auch etwas, aber nur Gesundes.
Am Anfang der Geschichte stand ein Neumond an einem Freitag. Sie hat es ihm erzählt, um die Wirkung zu verdeutlichen. Der Morgen fing an, da war die Nacht noch nicht vorbei, mit Atemnot und heftigem Herzklopfen. Sie hatte das Roemhild-Syndrom, Luft im Magen-Darm-Trakt drückt das Zwerchfell nach oben, engt den Brustraum ein - kohlensäurehaltige Getränke sind mit das Schlimmste, was man sich da antun kann. Sie überlegte, was aß ich gestern? Nichts von der schwarzen Liste, nichts Luftbildendes, einfach ein Anfall ohne besondere Schuld. Abgrundtiefe Widerwärtigkeit, zermürbende Schmerzen, ermüdende Hoffnungslosigkeit, erdrückende Schuldlosigkeit, wahnsinnige Zielerreichungserschöpfung, deprimierendes Steckenbleiben, ernüchternde Planlosigkeit; chronische Krankheiten sind immer Plagen, die die Grundfesten erschüttern.
Aber Rückschläge helfen, starke Persönlichkeiten zu bilden, sie war gewohnt, immer auf Habacht zu sein. Zusammen mit einer demütigen Grundhaltung dem Leben gegenüber begründen diese Vorkommnisse manchmal wissende und mitfühlende Menschen, kämpferische Naturen. Was man sich als Eltern nur wünschen kann fürs Kind. Aber der Preis dafür, der ist...
Die groß gewachsene Malin mit den gefälligen schlanken Zügen vom Kopf bis zur Taille, die am Becken in weibliche Formen übergingen, die zu gefälligen weiblichen Formen von den Hüften abwärts führten, also schon nicht streichholzartig stacksig, sondern festere Oberschenkel, sie hatte ihre Lektionen richtig gelernt. Und das sah man auch an ihrem leichten Schmollmund, denn ihn umspielte immer ein Anflug von Ironie.
Eines der Lektionen war, sich nicht über jeden Mist aufzuregen, der im Leben passiert. Manche Menschen explodieren bei den kleinsten Kleinigkeiten. Ich kenne jemanden, den brauchst du nicht irgendwohin führen, wo er mit der U-Bahn hinkommt. Nach einer U-Bahnfahrt ist der auf 120.
Wenigstens psychische Ereignisse sind bei Roemhild ohne große Bedeutung. Malin hatte von der Uni eine schlechte Note erhalten. Die Arbeit war zu wenig psychologisch fundiert, zu viel Mutmaßungen. Zu viel Einblick in Philosophie, Geschichte sonstwas. Merke wohl, auch Psychologie will sich nicht überall einmischen. Viele Psychologiestudenten sind enttäuscht von ihrem Fach. Weil das Studium per se will weniger Probleme lösen, sondern hinführen zur Technik der wissenschaftlichen Fragestellung - und zwar für sich isoliert und mathematisch fundiert. Wer Psychologie als Therapie betrachten will, der braucht dazu die zusätzliche Therapeuten-Ausbildung. Sonst ist nichts mit Praxis und Patienten.
Auch Sport hilft beim Roemhild-Syndrom, das Zwerchfell stärken. Daher wohl die festen Oberschenkel, wenn man Sport machen will in Hinblick auf Kalorien hilft der Oberkörper nicht viel. Die richtig energiefressenden Muskeln sucht man in den Beinen richtig. Schnelle Bewegungen waren gefragt, Anstrengung und insbesondere Bauchmuskelsport - sie war Tanzen gegangen, nach der Arbeit in die Disco. Auch war sie ausgegangen nur im Geheimen mit dem Wunsch, jemanden kennen zu lernen. Tatsächlich jedoch sah sie die Zärtlichkeit in den Augen des Rumänen namens Sandu schon von Anfang an.
„Hallo. Wie würdest du denn am Liebsten von einem Mann angesprochen werden?“ fragte er.
Sie war verwundert und lächelte nur im Mundwinkel, blieb aber stehen.
„Ich habe dich gesehen und du bist so bezaubernd“, fuhr er fort. „Dass ich mir gesagt habe, ich will dich unbedingt kennen lernen. Und bevor ich was Blödes sage, fange ich gleich damit an. Und würde gerne wissen, wie ein Engel wie du denn am Liebsten angesprochen werden möchte.“
„Das ist schon mal kein schlechter Anfang“, antwortete sie lächelnd.
„Weil es gibt ja so schlechte Sprüche...“ sagte er. Und dann redeten sie, sie hatten ja schon ein Thema, nämlich schlechte Anmachsprüche.
Und er machte sie darauf aufmerksam, sie solle auf ihren Tryptophan-Spiegel achten. Falls sie öfter traurig wäre – ohne Grund. Tryptophan ist eine essentielle Aminosäure, muss mit dem Essen zugeführt werden und ist eine Vorstufe des Glückshormons Serotonin. Ist viel in Nüssen, Kakao, Eiern und Haferflocken. Ist auch ein in Deutschland frei verkäuflich in Apotheken, in Österreich und der Schweiz braucht man ein Rezept dafür. Sie kannte den Trick schon, aß Schokolade mit ganz viel Kakao. Zustimmende Meinungen sind gut beim Kennenlernen, sagte er und sie musste lachen.
