Franziska Hartmann

Doran


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dir, wie du es richtig schleifst“, bot Bryos mir mit einem Augenzwinkern an.

      „Oh ja!“, rief ich begeistert.

      Nachdem auch Kaya sich bei Bryos bedankt hatte, spazierte sie mit mir zurück zur Hütte. Schon jetzt konnte ich es kaum erwarten, Bryos wieder zu besuchen.

      DIE FARBEN DER NACHT

      Ich saß mit Lilly zusammen auf ihrem Bett und löffelte Milchsuppe. Kaya hatte mir erzählt, dass Lilly die letzten Tage schlecht gegessen hatte. Also ermutigte ich meine Schwester nun zum Essen. Und auch wenn sie ihr Essen zunächst nur widerwillig beäugt hatte, nahm sie die Mahlzeit nun mit mir gemeinsam ein. Wir redeten und lachten, trotz aller Umstände. Ich ließ Lilly mehrmals von eins bis zwanzig und rückwärts zählen. Das Essen schien dabei in den Hintergrund zu rücken und nebenbei zu geschehen. Als Kaya unser Geschirr abräumte, flackerte ein zufriedenes helles Blau in ihrer Umgebung auf. Sie freute sich darüber, dass ich Lilly dazu gebracht hatte, aufzuessen.

      „Tut das eigentlich sehr weh?“, fragte ich Lilly, sobald wir wieder alleine waren und deutete auf meine eigene rechte Gesichtshälfte.

      Nicht nur Lillys Gesicht, sondern ihre gesamte Aura trübte sich. „Es geht“, antwortete sie. „Aber ich bin hässlich. Hoffentlich ist das bald wieder weg.“

      Es fiel mir schwer, ihr aufmunternd zuzulächeln. Denn die trüben Farben offenbarten mir nicht nur ihre Gefühle, sie verrieten mir, dass die Verbrennungen in ihrem Gesicht Narben hinterlassen würden. Lillys Gesicht würde nie wieder wie früher aussehen. Darum sagte ich ihr auch nicht, dass die Wunde sicherlich bald verschwinden würde. „Für mich wirst du immer das schönste Mädchen sein. Schließlich bist du meine Schwester.“

      Lilly begann zu strahlen. Mit ihrem Lächeln, mit ihren leuchtenden Augen und den sonnigen Tönen, die ihren Körper umhüllten. Dann mischte sich in ihr Lächeln eine verschmitzte Note. „Und wenn du dich verliebst?“

      Ich zog eine Grimasse. „Ich verliebe mich nicht.“

      Lilly kicherte. „Mama hat mal gesagt, wenn man in jemanden verliebt ist, wird derjenige zum schönsten Menschen auf der ganzen Welt.“

      „Wer ist denn verliebt?“ Kaya hatte das Ende unseres Gesprächs mitbekommen.

      „Niemand“, antwortete ich.

      „So, so.“ Kaya zündete eine Öllampe auf dem Tisch an. Es war dunkel draußen geworden. „Schlafenszeit, ihr zwei. Doran, geh doch schon mal rüber. Ich schaue gleich noch einmal nach dir.“

      Ich nickte und krabbelte vom Bett. „Gute Nacht, Schwesterherz. Träum schön.“

      „Du auch.“ Lilly winkte mir zu, bevor ich den Vorhang beiseiteschob und hinaus in den späten Abend trat.

      Ich schaute hinauf zum klaren Himmel. Die Sterne funkelten wie Diamanten und es fühlte sich an, als würden sie über mich und das gesamte Tal wachen. Während ich zu meiner Hütte tappte, begegnete ich einigen bunten Farbtupfern. Für mich wurde die Welt nie vollkommen dunkel. Solange es Lebewesen gab, schwirrte immer irgendwo ein farbenfrohes Licht, und wenn es nur eine Motte oder eine Mücke war. An manchen Abenden genoss ich es, die tanzenden Farben zu beobachten. An anderen wiederum nervten sie mich. Wie die Nacht wohl für andere Menschen aussah? Für normale Menschen? Es musste beruhigend sein, die Landschaft im Dunkeln zu durchstreifen. In absoluter Stille. Aber für mich war es nie still. Die Farben redeten unaufhörlich. Ich bekam nur meine Ruhe, wenn ich die Augen schloss. Doch selbst dann konnte ich manchmal nicht aufhören, über die verschiedenen Farbtöne nachzudenken.

      Ich kroch in mein Bett und stellte den hölzernen Wolf auf meinem Nachttisch ab.

      Es dauerte nicht lang, da kam Kaya zu mir. „So, Adlerauge…“

      „Nenn mich nicht so!“, fuhr ich sie an.

      Erschrocken blieb sie im Eingang stehen.

