Paul Stefan Wolff

Malin - Vampir und Heilerin


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auch ein anderes Schaf angefallen, beide lagen da. Das Schaf direkt neben ihr schien noch zu atmen, während es langsam verblutete. Und das Schaf hatte einen furchtbar ängstlichen Blick und sah sie noch einmal an, ehe es verendete.

      Dann kehrten die Sinne zu Malin zurück. Und sie hörte die ganze Herde um sie herum blöken und wild hin und her laufen. Sie waren in einem Freigehege, Malin stand direkt am Zaun. Sie erblickte einen Widder, sie hatte auf einmal Angst. Der Widder war schon wütend, jetzt roch er ihre Angst und setzte zum Angriff an. Nur mit viel Glück konnte sich Malin über den Zaun retten. Sie erkannte den Weg zurück zum Hotel. Sie hatte bei ausgiebigen Spaziergängen die Schafe im Gehege gesehen. Sie rannte den Weg zum Hotel zurück. Dann fiel ihr auf, dass sie ja voller Blut war. Sie zog sofort alle Sachen aus und rannte bis auf die Unterwäsche nackt auf das Hotel zu.

      Sie musste vorsichtig sein. Sie dachte nicht an einen Vergewaltiger. Nein, sie dachte daran, dass sie sicher mit Kleidern beim Weggehen gesehen worden war. Nur, wann? Sie hatte keine Erinnerung, der totale Blackout musste mindestens fünf bis sechs Stunden angedauert haben. Nein, eher neun bis zehn. Sie schlich ins Hotel. Keiner da. Alles noch dunkel, nur die Nachtbeleuchtung war an. Sie schlich eilig zu der Treppe, keiner da. Was wäre mit dem Schlüssel? Wo ist der? Scheiße, wahrscheinlich in den Kleidern vergessen. Wie komme ich auf mein Zimmer? Sie rannte die Treppen hoch, versuchte zu verstehen. Ihre Tür war offen. Sie rannte hinein und fing an, wie wild zu packen. Als sie fertig war mit Packen fiel ihr auf, dass sie immer noch halbnackt war. Sie zog sich an. Dann suchte sie ihre Sachen aus dem Nachtkästchen und der Toilette zusammen und verstaute sie. Als sie ihren Koffer vom Bett holte und auf dem Boden setzte, fiel ihr ein, dass sie ja hier nicht anonym war. Und sie konnte nicht einfach so abhauen. Sie sank aufs Bett.

      „Was ist nur mit mir lohohos?“ weinte sie wieder los. „Was ist denn passiert – mit mir?“ Sie schluchzte und heulte los.

      Eine Stunde später hatte sie sich wieder mehr gefangen. Sie stand unten am Empfang, lächelte tapfer den braunhaarigen kleinen Mann in der adretten Tracht an.

      „Sie verzichten auch wirklich auch auf das Frühstück?“

      „Entschuldigen Sie meine verheulten Augen“, sie zwang sich zu einem Lächeln. „Meine Mutter ist gestorben.“

      „Darf ich Ihnen was einpacken, Frau Lösel?“ Der Mann schien ihr wirklich helfen zu wollen und war doch so machtlos. Gegen das Blut. Gegen die Wucht eines Ganzkörper-Sex mit Sandu.

      „Keinen Hunger.“ Sie lächelte, während sie den Kopf schüttelte und dann fiel es ihr auf. Sie war tatsächlich satt. Übervoll. Ihr Entsetzen steigerte sich, ihr war gerade bewusst geworden, sie hatte das Blut der Schafe getrunken.

      „Ist was?“ fragte der Mann.

      „Mir ist nur aufgefallen, die Tracht steht Ihnen sehr gut“, sie versuchte ein freundliches Lächeln, aber sie schaffte es nicht. Sie grinste hinterhältig. Ihr war gerade der Gedanke gekommen, was sie vielleicht geworden war. Und sie wusste, sie würde es verheimlichen müssen.

      „Danke“, sagte der Mann. „Und gute Fahrt!“ Er hatte ihren Hinterhalt erraten, er wollte sich abwenden, durfte nicht, musste die Situation tapfer durchstehen.

      Ganz in Gedanken verließ Malin den Bayerischen Wald. Mit einem leichten wahrhaftigen Lächeln war sie aus dem Hotel gegangen. Der Mann am Empfang sah wirklich gut aus. Und es war ihr aufgefallen. Das heißt, dass der Liebeskummer vielleicht nachließ. Sie fuhr mit dem Zug, die ganze Zeit Musik hören, sehr oft Within Temptation – What have you done.

