Paul Stefan Wolff

Malin - Vampir und Heilerin


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sie daheim spät am Nachmittag aufwachte, war ihr Magen immer noch gesund, ihr Herz gesund und nicht eingeengt, ihr Bauch nicht gespannt. Und sie hatte wirklich göttlich geschlafen. Nicht wie all die Jahre davor.

      Nicht wie mit den ganzen Männern davor. Das war der Gedanke, der Moment, in dem sie begriffen hatte, dass sie bis über beide Ohren bis in die Haarspitzen in Sandu verliebt war. Das war der Moment, an dem sie anfing, richtig Angst zu haben. Große Angst.

      Sie rief sich zur Räson, vielleicht war er ja auch etwas von ihr angetan. Sie würde ihm einiges an Sex anbieten. Fesselsex und was sonst noch. Den Dreier. Und was sonst noch. Die Affären? Würde er das wollen? Bei diesem Gedanken kroch es ihr eiskalt den Rücken hoch, wenn noch mehr Frauen so eine Behandlung erführen, was dann? Sie sah nackt an sich herunter und fragte sich mit feuchten Augen, was an ihr wohl ihn bewegen konnte, nur mit ihr so Sex zu haben. Ganz ehrlich? Nichts. Alles fast wie bei allen anderen Frauen.

      Sie rannte aus dem Haus und fuhr zu ihm. Nervös Nägeln kauend. Sich besinnen, auf Nägelkauen steht der garantiert nicht.

      Und dann kam sie wieder dem Haus näher. Und sah die vier Polizeiautos, drei normale Autos, zwei BMW 3er, ein Audi und ein VW Bus. Die gerade wegfuhren. Sie versuchte, ihn im Bus zu erkennen, sie war aber zu weit weg. Und sie hatte auch Angst, hatte sie etwas bei ihm vergessen? Sie erinnerte sich an sein Drogenangebot. Und war entsetzt.

      Drei Tage später war das Entsetzen nicht gewichen. Sie hatte ihre Freundin Bettina besucht und ihr alles berichtet. Bettina hatte nicht reagiert. Was sicher daran lag, dass Malin Bettinas Freund Christian in der Disco mit einer anderen Frau knutschen gesehen hat.

      „Hat nichts mit dir zu tun“, hatte Bettina gesagt. „Ich muss alleine sein.“

      Bettina wollte alleine sein, damit war Malin alleine gelassen. Frauen sind Menschen und Menschen wollen nicht in erster Linie Schuhe kaufen oder Urlaub machen. Sie wollen Orgasmen haben. Und haben sie sie, brechen die Dämme. Du musst ihre Orgasmen kennen. Du musst sie sehen, sie verstehen, ihre Orgasmen. Um ihre Liebeskummer zu verstehen. Ohne funktioniert das nicht vollständig.

      Wir waren nicht dabei, wir wären ja auch nur Zuschauer gewesen. Es ist ohne dieses Wissen aber schwer zu beschreiben, wie langsam die Erkenntnis tröpfelt. Einer untergehenden Sonne gleich wirft das Erkennen der Wahrheit Feuer auf die angefauchten Wolken. Malins Gedanken kreisten um die Zeit zwischen dem ersten Sex ihres Lebens und jetzt, die vollen sechs Jahre. Sie schob ihre Heilung von Roemhild auf den Ganzkörper-Sex und wurde mit jeder Sekunde wütender auf all die Idioten davor, die sie anders geliebt hatten. Widerwärtig wurde es ihr, die hatten sie nur benutzt. Ihr dieses Geschenk der Heilung verweigert. Weil sie allesamt Arschlöcher gewesen waren! Alles Wichser, nur Sandu nicht. Sie malte ihn in wunderbaren Farben, erkannte das englische „Sun“ der Sonne in seinem Namen.

      Dann verfluchte sie sich dafür, seine Drogen nicht gesehen zu haben. Wie viel war es? Anscheinend genug, um damit in Nürnberg, also Bayern, für lange hinter Gittern zu wandern. Scheiße! Sie war sich sicher, sie würde auf ihn draußen warten. Dann fiel ihr ein, der würde ihr alles erzählen, nur um sie als Tussi draußen zu haben, die ihm Geld und alles Mögliche ins Gefängnis schickt. Das war jetzt jedoch SCHEISSEGAL.

      Eine Woche später wusste sie, man kann jemanden nicht einfach in Untersuchungshaft besuchen. Man braucht eine Berechtigung. Und dafür muss der Gefangene bekannt sein. Was er aber nicht war. Malin hatte die Beamten angeschrieen, sie wurde abgeführt, sie durfte schließlich unter Zuhilfenahme eines Anwalts die gesamte Liste der Gefangenen einsehen. Kein Sandu darunter, niemand mit Geburtsland Rumänien.

      Kurz nachdem der Anwalt sie als verrückt bezeichnete, gab sie auf. Da waren 8 Tage vergangen. Sie war davor schon mehrfach zu seiner Mutter gefahren und die wusste ebenfalls von nichts. Sandu galt als vermisst. Die Polizei hatte die Vermisstenanzeige wortlos aufgenommen. Warum hatte Malin kein Foto gemacht von der Szenerie mit dem Audi und den BMW?