Er sagte weiter, man kriegt Frauen nicht, wenn man viel redet. Sondern wenn man sie zum Reden bringt und als Mann zuhört, am besten aktiv. Er erklärte es ihr und sagte, normalerweise halte er sich nicht daran, sondern sie wäre etwas Besonderes. Sie hatte es später herausgefunden, es war der Neumond, der diesen Mann an diesem Abend besonders machte. Sie hatte wohl anfangs Angst, dass er abgebrüht war. Aber sie hat später herausgefunden, er hatte fast nur Gelegenheit zu sowas, wenn der Neumond aufs Wochenende fällt.
Und er fuhr fort mit ausgefallenen Komplimenten. „Was hast du mit der Sonne gemein?“ fragte er. Sie war nicht dumm: „Das Strahlen?“ - „Nein. Du hast einen Himmelskörper.“ Und er sagte gleich darauf, dass als sie „Das Strahlen“ geantwortet hatte, hatte sie einen misstrauischen Gedanken ob einem dummen Spruch und das Misstrauen hätte sich in einem Kräuseln ihrer Nase bemerkbar gemacht. Und er sagte, er werde immer darauf achten, wenn sich dieses Kräuseln bemerkbar mache und er werde immer wissen, dass sie dann ein misstrauischer Gedanke quält. Und er fügte hinzu, dass er diesen Gesichtsausdruck jetzt schon an ihr liebe. Weil er möge Frauen, die bei neuen Männern den Alarm in Griffweite haben.
Und mit solchen Sprüchen, über lange Zeit hinweg, schaltete er ihren Alarm aus, langsam. Was vielleicht gar nicht so schwer war, denn Frau lernt so selten Männer kennen, die die Verführung einigermaßen beherrschen. Weil Frau arbeitet und strengt sich an, die ganze Woche, den ganzen Tag. Und dann möchte sie etwas Vergnügen haben. Und wenn sie Single ist, ja dann möchte sie auch ab und zu verführt werden. Und jede Frau hat es schon erlebt, dass sie in Stimmung ist, aber die Männer, denen sie begegnet sind so… naja, halt. Und dann ist dann mal einer da, der weiß was er tut. Der weiß, dass er ihr gut tun kann. Der will, dass es ihr gut geht.
Er zeigte es auch, schon auf dem Nachhauseweg, die Perlenkette hat er nachgezeichnet. Das ist, wenn Mann (oder Frau) am Hals eine Art Perlenkette von Küssen zeichnet, d.h. ruhig den Hals entlang 6, 8 Küsse dicht hintereinander eine Linie nachziehend. Nicht von der Linie abweichen, man will ja nicht den ganzen Hals abschlecken, es wird auf die Fläche auch langweilig für die Frau. Eine Linie, eine aber dichte Linie – die Ungeduldigen setzen nur 1-3 Küsse. Eine Perlenkette. Danach war Malin willig, mehr zu erfahren.
Sah er besonders aus? Der Waschbrettbauch? Nein. Na gut, er war schon der eher schlankere Typ, den er sein muss als Paketzusteller, ständig auf den Beinen. Es war mehr, dass er wohl verinnerlicht hatte, wie es ist, jemandem was Schönes zu bringen. In seinen milden Augen hatte er diese Zuversicht, dass er erwartet wird, darüber hinaus die Wachheit, jemanden zu fixieren geübt in der Unterstreichung der Bitte, dass man das Paket für den Nachbarn annimmt. Darüber hinaus hatte er den wohligen Geruch ausgesuchten teuren stimmigen Parfüms. Und seinen Sätzen fügte er oft ein lachendes „Hah“ bei, das die Stimmung lockerte. Das Taxi lenkte er zu ihm mit der Bestimmtheit seiner Ortskenntnis, er versäumte es nicht, ihr sein Lieblingssternbild zu zeigen, den Schwan des Augusthimmels. Er trug sie über die Türschwelle des Hauses und bewies damit seine Offenheit im Bekenntnis zu ihr – man hätte sie ja sehen können. Er bat sie, ruhig zu sein, seine Mutter wohnte nebenan. Aber er stand zu ihr, er engte sie nicht übermäßig ein, es war ok, die alten dunkelbraunen Holztreppen durchs breite Treppenhaus mit das Knarzen verstärkenden Schwung zu nehmen. Sie sagte später, er habe auch Frauen mit nach Hause genommen, die er nicht gebissen habe. Er sagte ihr, er habe auch Frauen mit nach Hause genommen, mit denen er nicht geschlafen habe. Auch Freunde. Einfach so, Musik hören, kiffen, reden, was auch immer.
Er hat ihr das Kiffen angeboten, sie wollte nicht. Er hat ihr Wein angeboten, den wollte sie schon. Er hat ihr ein Buch ausgeliehen, Virginia Woolf „Orlando“ mit dazugehöriger Verfilmung. Ein Werk über den Wandel einer Person. Sie unterhielten sich über den Wunsch, ein anderes Leben zu führen. Sie, mittlerweile vaterlos und chronisch krank und gegen Ende des Studiums noch zusätzlich sehr wohl veränderungswillig. Vielleicht nicht so sehr. Vielleicht aber doch. Und ganz sicher war sie affin gegenüber Gesundheitsthemen, schon allein weil sie angefangen hatte, überflüssige