      Scham erfüllte mich. Warum hatte ich sie so angegangen? Sie hatte mir doch gar nichts getan. „T… tut mir leid“, stammelte ich. „Es ist nur… Ich mag den Namen nicht.“

      Ich war erleichtert, als Kaya wieder ein mildes Lächeln aufsetzte. „Schon in Ordnung. Dann werde ich dich nicht mehr so nennen. Ganz einfach.“ Sie stellte mir ein Glas Wasser auf den Tisch. „Du warst heute lange unterwegs, du solltest noch etwas trinken. Brauchst du sonst noch etwas?“

      Ich schüttelte den Kopf.

      „Gut. Wenn etwas sein sollte, weißt du ja, dass immer jemand hier ist.“

      Ich nickte.

      Kaya drehte sich um und ging zum Vorhang.

      „Kaya?“

      Sie hielt inne, als ich ihren Namen rief und blickte zu mir zurück. „Ja?“

      „Kann ich dich etwas fragen?“

      „Natürlich.“ Nun kam sie wieder einen Schritt auf mich zu.

      Ich überlegte kurz, wie ich meine Frage formulieren sollte. „Warum… Warum ist es schlimm, ein Halbblut zu sein?“

      Sie schenkte mir ein himbeerfarbenes Mitgefühl. Mit langsamen, bedächtigen Schritten kam sie weiter auf mich zu und setzte sich neben mich aufs Bett. „Wie kommst du darauf, dass es schlimm ist, ein Halbblut zu sein?“

      „Sie wollten uns töten. Sie haben meine Freunde getötet. Tötet man nicht nur schlechte Menschen?“

      „Bestenfalls tötet man gar keine Menschen“, widersprach Kaya.

      „Aber sie haben alle Halbblute getötet. Fast alle. Bin… Bin ich böse?“

      Kaya schüttelte den Kopf. Es war mehr eine Geste der Ungläubigkeit als eine Antwort auf meine Frage. „Doran…“ Ihre Stimme war plötzlich ganz leise. Und ehe ich mich versah, hatte sie mich in den Arm genommen und drückte mich fest. Ich spürte ihre Wärme. Und einerseits tat es gut, diese Wärme zu spüren. Es fühlte sich nach Sicherheit und Geborgenheit an. Doch als mir bewusst wurde, dass dem nur so war, weil es mich daran erinnerte, wie meine Mutter mich manchmal in den Arm genommen hatte, wurde ich traurig. Ich vermisste sie. Ich vermisste sie schrecklich. Doch ich wollte nicht traurig sein. Ich musste stark sein, schließlich war ich nun Lillys einziger großer Bruder. Ich spürte, wie sich mein ganzer Körper verkrampfte. Es war ein Versuch, die Traurigkeit zu bekämpfen. Und immerhin bewirkte meine Reaktion, dass Kaya mich wieder losließ und die Erinnerungen an meine Mutter wieder in den Hintergrund meines Gedächtnisses rückten.

      „Du bist nicht böse“, sagte Kaya sanft. „So etwas darfst du nie, wirklich niemals denken. Die Menschen, die euch das angetan haben, das sind die Bösen.“

      „Aber sie waren überzeugt davon, dass wir böse sind. Ich weiß es. Ich habe es ihnen angesehen“, beharrte ich. „Warum sonst würden sie uns denn einsperren und verbrennen? Irgendetwas an uns muss doch böse sein.“

      Kayas goldene Augen schimmerten. „Nein, Doran. Ich weiß nicht, warum sie denken, dass ihr böse seid. Dass wir böse sind. Warum sie plötzlich Angst vor allem haben, was magisch ist. Aber du bist nicht böse.“ Sie wollte mir über den Kopf streichen, doch ich zuckte unter ihrer Hand zusammen, sodass sie diese wieder zurückzog. „Schlaf jetzt, junger Seher. Du machst dir für dein Alter viel zu viele Gedanken.“

      Viel zu viele Gedanken? Wie viel sollte ich in meinem Alter denn denken? Und an was?

      „Gute Nacht.“ Kaya stand auf und verließ den Raum.

      Ich starrte noch eine ganze Weil aus dem Fenster neben mir. Direkt davor schwirrte ein Mückenschwarm. Ich ließ mich von dem Farbenspiel aufsaugen, bis die kleinen Kleckse verschwammen und zu einer einzigen Blase aus Farben wurden. Diesen Abend hatte dieser Anblick etwas Beruhigendes. Die Farben schienen meine Gedanken zu besänftigen. Gedanken wie: Vielleicht schlummert doch etwas Böses in mir. Etwas, das Kaya nicht sieht, die Menschen aber erahnen. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb Vater einfach gegangen war. Vielleicht hatte er schon vor den Menschen gewusst,