      Und jetzt saß Malin wortlos vor sich hin starrend auf die weiße Wand ihres Zimmers, die Hände zwischen ihre Beine wärmend. Dann wieder sich auf die Hände aufstützend, die Finger krallten sich in die hellgrüne wärmende Tagesdecke. Er ist weg. Mein Heiler.

      Für

      Immer

      Und

      Ewig

      Punkt

      Sie suchte mit glasigen Augen die Decke ab, dann sog sie tief Luft ein. Und schrie einen lautlosen Schrei heraus. Den sie mit einer derartigen Macht unterdrückte, dass sie keine Kraft mehr hatte, die Tränen zu unterdrücken. Sie weinte fast eine ganze Stunde. Es klingelte an der Tür und sie glaubte an ein Wunder. Der Anblick des Paketmanns löste einen weiteren Heulkrampf aus. Als dieser kurze Anflug von Realität vorbei war, ließ sie das Paket vor der Tür fallen und schlug mit dem Kopf gegen die Wand. Nicht fest. Aber hart. Es war sehr hart für Malin. Im Paket befand sich der Kratz-Schneebesen für die Kopfmassage, den sie bei Sandu kennen gelernt hatte, er war nicht teuer gewesen.

      Zwei Tage später hatte sie ihr Bett immer noch nicht verlassen, da kam Bettina vorbei und sagte ihr herzlichen Dank für die Beobachtung des Fremdgehens ihres Freundes, sie überlege, ihn in die Wüste zu schicken. Bettina selber könne jetzt nicht Urlaub nehmen, der Quartalsabschluss stand vor der Tür. Aber sie schenkte Malin ein Wochenende im Bayerischen Wald.

      „Weit weg“, strahlte Bettina gegen Malins verheulte Augen an. „Bäume. Natur. Tiere.“

      Und da war Malin dann und trank auf der Terrasse des Hotels einen großen Milchkaffee. Ohne Zucker. Zeiten riesiger Trauer sind gute Zeiten, um etwas zu reformieren im Leben. Und sie hatte sich gesagt, jetzt sei die Süße aus ihrem Leben verschwunden. Sie saß alleine am runden Holztisch, auf der Nase eine riesige Sonnenbrille, ein Modell wie aus den 70ern. Hinter ihr bäumte sich das Hotel auf als übergroßes Bauernhaus designt, weiße Wände, rotes Dach. Der Tisch aus grob lackiertem haselnussbraunem Holz mit nur wenig Luft zwischen den Stelen, rund eingefasst im gleichen Holz. Der Boden hatte die gleiche Farbe, die Klappstühle waren aus ähnlichem Holz. Sie saß alleine mit ihrer Trauer links außen am Rand der Terrasse und sah hinaus auf das Tal. Links und rechts sanken baumreiche Wälder sanft ab, direkt vor dem Hotel begann eine saftig grüne Wiese, die sich trapezförmig ins Flusstal weiter unten verbreiterte. Pferde grasten oder galoppierten alleine oder mit Reitern.

      Malin fiel eine blonde Reiterin auf, aber auch das erinnerte sie daran, wie toll es war, Sandu zu reiten. Sie war wie in einem Tunnel, die Unterhaltung der anderen Gäste über ein Autokauf war belanglos und fast ausgeblendet, obwohl die Diskussion über die Automarken zwischen dem Vater und der burschikosen etwa 20jährigen Tochter hitzig geführt wurde. Malin hatte ähnlich der Tochter nun auch einen Kurzhaarschnitt, ansonsten keinerlei Ähnlichkeit. Die Tochter war das blühende ranke und aufgerichtete Leben, Malin ein zusammengesunkenes Haufen Elend. Rechts schob sich eine die Bedienung sich sichtbar machend ins Bild, Malin interessierte es nicht.

      Malin war von den Sinnen her tot, da war die Nacht mit Sandu bereits 13 Tage her. Der Vater bezahlte die Getränke mit einem Schein, Malin hörte das Rascheln überdeutlich. Er erhielt Münzen zurück, Malin hörte das Zischen im Geldbeutel. Die Bedienung ging wieder hinein, der Vater versuchte ein Machtwort und wurde laut. Die Tochter hielt dagegen, ein Suzuki ginge gar nicht. Der Vater wurde wütend und er schlug mit der Hand auf die Kaffeetasse. Aus Versehen. Und dann roch Malin Blut. Ein beißender Geruch. Eine scharfe Süße. Malin war erschrocken, sie leckte sich automatisch über die Lippen. Dann suchte sie Halt und griff zur Zuckerkanne. Schüttete den halben Inhalt in ihren halb ausgetrunkenen Milchkaffee. Der Hunger, der Durst, irgendwas dazwischen, irgendwas beides beinhaltend, wurde drückender. Sie stürzte den Milchkaffee hinunter. In ihr war auf einmal eine nicht gekannte Gier. Der Zucker war noch nicht ganz gelöst, die zähflüssige Masse schob sich in ihren Mund. Sie schmeckte ein riesiges NICHTS.

      Ich muss was essen, dachte sie stürmisch und stand mit einem heftigen Ruck auf. Der Stuhl fiel hin, Vater und Tochter waren mit der Wunde beschäftigt. Malin sah zur Wunde und sie konnte nur mühsam ein Verlangenszischen unterdrücken.

      Als sie aufwachte, lag Malin am Waldrand und es war noch dunkel. Ihre Kleider waren noch