Günther Dümler

Mords-Krach


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sich mühsam durch jeden einzelnen Artikel, angefangen von den deprimierenden Nachrichten aus der hohen Politik, den ebenso erschreckenden Berichten aus der großen weiten Welt, über Kriege und Terror hin zu den lächerlich dekadenten Skandalen der Reichen und Schönen. Er verweilt etwas länger beim ausführlichen Sportteil mit den jüngsten Wasserstandsmeldungen aus dem Lager des 1.FC Nürnberg, die größtenteils, wie in letzter Zeit so oft, aus verzweifelten Durchhalteparolen bestehen. Er überfliegt die Seite mit den Familienanzeigen, die sowohl die Abschnitte betreffend Partnersuche, Geburten, Todesnachrichten, als auch die Eheschließungen friedlich in ein und derselben Rubrik vereint. Ja, sogar die wenigen noch vorhandenen Stellenangebote lässt er nicht aus, obwohl er als Rentner damit nichts mehr am Hut haben müsste. Selbst ein zufällig dazukommender, neutraler Beobachter würde sofort erkennen: Dem Mann ist stinklangweilig.

      Die letzten Arbeiten im Garten sind seit einiger Zeit abgeschlossen, die empfindlichen Pflanzen bereits in den Keller verfrachtet, die Rosen fein säuberlich abgedeckt, das Laub zusammengerecht und entfernt. An dieser Front gibt es für längere Zeit nichts mehr zu tun. Selbst das in liebevoller Kleinarbeit eigenhändig gebastelte, geräumige Vogelhäuschen ist schon aufgehängt, dieses Jahr an einer Stelle, wo die Nachstellungen der feisten Nachbarskatze keinen Erfolg mehr versprechen, jedenfalls nicht ohne eine zirkusreife Luftakrobatiknummer zu riskieren. In den letzten Jahren hatten auch die Eichhörnchen den Vögeln das ausgelegte Futter streitig gemacht und oft stundenlang die Verpflegungsstation blockiert, was Peter Anlass gab, seine Kreativität im Zuge eines groß angelegten Rettungsplanes einzusetzen. Um dieser Zweckentfremdung ein für alle Mal einen Riegel vorzuschieben, hatte Peter schließlich in einer halsbrecherischen Aktion ein langes, aber reichlich dünnes Seil an einem weit ausladenden Ast des uralten Apfelbaumes befestigt und an dessen Ende in etwa eineinhalb Metern Höhe, in der Luft schwebend, das hölzerne Futterhäuschen aufgehängt. Wer hinein will, muss entweder fliegen oder einen halsbrecherischen Versuch unternehmen, an der dünnen Schnur herunter zu klettern. Peter war sehr zufrieden mit sich und seiner Leistung. Damit sollten seine gefiederten Lieblinge vor dem gierigen Kater der Seibolds, seiner Nachbarn zu Rechten, sicher sein. Was die Eichkätzchen betraf, hatte er noch so seine Zweifel. Man musste abwarten, welches Ausmaß an Risikobereitschaft der unvermeidliche Hunger während der kalten Jahreszeit bei diesen niedlichen, aber durchsetzungsfähigen Kletterkünstlern hervor bringen würde.

      Während Peter in Gedanken versunken vor sich hin sinnierte, sortierte seine Ehefrau Marga anscheinend die Küchenschublade mit den diversen Backzutaten wieder einmal neu. Wer sie näher kennt, der weiß, dass Ordnung eine der tragenden Säulen ihres Haushalts ist, Ordnung und Sauberkeit.

      „Woss machsd nern dou, Marga? Findsd woss nedd?”, erkundigte sich der gelangweilte Ehemann mitfühlend, nicht weil er es wirklich wissen wollte, sondern lediglich um den gefährlichen Verdacht von Desinteresse an den Dingen des Haushalts zu vermeiden.

      „Woss werrin scho soung? Schau amal auf dein Kalender, na wassd woss lous is. Mir homm heid scho den fümfzehndn November und ich hobb nu kann aanzichn Lebkoung baggn, vom Stolln gar nedd zu redn.“

      Der so aufgeklärte Zeitungsleser blickte kurz von seiner ohnehin nur mäßig spannenden Lektüre auf und brummte: „Sinn doch nu fasd sechs Wochn bis Weihnachtn, dou brauchsd doch nedd glei in Banik verfalln.“

      Das hätte er besser nicht sagen sollen, schon in seinem eigenen Interesse, denn nun setzte Marga zu einer von rekordverdächtig hoch gezogenen Augenbrauen und beängstigend heftigem Augenrollen begleiteten Rede an.

      „Dei Rouh mächerd ich amal haben. Wergli wahr! A gscheider Stolln brauchd einfach so seine fümf bis sechs Wochn, dasser richdi mürb werd und aa wenn du scheinds nix zum dou hosd, ich schau hald, wossi nu alles kaufn muss, wenni morgn mitn Blätzlerbaggn anfanger will.“

      Und als ob das kleine Rededuell sie auf eine weitere Idee gebracht hätte, fügte sie eilig hinzu: „Und fallsd ers nedd selber scho gmergd hosd, in nedd amal zwaa Wochn werd der Christkindlersmarkd eröffnet, dann hommer nämlich scho den erschdn Advend.“

      Das Folgende hätte sie gar nicht hinzufügen müssen. Peter wusste auch so, was nun unweigerlich folgen musste.

