hat es auch gegeben – meist jedoch am Wochenende. Jetzt musste sie nachdenken, sie erschrak lautstark, als plötzlich ein breit grinsendes Männergesicht vor ihrem Fenster auftauchte.
„Hallo Kleines“, zischte der Fremde.
Malin richtete sich vom Stuhl auf und wollte das Fenster schließen. Doch der Mann sprang hoch auf die Fensterbank, Malin warf sofort das Fenster zu, doch der Schwung des Mannes war groß, er warf sich gegen das Fenster, das laut kreischend ganz aufging und dabei die Stehlampe drinnen umwarf. Malin hörte das Bersten der LED-Lampe, sie wich zurück, denn der Mann sprang ins Zimmer. Malin drehte sich um und wollte in die Küche rennen, zu einem Messer. Der Mann hinter ihr lachte ein sehr höhnisches Lachen.
„Ich bin auch ein Wrukola“, kündigte er drohend an, sie wusste jedoch nicht, was es bedeutete. Sie zog die Schublade klirrend auf, griff nach einem großen Messer und drehte sich um, hielt es hoch. Doch der Mann hob die rechte Hand, haarige Unterarme, er ballte die Faust als würde er etwas greifen und zog sie zu seinem Kinn.
Malin wusste nicht, wie ihr geschah, da kriegte sie keine Luft mehr. Sie erstarrte im Schrecken, sie ließ das Messer fallen, griff sich mit beiden Händen an den Hals. Nun ballte der Mann die linke Hand und stieß sie in die Luft nach vorne. Malin erhielt einen kräftigen Schlag – durch die Luft – gegen den Bauch, krümmte sich – immer noch keine Luft kriegend – und fiel vornüber auf den Boden. Unten wehrlos liegend schnappte sie immer noch nach Luft und verabschiedete sich schon innerlich vom Leben, hob den Kopf und starrte den Mann an, der seine rechte Hand wieder öffnete. Malin kriegte wieder Luft und keuchte und sog den Lebensodem tief ein. Immer wieder.
„Du weißt offenbar noch nichts von deinen Fähigkeiten“, sagte der Mann, dessen Augen milder wurden.
Da hatte Malin eine Eingebung, sie rollte sich auf den Bauch und hob seitlich die rechte Hand. Sie wischte damit schnell oberhalb vom Boden durch die Luft. Und wie durch Zauberhand wurde der Mann durch Luft von den Beinen gefegt. Ruckartig sprang sie nach hinten auf die Beine und machte es ihm nach, sie schoss die Hand vor, ballte sie, zog sie an sich. Und nun kriegte der andere keine Luft mehr. Der das Gleiche machte.
Beide zogen dem anderen durch die Luft den Atem weg, beide röchelten, ohne Luft zu kriegen. Da sprang der Mann zur Seite zum Fenster, und rollte sich durch das Loch hinaus. Draußen, durch die Wand, funktionierte der Zauber offenbar nicht, sie hörte ihn spürbar am Boden röcheln. Und auch andersrum war Freiheit, Malin keuchte auch wieder. Dann hörte sie Schritte, der Mann lief offenbar weg.
Sie stürzte unverzüglich zum Fenster, schloss es, ließ die Rollos herunter – überall in der ganzen Wohnung. Anschließend setzte sie sich und wusste nun, sie kann ersticken.
Als sie wieder Fassung gewonnen hatte, googelte sie das Gerät vom Kommissar, es war ein Funk-Pager, ein TETRA-Meldeempfänger, wie ihn die Polizei und die Rettungskräfte in Bayern benutzten. Damit konnte man einer gewisse Gruppe eine gemeinsame Nachricht zukommen lassen.
Die Internet-Partnerbörsen waren nichts. Sie erkannte wieder, warum sie es fallen gelassen hatte. Fünf Stunden später und etliche gelesene „willst du meinen großen Schwanz...“-Nachrichten später (Internet-Partnerbörsen als Frau ist so) war sie mental erledigt. Ja. Es war schon früher so gewesen. Das war ertragbar. Aber es war jetzt eine neue Sorte Kommentare dabei. Und zwar die „ehrlichen“ Kommentare, dass sie mit 29 schon zu alt war fürs Heiraten und Kinderkriegen, oder „mit 29 bist du eine alte Jungfer, wieso hast du nicht bislang schon den Traummann an dich binden können – mit dir ist SICHER was nicht in Ordnung“. Wahlweise auch „Du bist super. Ich stehe auf Milfs!“ (MILF = englisch für „mothers/matures I like to fuck“ - Begriff aus dem Partnersuchmilieu, Begriff kommt von Pornos her). Ja, was war denn hier los – mit den Männern? Sie prüfte ihr Äußeres im Spiegel, sie war nicht viel anders als früher. Aber das Signal „29“ war da. Musste sie mit 29 schon die 60jährigen nehmen? Waren die Männer wirklich so?
