“

      „Noch sind alle Stände geöffnet. Wir sehen uns morgen wieder.“

      Ich legte meinen angefangenen Holzlöffel zur Seite, verpackte mein Messer und steckte es ein. „Bis morgen.“ Dann verschwand ich mit gut hundert Rhipa in der Hosentasche auf dem Marktplatz.

      Ich schlenderte an den Ständen vorbei. Obwohl ich seit Tagen immer wieder den Markt überquerte, um zu Bryos‘ Stand zu gelangen, hatte ich mir noch nie alle Stände genau angesehen. Das lag vor allem daran, dass ich meist nur schnell zu meiner Hütte wollte, um den vielen Farben auszuweichen. Auf dem Marktplatz wimmelte es natürlich nur so von Feuergeistern. Und die vielen Eindrücke trieben mir ein Stechen in den Kopf. Trotzdem wanderte ich von Stand zu Stand. Sicher würde Bryos mich am nächsten Tag fragen, was ich mir gekauft hatte und ich wollte ihm unbedingt berichten können. An einem Stand mit einer Reihe an Lederschuhen blieb ich stehen.

      „Kann ich dir behilflich sein, Kleiner?“ Ein großer, schlaksiger Mann kam auf mich zu.

      „Ähm… Ich suche Schuhe“, stammelte ich.

      Der Mann lachte. „Nun, da bist du bei mir richtig.“ Er griff nach einem dunkelbraunen, schlichten Paar. „Das hier könnte deine Größe sein. Möchtest du sie mal anprobieren?“

      Ich zögerte erst, dann nickte ich. Er stellte die Schuhe vor mir auf den Boden, sodass ich hineinschlüpfen konnte. Ich war ziemlich beeindruckt, als sie wie angegossen passten.

      „Und, wie gefallen sie dir?“, fragte der Mann mit einem breiten Lächeln im Gesicht.

      Ich ging ein paar Schritte. Das Leder saß fest, aber dennoch bequem an meinen Füßen. „Die sind perfekt“, antwortete ich begeistert.

      „Für hundertvierzig Rhipa gehören sie dir.“

      Ich verzog unglücklich das Gesicht. „Oh… Verzeihung… Das kann ich mir leider nicht leisten.“ Rasch schlüpfte ich aus den Schuhen heraus.

      „Weißt du was, Junge? Ich mache dir ein besonderes Angebot. Dir gebe ich sie auch für hundertzwanzig“, bot der Schuhhändler an.

      Mittlerweile war mir die Situation unangenehm. Meine hundert Rhipa waren mir wie ein Vermögen vorgekommen. Und jetzt erst wurde mir klar, dass ich mir damit nicht einmal ein einfaches Paar Schuhe leisten konnte.

      „Es tut mir leid“, entschuldigte ich mich nochmals. Dann drehte ich mich hastig um und ging. Ich wollte nur noch schleunigst weg von dort. Nicht nur von dem Stand des Schusters, sondern vom Marktplatz. All die Farben bedrängten mich. Mir war übel. Und mein Kopf dröhnte.

      Ich hatte den Platz schon fast verlassen, da erregte ein silbriges Aufblitzen im Augenwinkel meine Aufmerksamkeit. Ich blieb stehen und blickte nach rechts. Ich entdeckte einen gut zwei Meter langen Tisch, hinter dem ein junger Mann mit kurzem, honigblondem Haar stand. Als ich etwas näher trat, erkannte ich, dass er Messer verkaufte und diese gerade zu sortieren schien. Es waren die silbernen Klingen, die im warmen Sonnenlicht aufblitzten. Manche von ihnen waren gerade, symmetrisch, andere gebogen. Einige besaßen eine Schneide, manche sogar zwei, wieder andere gar keine, dafür aber eine markante Spitze. Fasziniert ließ ich meinen Blick über die Klingenvielfalt schweifen.

      „Junge, ich glaube, meine Ware ist nichts für dich“, sprach der junge Mann mich an.

      Ich erschrak etwas, denn ich war so vertieft in den Anblick der Messer und Dolche gewesen, dass ich vollkommen ausgeblendet hatte, dass der Verkäufer auch noch anwesend war.

      „Lieber solltest du zu meinem Freund Bryos, dem Holzschnitzer, gehen, bei dem bekommst du Holzmesser und sogar Holzschwerter zum Spielen.“

      Ich verzog das Gesicht. Ein Holzmesser? War das sein Ernst? Im Gegensatz zu meiner Begegnung am Schuhstand wollte ich mich hier nicht sofort abwimmeln lassen. Die Faszination Messer und Dolche war einfach zu groß. Ich zeigte auf einen Dolch mit einer symmetrischen, schmalen Klinge und einem dunkelbraunen Heft, anscheinend aus Nussbaum. „Kann ich damit auch schnitzen?“

      Der Mann lachte. „Das ist ein Dolch, Kleiner. Viel zu unhandlich zum Schnitzen.“

      „Aber er ist einschneidig, also könnte ich rein theoretisch auch mit ihm schnitzen“, überlegte ich laut.

      Der Verkäufer kniff nur die Augen zusammen und machte keine Anstalten, mir etwas von seiner Ware verkaufen zu wollen.

      Ich fischte alle Münzen, die ich fand, aus meiner Hosentasche und legte sie zwischen mich und den Mann auf den Tisch. „Ich nehme den Dolch für hundert Rhipa.“

      Jetzt lachte er wieder. „Tut mir leid, Junge, für hundert Rhipa bekommst du bei mir keinen Dolch.“

      Ich spürte, wie ich innerlich zusammenschrumpfte. Waren hundert Rhipa wirklich so wenig?

      „Geh, Junge, du verschwendest hier nur deine Zeit. Und meine auch.“

      Ich wusste nicht einmal, warum ich unbedingt diesen Dolch haben wollte. Er war nicht das beste Werkzeug zum Schnitzen und außerdem hatte ich dafür ja das Schnitzmesser, das Bryos mir geschenkt hatte. Aber irgendwie hatte ich einen Narren an diesem Dolch gefressen. Ich fand ihn einfach schön und es juckte mir in den Fingern, ihn in die Hand zu nehmen.

      „Skar, hast du Lust auf Arbeit?“ Eine schmale, relativ große Frau drängte sich neben mir an den Tisch. Und wie ich es schon zuvor bei Koto erlebt hatte, war ich plötzlich nicht mehr als Luft.

      Der Mann am Messerstand seufzte. „Wie viele sind es diesmal?“

      „Ich habe vierzehn Messer, die du mir schleifen könntest.“ Die Frau klimperte bittend mit den Augen und legte einen Sack aus dickem Leder auf den Tisch. Ein metallisches Klappern ertönte.

      „Was machst du mit all diesen Messern?“, fragte Skar und runzelte die Stirn.

      „Kochen, ein paar handwerkliche Dinge…“ Die Frau machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, dir muss ich das doch nicht erklären, du weißt doch, wofür man Messer so braucht.“

      „Ja, schon, aber…“ Ehe Skar weitersprechen konnte, begann die Frau, nach und nach Messer aus dem Beutel zu ziehen und sie auf dem Tisch zu platzieren. Dabei brachte sie all die Messer und Dolche durcheinander, die Skar gerade eben noch sortiert hatte. Dieser wiederum legte sich daraufhin die Hände auf den Kopf und raufte sich die Haare. „Schon gut, schon