      „Und am erschdn Advend, dou hängd unser gesamde Weihnachdsbeleuchdung, im Haus und außerhalb. Wennsd du etz nedd bald in die Gäng kummsd, dann mach is hald heier selber, des schaffi dann aa no, wenns nedd andersch gäihd. Suwoss muss mer etzerdler machen, wo äs Wedder nu schäi iss, wenns amal regnd odder schneid brauchsd nimmer naus!“

      Die Wetterlage im Hause Kleinlein schien, ganz im Gegensatz zum Prachtwetter draußen, eindeutig ins Negative umzuschlagen. Minusgrade machten sich breit. Natürlich dachte Marga nicht im Traum daran, selbst auf die mittlerweile mehr als haushohe Edeltanne im Vorgarten hinauf zu klettern. Diese Drohung war rein rhetorisch, verfehlte aber trotzdem ihre Wirkung nicht. Peter war schlagartig klar geworden, dass die stille Zeit, wie man die Wochen vor Weihnachten auch gerne bezeichnete, zumindest für ihn, nun endgültig der Vergangenheit angehören würde. Er legte resignierend die Zeitung beiseite und erhob sich, mangels dafür empfänglichen Publikums allerdings völlig unnötig, unter Mitleid heischendem Ächzen und Stöhnen von der Küchenbank. Das Kreuz tat ihm jetzt schon weh, das konnte ja heiter werden.

      Man muss dazu wissen, dass das Kleinlein‘sche Anwesen anlässlich des bevorstehenden Weihnachtsfests alljährlich eine vollkommene Verwandlung erfährt, hin zu einer funkelnden Pracht, gegen die Käthe Wohlfahrts Weihnachtsland zuweilen etwas schlicht erscheint. Innen wie außen wird dekomäßig aufgerüstet, wobei Peter für die umfangreichen Außenarbeiten zuständig ist. Kein Baum oder Strauch im gepflegten Vorgarten kommt ungeschoren davon. Jeder einzelne Zweig wird mit elektrischen Lichtern versehen. Bunte Lämpchen sind bei Peter allerdings streng verpönt, denn wie er gleich zu Beginn des Kleinlein’schen Doppelbeschlusses (Aufrüstung innen und außen) klargestellt hatte, handelt es sich bei Weihnachten um ein besinnliches Fest. Die Beleuchtung soll daher dezent sein und lediglich in den langen Nächten die ansonsten oft so erdrückende Dunkelheit aufhellen, halt ein bisschen Leben in die trostlose Finsternis bringen. In allen Farben wie wild flackernde Lichterketten eignen sich nach Ansicht der Kleinleins allenfalls für die Fahrgeschäfte auf der Rödnbacher Kerwä. Und die findet ausschließlich im Mai statt. Trotzdem gibt es genug Röthenbacher Mitbürger, die über den Aufwand der Familie Kleinlein verständnislos den Kopf schütteln. Zugegeben, die Anzahl der Lämpchen ist gewaltig und führte im ersten Jahr dazu, dass ein besorgter Nachbar erschrocken die freiwillige Feuerwehr alarmiert hätte, als er, ahnungslos von der Arbeit zurückkehrend, das beleuchtete Haus irrtümlich für in Brand geraten hielt. Seither nennt der eine oder andere Rödnbacher das Kleinlein’sche Eigenheim schon einmal hinter vorgehaltener Hand „Das brennende Haus“. Doch Peter und Marga stört das nicht, ihnen gefällt es und auf eine nicht so ernst gemeinte Frozzelei seitens seines Freundes und Dorfmetzgers Simon Bräunlein hatte Peter schlagfertig geantwortet:

      „Wenigsdns im Dezember is unser Häusler absolud einbruchsicher. Dou draud si ka Einbrecher auf wenicher wäi zwanzg Meder näher kummer, mir homm die ideale Alarmanlaach!“

      Dies alles ist notwendig zu wissen, um einigermaßen zu verstehen, warum Peter geschlagene zwei Wochen braucht, bis alles an Ort und Stelle und fachmännisch verkabelt ist. Glücklicherweise misst er gute Einsneunzig. Das erspart es dem Geplagten wegen jedes kleinen Handgriffs eigens eine Leiter hinauf- und wieder herunter zu steigen. Es reicht aber auch so.

      Am Freitag vor dem ersten Advent findet alljährlich, genau wie auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt, die feierliche Eröffnung statt. Nur mit dem Unterschied, dass sich die Marga nicht in ein Engelsgewand mit langer blonder Perücke und goldener Krone zwängen muss. Und ihr Prolog richtet sich auch nicht an die „Herrn und Frau’n, die Ihr einst Kinder wart, die Kleinen, am Beginn der Lebensfahrt“, sondern an den, zu einem zünftigen Umtrunk mit Glühwein, Plätzchen, Lebkuchen und gegrillten Bratwürsten (natürlich ausschließlich Bräunlein’sche Spitzenqualität) vollzählig versammelten engeren Freundeskreis, mit anderen Worten: die Bräunleins und die Schwarms. Und ihre Worte werden wie immer lauten: „No rei mit eich, Ihr hobbd beschdimmd an gscheidn Hunger und an Dorschd. Ich hobb nadürli aweng a Gleinichkeid vorbereided!“

      Bis es so weit ist wird er jetzt jeden Abend todmüde in