      Sie kam daheim in Nürnberg an und googelte erst einmal alles, was sie über Vampire und Werwölfe finden konnte. Und fand sich darin wieder. Zum Teil ja. Zum Teil nein. Das war der Moment, an dem Malin Susanne Lösel, 27, 172 cm groß, Studentin der Psychologie an der FernUniversität in Hagen im 6. Semester und Arbeiterin im Ersatzteillager anfing sich zu fragen, ob Sandu ein Vampir war. Oder ein Werwolf. Weil natürlich wusste sie da, dass gestern Vollmond gewesen war. Und ob er sie gebissen hatte. Sie würde sich absuchen müssen nach dem Biss. Und sie würde Bettina natürlich nichts von alledem erzählen können. Sie sagte sich die ganze Zeit über, ich bin gefallen, ich habe das Schrecklichste getan. Ich habe getötet. Leben getötet. Ich muss wieder aufstehen. Ich muss nach dem schrecklichen Niedergang wieder aufstehen und zu alter Blüte zurückfinden. Ich muss, sagte sie sich, ich muss wieder neu lernen, der Liebe den Vorzug zu geben, vor dem Hass. Der Gemeinsamkeit vor dem Entzweienden. Ich muss zurück – mit neuen Vorzügen, mit neuer Erkenntnis, mit neuer Energie und mehr Wissen – zurück zu dem Pfad, den ich als Studentin eingeschlagen habe. Und der Weg ist, zu helfen. Für andere da zu sein. Ein steiniger Weg. Mühsam und tricky.

      Wie wahr, liebe Malin.

      Und wie schwer.

      Drei Tage später.

      Es klingelte an der Tür. Malin drückte den Summer, wahrscheinlich nur Werbung. Sie war so in Gedanken, aufgewühlt, aufgeschreckt, sie schreckte zusammen, als es wieder klingelte und jemand an der Tür klopfte.

      „Ja, bitte“, öffnete sie die Tür und sah einen großen Mann vor sich. Er hatte schwarzes Haar, pechschwarz. Wenn man ein undeutliches Foto von ihm sah und beim deutlich werden würde ein älterer Keanu Reeves auch möglich. Aber dieser war nicht nett. Und er schien auch nicht auf der guten Seite zu stehen. Das fiese Grinsen schien nichts Gutes zu verheißen.

      „Malin Susanne Lösel?“ er zeigte mit links seinen Ausweis, Polizei. Noch schlimmer hätte es kaum kommen können.

      „Ja?“ stieß sie hervor, augenblicklich überrannt von Angstschauern. Ihr kamen die toten Schafe in den Kopf.

      „Kommissar Anton Fuchs. Sonderabteilung Vampirkriminalität“, er hatte seine rechte Hand hinter seinem Körper verborgen gehabt, jetzt richtete er die Waffe in seiner Hand auf sie. „Ich bin befugt, Sie zu erschießen, wenn Sie sich wehren. In ihrer Filmgucker-Sprache: Ich habe le Doppelnull-Lizenz.“

      „Ich kenne meine Rechte!“ wehrte sie sich. Aber nur halb mutig.

      „Vampire haben keine Rechte. Weil sie nicht existieren“, er grinste und entsicherte die Pistole mit dem charakteristischen Klicken, sie war auf sie gerichtet. „Meine Tat würde sehr gut vertuscht werden. Und ich will mich mit dir auch über Vertuschungen unterhalten. Die im Bayerischen Wald vielleicht als Anfang?“

      „Ich werde mich nicht wehren“, sie hob die Hände hoch und trat zur Seite.

      „Kannst Du gar nicht, wir haben kein Vollmond“, er grinste noch frecher, sicherte die Pistole wieder und steckte sie in seinen Halfter als er einen Schritt in die Wohnung hinein tat.

      „Ich wurde da hineingezogen“, ihr Ton hatte viel Flehendes, als sie die Tür schloss. Sie hatte den Impuls, draußen nach Hilfe zu sehen. Aber als ihre Gedanken diese Neigung prüften, erkannte sie die Ausweglosigkeit.

      „Kaue nicht an le Vergangenheit, hat meine Mutter immer gesagt“, er schritt auf einen Stuhl zu. „Besonders nicht, wenn die Zukunft dir jetzt sofort auch ein paar ordentlich zähe Fleischbrocken vor den Latz knallt.“ Er setzte sich und grinste immer noch.

      „Du kannst mich Toni nennen“, er stellte das Grinsen ein. Der fest zupackende Unheil verheißende Ernst in seinem Blick war aber noch schlimmer. „Der ohne Prozess eingekerkerte kleine Sandu hat dir le Fahrt zur Hölle geschenkt. Verkleidet in einem schneeweißen puffigen Federkleid der Leichtigkeit. Mit dem im Abgang im Gaumen säureartig beißenden ach so blöden Beigeschmack der Machtlosigkeit. Ausgeliefertsein ohne ein Codewort, welches es beenden könnte. Das ist nun mal le Preis der guten Orgasmen. Hallo“, er machte eine eisige Pause, „Giftkrallen-Täubchen! Die Schlange ist da.“

      „Was wollen Sie?“

      „Als gläubiger Christ, der ich bin“, sagte er dann ernst. „Mag ich eine bestimmte theologische Richtung der Neuzeit sehr. Der sagt, le Vorwurf, der der Kirche zu machen ist, sie versucht immer von oben herab auf le Menschen unten Ideale überzustülpen. Das führt zu Scheinheiligkeit, weil le Menschen NATÜRLICH scheitern an den hohen Idealen. Und diese Scheinheiligkeit schreckt le Nicht-Gläubigen ab. Aber Gottes Liebe kann nicht