Ich sauge Blut, war ihr hämmernder Gedanke. Und alle anderen reagieren nur auf Signale, Signalwörter, 29? Häh? Egal, sie sehen das Ganze nicht. Klar hat man mit 29 schon seine Jungfräulichkeit verloren. Nichts wird verziehen. Oder was ist hier los?! Die ganze Welt war wahnsinnig geworden. Viel zu viel für eine Frau. Zu viel für jeden 29-Jährigen. Mehr noch, viel zu viel für JEDEN. Und sie weinte, weil sie hatte auf einmal die Ahnung, das bleibt so in den 30ern, den 40ern, für den Rest des Lebens. Sie war dagegen machtlos, wehrlos. Und ihr Gehirn suchte eifrig nach einem Ausweg, aber jedes Mal, wenn sie in einer anderen Ecke der Hirnwindungen wieder erfolglos war, drückte eine neue Welle der Verzweiflung neue Tränen heraus. Andere fangen an dieser Stelle das Kämpfen an. Erst hier. Was reichlich spät sein kann. Aber andere saugen kein Blut aus anderen. Andere fangen genau an dieser Stelle das Blutsaugen erst an. Malin nicht. Malin war verzweifelt. Malin beschloss da ihren Selbstmord.
Daheim hatte sich die Wut gelegt. Die nach Innen gerichtete Wut. Vielleicht hatte Marianna recht, dachte Malin. Damit, dass alles im Leben hilfreich ist. Aber dazu gehört die Ausgewogenheit. Die Resilienz ist ein Begriff, den die Psychologie aus der Physik übernommen hat. Die Fähigkeit eines Menschen, wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren nach einem Stoß. Eine hohe Resilienz ist ähnlich einer hohen Frustrationstoleranz, dann ist eine niedrige Resilienz dann gegeben, wenn jemand über den Tod eines Menschen nicht hinwegkommt.
Als Werwolf-Vampir, als Wrukola jemanden zu beißen, ist ein Stich geradewegs ins Herz - alle 28 Tage. Ich sage es mal als Erzähler: Wenn die Lohnzahlung einmal im Monat reicht, um weiter einen blöden Job zu machen, was es oft tut. Dann reicht ein Blutsaugen einmal im Monat für den Selbstmordgedanken allemal. In der Phantasie ist ein Vampir oder Werwolf eine liebevolle Spinnerei. Es gibt genug Menschen, die sich vorstellen können, als Vampir jemanden zu beißen – die selbst beim Nägelschneiden extrem empfindlich sind. Aber es real umzusetzen ist etwas völlig anderes. Jemanden beißen bis aufs Blut. Die rote Flüssigkeit dann aufsaugen...
Es wäre vielleicht begreifbarer, wenn wir so essen würden, wir beißen lebendig zappelnden Tieren z. B. den Kopf ab. Macht man in einigen Gegenden der Erde. Aber wir tun das aus gutem Grund nicht. Nichtmal selbsternannte Kannibalen beißen einfach so den anderen. Es ist eine innere Hemmung.
Natürlich hatte die Polizei den Computer von Sandu mitgenommen. Aber Malin konnte Sandus Unterlagen durchsuchen mit Hilfe der Information, dass es da Parties gegeben hat, „mit Essen“, sie fand einen Flyer. Und vermutete da gleich viel mehr. Der Name des Veranstalters war da mit drauf, ein Roman Maurer. Und als sie dessen Namen googelte, war er der Vorsitzende des Vereins „Affen für Menschen“. Es war das, was sie gesucht hatte, sie würden dort wahrscheinlich Affenblut trinken. Menschen zu töten, um das Blut zu trinken, das würde viel Polizeiarbeit nach sich ziehen. Damit kommt man nicht lange durch. Aber Affen schon eher. Affen für Menschen = AFM, war ein Verein, der auch für Manager und andere gegen Geld Treffen mit Affen organisierte. Weil, laut Website „Affen sind menschenähnlich intelligent – aber ungleich verspielter“. Sie würden einfach spielen wollen und den Managern eine andere Sichtweise auf das Leben und die Lebensfreude liefern. Und, was wichtig war: „es sind ausgesuchte lebensfrohe Affen.“ Das AUSGESUCHTE war es. Das Signalwort, wenn man weiß, was man zu suchen hat. - Das heißt, die depressiven Affen würden dann verfüttert.
Sie schrieb dem R. Maurer, sie sei eine Freundin von Sandu und sie würde gerne auch auf so eine Party gehen. Er fragte per Mail noch am gleichen Tag, wie eng sie mit Sandu befreundet war. Antwort: „Sehr enge Freunde. Bis aufs Blut. Wir hatten die gleichen Interessen. Essen. Veranstaltungen am Vollmond. Mit energetischem Wasser, das nur an Vollmond der Quelle entnommen wird. Und anderer Spezialnahrung, die an Vollmond besser wirkt.“ (Anmerkung des Schreibers: Das mit dem Vollmondwasser gibt es wirklich, es wird in Bioläden verkauft...)
Und, am Donnerstag, siehe da: für die nächste Party hatte sie eine Einladung. Es ging in ein Lagerhaus bei Ingolstadt. Am 9.9 9ter September, ein Samstag um genau 0 Uhr. Es ist der internationale Tag der Ersten Hilfe, wurde sie aufgeklärt. Sie verstand es damals noch nicht ganz, sie sah es als den Tag der Blutspendens. (Und als Autor sage ich, es ist der zweite Septembersamstag - der Tag der deutschen Sprache.) Ein Kostümfest „mit speziellen Getränken.“ Roman schrieb ihr noch, es ging am Mitternacht los, am Ende des 8. September los,