Günther Dümler

Mords-Krach


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      Zwei Wochen später, Freitag, der 28. November

      Es ist so weit. Endlich! Drei in mattem Gelb leuchtende Rentiere weiden friedlich im Kleinlein’schen Vorgarten, der Nikolaus auf seinem Schlitten thront, mit einer elektrischen Laterne winkend und fröhlich lachend auf dem Vordach über der Haustüre und die mittlerweile zwölf Lichterketten, teilweise eingearbeitet in einen Strang aus künstlichem Tannenreisig mit eingeflochtenen rotbackigen Plastikäpfeln, vergoldeten Tannenzapfen und gleichfarbigen Zimtstangen, sind am Türgebälk und rund um die Fenster angebracht. Es werden jedes Jahr mehr. Immer raffiniertere Technik wird überall in den Supermärkten angeboten, funkelnde Eiszapfen für die Dachrinne, überdimensionale Kerzen, deren Lichter genauso echt flackern wie die Flammen einer Wachskerze in einem leisen Luftzug. Von jeder Einkaufstour in die Kreisstadt hat Marga einen weiteren dieser wunderbaren Gegenstände mitgebracht und da die alten noch immer perfekt funktionieren wird es halt immer mehr, was Peters vollen Einsatz herausfordert. Jede fünfte Zaunlatte ziert eine übergestülpte rot-weiße Zipfelmütze und die zahlreichen vielzackigen Sterne funkeln LED-beleuchtet in der hereinbrechenden Dämmerung. Die mittlerweile viel zu groß gewordene, aber immer noch absolut ebenmäßig gewachsene Edeltanne vor dem Küchenfenster strahlt von hunderten Lichtern beleuchtet schöner als je zuvor. Glücklicherweise hat Peter, obwohl man das Gefahrenpotential in sieben Metern Höhe auf einer schwankenden Leiter keinesfalls unterschätzen darf, auch diesen Teil der Deko-Orgie ohne Beinbruch oder sonstige Widrigkeiten hinter sich gebracht, mit Ausnahme vielleicht von beachtlichen Verschleißerscheinungen an seinem Nervenkostüm. Nun aber, da alles vorbei ist, beginnt sich auch sein seelischer Zustand angesichts der vorweihnachtlichen Pracht und dem bevorstehenden Anlass angemessen, rapide zu verbessern. Gleich werden die Gäste eintreffen.

      Der Kamin ist geheizt und die Temperaturen im Wohnzimmer kann man nicht anders als wohlig warm bezeichnen. Peter fühlt sich ausnehmend behaglich und zufrieden. Vorfreude stellt sich ein. Er steht, beide Hände in den Hosentaschen vergraben, am Küchenfenster und blickt zufrieden lächelnd auf sein Werk hinaus. Rechtzeitig zur Eröffnungsfeier hat sich der erste Wintereinbruch angemeldet. Dicke weiße Flocken fallen sanft, wie in Zeitlupe vom nächtlichen Himmel und verstärken den friedlichen Eindruck auf perfekte Weise. Ein kugelrunder, völlig eingeschneiter Weihnachtsmann biegt eben um die Ecke und kommt geradewegs auf das Haus zu. Er lacht über das ganze Gesicht, genau wie seine zahlreichen Ebenbilder in den Kaufhäusern der nahen Großstadt und scheint prächtiger Laune zu sein. Dahinter folgen, im Gegensatz zu seinen künstlichen Pendants, die Gisela Bräunlein, seine Ehegattin und beste Fleischereifachverkäuferin von ganz Rödnbach, sowie Lothar Schwarm, der Dorffigaro zusammen mit seiner Lebensgefährtin Maria.

      Peter wartet gar nicht erst bis die Freunde klingeln, sondern reißt die Haustür sofort sperrangelweit auf und ruft den Neuankömmlingen entgegen.

      „Ja horch amal, ihr seid ja kombledd eigschneid und aufbaggd seider widder wäi die heilichn drei Könich. Mir homm doch gsachd, ihr solld nix mitbringer!“

      „Genau!“, antwortete der Weihnachtsmann, der sich bei näherer Betrachtung als Simon entpuppt, „genauso wenich wäi die Marga sich dran häld, dass heier amal kann Aufriss machd. Ich riech äs Essn ja scho bis auf die Strass naus!“

      Die Freunde wurden eilig hereingebeten und von den nassen Klamotten befreit.

      „Dou geht no schnell rei. Im Wohnzimmer brennt der Kamin, dou kennd er eich glei widder aweng aufwärmer. Die Marga is a glei dou, dee schlupfd blouß schnell nu in ihr neiesde Errungenschafd vom Silbernagl.“

      Silbernagel, so hieß das exklusive Bekleidungshaus in der nahen Kreisstadt. Für die Gäsde blouß des Besde!

      Es dauerte auch wirklich nur noch eine Viertelstunde, bis sich auch die Hausfrau zu der munteren Runde gesellte. Nachdem alle, vornehmlich natürlich die Damen, das neueste Prachtstück aus Margas Kleiderkollektion ausführlich gewürdigt hatten begann die erste Runde des entgegen aller Vereinbarungen natürlich wieder viel zu üppig geratenen Imbisses. Die aufwändige Tischdekoration musste zu diesem Zweck kurzerhand mehrfach hin- und hergeschoben werden, bis genügend Platz zum Essen frei geschaufelt war. Es gab zunächst Bratwürste aus dem Hause Bräunlein mit Kraut oder wahlweise Senf. Wer wollte konnte auch Kren, also Meerrettich dazu genießen. Das Brot hatte die Marga extra für den Nachmittag bestellt, damit es noch eine richtig krachende Kruste aufwies.

