Franziska Hartmann

Doran


Скачать книгу

      „Morgen früh?“, wiederholte Skar entsetzt. „Aber ich wollte gerade…“

      „Danke!“, unterbrach sie ihn, drehte sich um und lief so schnell davon, wie sie aufgetaucht war.

      „…Feierabend machen“, beendete Skar seinen Satz, auch wenn die aufdringliche Kundin ihn nicht mehr hören konnte. „Dieses Weib treibt mich irgendwann noch in den Wahnsinn“, brummte er genervt und stierte wenig begeistert auf den Ledersack und die Messer, die danebenlagen. „Kochen und ein paar handwerkliche Dinge. Ach, ich glaube, ich will gar nicht wissen, was sie wirklich damit macht. Warum stehst du eigentlich immer noch hier?“, fuhr er mich an. Seine schlechte Laune hatte seine Freundlichkeit fortgefegt.

      Ich wollte noch immer den Dolch. Doch hatte ich gerade Schwierigkeiten, mir einen Weg zu überlegen, um an mein Ziel zu gelangen. Denn um Skar tanzten rote, grüne und blaue Farben, als hätte er eine Schar Grashüpfer um sich versammelt. „Ich…“, begann ich und versuchte, mich zu konzentrieren. Ich senkte meinen Blick auf die stumpfen Messer auf dem Tisch. Was würde Bryos jetzt tun? Ihm würden sicher die richtigen Worte einfallen, um Skar dazu zu bringen, ihm den Dolch zu verkaufen. Auch für hundert Rhipa. Da kam mir eine Idee. „Ich schleife die Messer und dafür verkaufst du mir den Dolch für hundert Rhipa.“

      „Junge, hör auf, mir mit dem Dolch in den Ohren zu liegen“, wies Skar mich weiter ab. „Und Messer schleifen! Kannst du das überhaupt?“

      Ich nickte eifrig und bemühte mich, ihn trotz meiner Kopfschmerzen fest anzusehen. „Ich lerne bei Bryos schnitzen. Er hat mir gezeigt, wie man Messer richtig schleift und meinte, ich sei sehr talentiert.“ In Wirklichkeit hatte ich ihm das erste Messer, das er mir zum Schleifen gegeben hatte, kaputt gemacht. Aber das musste Skar ja nicht wissen. Hatte Kaya nicht gemeint, über kleine Notlügen könne man hinwegsehen? Und wenn das hier keine Not war!

      Einen Moment lang starrte Skar mich wütend und unbeirrt an. Dann wanderte sein Blick zu den Messern auf dem Tisch, von dort zu dem Dolch, für den ich mich interessierte, und wieder zurück zu mir. Ein tiefes Seufzen entfuhr ihm und sein Gesichtsausdruck wurde wieder etwas sanfter. „Komm her, du hartnäckiger Bengel. Du hast Glück, dass ich heute Abend wirklich noch etwas Dringliches vorhabe und auf deine Hilfe angewiesen bin.“ Er zeigte mir die Schleifsteine. „Mach dich ans Werk, ich räume schon einmal die Ware ein. Wenn du dann noch nicht fertig bist, helfe ich dir.“

      Breit grinsend nahm ich mir eines der Messer und machte mich ans Werk. Ich war etwas aufgeregt, denn ich hatte wirklich Angst, etwas falsch zu machen. Allzu viel Übung hatte ich schließlich noch nicht. Noch dazu merkte ich, dass Skar ständig misstrauisch zu mir schielte, um sicherzugehen, dass ich die Messer richtig schärfte.

      „Du machst das wirklich gut.“ Skar begutachtete die Messer, die ich bereits behandelt hatte akribisch, als er seine Messer und Dolche verstaut hatte. Alle bis auf einen. Er schob mir den Dolch, für den ich so sehr geschwärmt hatte, über den Tisch herüber zu. Im Tausch zog er die übrigen stumpfen Messer zu sich. „Vielen Dank für deine Hilfe. Du hast dir diesen Dolch mehr als verdient.“ Er griff in eine Kiste unter dem Tisch. Als er sich wieder erhob, legte er eine lederne Halterung neben den Dolch, mit der ich diesen an meinem Gürtel befestigen konnte. „Ich schätze, so etwas benötigst du auch noch.“

      Überrascht blickte ich zwischen dem Dolchhalter und Skar hin und her.

      „Schau nicht so, ich habe davon eh zu viele. Nun geh, den Rest mache ich.“ Ohne eine Antwort von mir abzuwarten, begann Skar, sich mit voller Konzentration ins Messerschleifen zu vertiefen.

      Kurz zögerte ich noch. Dann nahm ich mit aller Vorsicht den Dolch in die Hand. Noch ein paar wenige Sonnenstrahlen erhellten den Abend und wurden im Eisen der Dolchklinge reflektiert. Der Griff lag bequem in meiner Hand, als wäre er für mich gemacht. Ich steckte die Klinge in die Scheide der Halterung und befestigte diese an meinem Gürtel. Plötzlich fühlte ich mich um einiges stärker und größer. Das Gewicht an meinem Gürtel schenkte mir Sicherheit. Und noch etwas war da. Stolz? Ja, es war auch ein bisschen Stolz. Ich hatte mir diesen Dolch hart erkämpft. Und ich war erfolgreich gewesen. Mit diesem Gefühl stelzte ich erhobenen Hauptes durch das Tal. Und das erste Mal, seitdem ich mich weinend im Bett verkrochen hatte, machten mir nicht einmal die Farben mehr Angst.

      WIE DIE SONNE

      Am nächsten Morgen konnte ich es kaum erwarten, Bryos meine Errungenschaft zu präsentieren. Ich wollte schon lossprinten, als Kaya mein Frühstück abdeckte, da hielt sie mich auf. „Magst du heute Morgen deiner Schwester noch einen Besuch abstatten?“

      Überrascht verharrte ich an Ort und Stelle. Es schien mir ungewöhnlich, dass Kaya mich explizit darum bat, meine Schwester aufzusuchen. Ich wollte sie fragen, was los war, aber mein Auge war mal wieder schneller, als mein Mund sprechen konnte. Zwar konnte ich nicht genau erfassen, was geschehen war, aber was ich sah, reichte mir, um sofort zu Lilly zu laufen: Sie war traurig. Und wütend. Und das auf eine solch tiefgreifende Weise, dass der Anblick von Kayas Farben mir das Herz brach. Sie waren trüb und flackerten gleichzeitig aufgebracht. Sie waren beinahe zu dunkel, um sie zu erkennen und schienen gleichzeitig um Hilfe zu schreien. Ich riss den roten Vorhang zur Seite und platzte in Lillys Hütte. Sie weinte. Schluchzend saß sie auf dem Bett, die blonden Wellen hingen ihr ins Gesicht. Eigentlich war sie immer ein sehr fröhliches Mädchen gewesen, Mamas kleiner Sonnenschein. Verloren wie jetzt hatte ich sie noch nie gesehen. Sie weinte so laut, dass sie gar nicht mitbekommen hatte, dass ich das Zimmer betreten hatte. Erst als ich mich zu ihr aufs Bett setzte, wurde ihr Schluchzen leiser. „Was ist los, Schwesterherz?“, fragte ich sie. Sie antwortete eine ganze Weile nicht. Ich zweifelte bereits daran, dass meine Worte durch die um sie wabernde, dichte Schwade aus Dunkelgrau, Violett, Rot und Schwarz gedrungen waren.

      Da hob sie den Kopf, sodass ich endlich ihr Gesicht sehen konnte, das sich hinter den Haaren versteckt hatte. „Kaya…“, schniefte sie.

      „Was ist mit Kaya?“, hakte ich nach, als Lilly nicht weiterredete.

      „Sie hat gesagt… Sie meinte, dass…“ Wieder fing sie an zu schluchzen.

      Ich fühlte mich hilflos. Ich wollte Lilly helfen, wollte sie aufmuntern, aber ich wusste nicht wie. „Was hat Kaya gesagt?“, bohrte ich weiter.

      „Sie meinte, das geht nie wieder weg“, wimmerte Lilly. „Sie meinte, da würden Narben in meinem Gesicht bleiben.“

      Ich schwieg. Was sollte ich dazu sagen? Ja, Schwesterherz, das weiß ich schon seit über einer Woche.

      „Ich will nicht, dass das bleibt“, jammerte Lilly weiter. „Mich werden doch alle immer komisch angucken.“

      „Man gewöhnt sich daran“, sagte ich leise.

      Lilly hörte auf zu schluchzen. „Wirklich?“

      Nein, eigentlich nicht. „Klar. Und außerdem hab ich dir doch gesagt, für mich wirst du immer das schönste Mädchen sein. Egal ob mit Narbe oder ohne. Du magst mich doch auch, obwohl ich ein goldenes Auge habe, oder?“

      Lilly nickte heftig. „Natürlich! Aber… dein Sonnenauge ist schön. Narben nicht.“

      Ich musste lächeln, als sie Sonnenauge sagte. „Es wird sicher auch Personen geben, die deine Narben schön finden. Mich zum Beispiel.“

      Endlich schlich sich auch auf Lillys Lippen wieder ein kleines Lächeln. Es ließ ein paar helle Farbtupfer aufsprühen. Und auch wenn diese den dunklen Schleier nicht zu vertreiben vermochten, waren sie doch ein kleiner Schritt Richtung Besserung.

      „Was machst du heute, Bruder?“, fragte Lilly.

      „Ich gehe wieder zu Bryos und schnitze“, antwortete ich freudestrahlend.

      „Du bist jeden Tag bei ihm.“

      „Ja! Er hat gesagt, wenn ich jeden Tag zu ihm komme, nimmt er mich mit in den Wald, um Holz zu sammeln“, erklärte ich. „Möchtest du heute mal mit zu Bryos kommen?“

      Lilly schüttelte den Kopf.

      „Wir