      „Also, dann Brossd, liebe Freunde!“, rief Peter und hob seinen gefüllten Bierkrug in Richtung der Gäste. „Auf an schäiner Ohmd alle miternander und auf a friedliche Vorweihnachdszeid!“

      Sobald der Höflichkeit Genüge getan war, machten sich alle ohne weitere Verzögerungen über die aufgetischten Spezialitäten her. Die Gespräche kamen vorübergehend völlig zu erliegen. Jeder war mit sich selbst und den wie immer köstlichen Erzeugnissen des Hauses Bräunlein voll auf beschäftigt. Danach gab es einen kräftigen Schnaps für die Männer und Maria, die nicht nur die Leidenschaft für das Schafkopfspiel mit den Herren der Schöpfung teilte, sondern auch einem gepflegten Edelbrand nicht abgeneigt war, während Marga und Gisela sich lieber ein Gläschen des ihm Hause Kleinlein niemals ausgehenden Nusslikörs genehmigten. Die Figur spielte heute keine Rolle. Die Reue kam frühestens morgen früh, nach dem obligatorischen Gang auf die Waage wieder aus ihrem Versteck gekrochen. Jetzt mussten erst einmal die frisch gebackenen Lebkuchen aus Margas Weihnachtsbäckerei versucht werden.

      „Mensch, doll! Sua logga und wüazich, besser als wäi von Bäcka. Reschpekt Marga, des mou ma da loua, ainwandfrai! Des Rezept mousd ma noucha unbedingd mit hoim gehm. Oba woarscheinlich is rechd kompliziert, oda?“, fragte die vollauf begeisterte Maria, unverkennbar eine Oberpfälzerin, die Gastgeberin.

      „Naa, überhaubds nedd, des ganze Geheimnis iss, dass der Grunddeich aus in Wasser aufgweichde Bambercher Hörnler besteht. Dess werd mit die ganzn Gwürze vermengd, auf die Obladdn aufgestrichen und backn. Ferti!“

      „Dess iss ja dess erschde woss ich hör, dass in an Lebbkoung Kardoffln neikummer“, mischte sich Simon ein, obwohl er nicht gerade als ein ausgewiesener Experte in Punkto Kochen und Backen galt, eher schon als veritabler Vertilger der Köstlichkeiten.

      „Wäi kummsdn auf Kardoffln, Bambercher Hörnler sinn zwor auch a Kardofflsordn, abber normalerweis hulld mer bei uns in Rödnbach die Bambercher immer nu beim Bägger odder ghärrsd du aa zu dene, dee middlerweile Croasoh soong, wäi die Breissn und die Franzosn?“, belehrte Marga den verdutzen Metzgermeister. „Also hobb, schenierd eich nedd, langd zou. Dess muss alles gessn werrn!“

      Wieder hörte man eine kleine Weile nur noch leise, verzückte Mampfgeräusche bis ein spitzer Schrei die Tafelrunde aufschreckte.

      „Kreizdunnerwedder, woss iss nern dess?“, entfuhr es Peter. „Allmächd, ich glaab, ich hobb mer an den Lebbkoung an von meine Baggnzähn ausbissn. Aah, na des derf doch nedd wahr sei, ich hobb doch nu nedd amal a aanzichs Drümmler derwischd und etz konni glei gornix mehr essn. Auh, naa, äsu a Gschmarri, dess gibbds doch nedd!“, schimpfte er noch immer, während er mit der rechten Hand einen Fremdkörper aus seiner schmerzhaft verzogenen Backe fischte, einen halben Backenzahn zusammen mit der noch daran haftenden Goldfüllung.

      „Na du bisd villeichd a goldicher Kerl“, lästerte sein Freund Simon in einem Anflug von schwarzem Humor. Aber es hagelte auch sofort Mitleidsbekundungen und ausgezeichnete Ratschläge.

      „Du mousd unbedingt dein Mund mit Chlorhexadingsdou ausschbüln, naja, wassd scho, dee rosa Brüh zum Desinfiziern, und dann däädi aweng a Nelkn nei, des beruichd in Nerv“, schlug Lothar vor, dessen Großvater neben seiner Friseurtätigkeit immerhin auch noch als hochgeschätzter Dorfbader fungiert hatte und der deshalb in derartig schwierigen Gesundheitsfragen quasi ex professo, also von Berufs wegen als Experte prädestiniert war.

      „Morgn früh gemmer glei zum Zahnarzt, dess kommer nedd bis Mondaach äso lassn. Des doud doch beschdimmd gscheid wäih. Allmächd Beder, warum hossdn aa nedd besser Obachd gehm?“ Und nach einer, dem ersten Schreck geschuldeten Pause bemühte sie sich zu erklären: „Ich hobb doch exdra aufbassd wäi a Heftlersmacher, dass ganz beschdimmd ka noch su glanns Restlä von anner Nussschaln