Thomas Spyra

Es war nicht meine Schuld


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dem frühen Ableben des Vaters stieg Levi Jehoschua Rosenbaum, er hatte in Breslau an der Friedrich-Wilhelm -Universität Recht und Philosophie studiert, in das weitverzweigte, seit drei Gerationen in Familienbesitz befindliche Handelsimperium der Rosenbaums ein. Levi übernahm selbstredend neben der Geschäftsführung auch dessen Passion als Kunstmäzen, setzte die Tradition da fort, wo sein Vater aufgehört hatte, alles, was er anpackte, wurde buchstäblich zu Geld unter seinen Händen.

      Levi wollte Johann auch für die Kunst begeistern, aber es gelang ihm nicht. Das war nicht dessen Welt. Lediglich Franziska, die ab und zu beim Servieren aushalf, zeigte Interesse dafür.

      Johann hatte seine Mühe mit den Bildern, manchmal wusste er nicht, was es darstellte - für ihn eine nutzlose Geldverschwendung. Maria, jetzt Miriam, hatte schon in eine exzentrische Familie eingeheiratet.

      Johanna Esther Rosenbaum, Levis Mutter, unterhielt einen der vornehmsten Salons in Oppeln. Alles, was Rang und Namen hatte, die Damen der Geschäftsleute, Beamten und Offiziere, verkehrten bei Madam Esther, wie sie hinter vorgehaltener Hand genannt wurde. Sie hatte schon zu Lebzeiten ihres Mannes Künstler eingeladen. Maler, Schriftsteller, selbst Sängerinnen aus der Oper in Breslau waren gerne bei ihr zu Gast. Ihr Sohn Abraham Levi setzte die Tradition des Vaters fort. Seine frisch angetraute Frau Miriam, eiferte ihrer Schwiegermutter nach, versuchte sich als große Dame und lud vor allem junge Künstlerinnen ein.

      Franziska, elegant gekleidet im fliederfarbenen engen Seidenkleid mit Rüschen, überbrachte Johann einen schwarzen graugestreiften Anzug, eine Weste und ein weißes Stehkragenhemd: «Hier, das soll ich dir von Miriam geben, deine Sonntagskluft ist heute Abend unpassend. Zieh das hier an.» Sie waren beide zu einer Soirée bei Madam Esther eingeladen.

      Johann quälte sich in die enge Bügelfaltenhose, brachte sie mit müh und not zu. Als Franziska ihm den Kragen mit der Fliege schloss, meinte er zu ersticken: «Wie soll ich so den Abend überstehen?»

      «Still, halt die Luft an, du bist jetzt ein feiner Herr.» Sie kicherte und gab ihm einen Klaps auf den Po.

      «Aber, aber, junge Frau.»

      Gemeinsam schritten sie Arm in Arm die Treppe hinunter.

      «Ein komisches Gefühl, so elegant aufzutreten. Ich komme mir total fehl am Platze vor», unkte Johann.

      «Was und mit wem soll ich reden?» Er fühlte sich unwohl, am liebsten würde er umkehren und sich in sein Zimmer verkriechen.

      «Du musst nichts sagen, verkünde vor allem nicht jedem deine ehrliche Meinung. Ansonsten bin ich auch noch da.» Sie zupfte ihm die Fliege gerade.

      Die junge Frau Elisabeth Dorothea Spiro[Fußnote 22], Tochter des Kantors der Breslauer Synagoge zum Weißen Storch, Abraham Baer Spiro, diskutierte gerne mit gleichaltrigen Leuten. Sie bemühte sich, Johann mit ins Gespräch einzubeziehen, aber vergeblich. Franziska blühte auf, beteiligte sich angeregt an den Unterhaltungen.

      Elisabeth war im gleichen Alter wie sie, hatte sich einen Namen als Malerin erarbeitet, wurde als aufstrebender Stern am Kunsthimmel bezeichnet.

      Obwohl Johann ihre Bilder, meist Bleistiftskizzen, gefielen, blieb er still, schaute aber interessiert zu, wie sie einige Gäste skizzierte. Auch ihren Bruder, ein begnadeter Künstler und in der Szene bekannt, lernte er kennen. Er hatte dessen Bilder, hauptsächlich Landschaften in Öl, schon in den Räumen der Familie Rosenbaum gesehen. Die Künstlergeschwister waren die einzigen, mit denen er zu guter Letzt ein paar Worte wechselte.

      Einige der Speisen, die aufgetischt wurden, waren ihm unbekannt. Wie aß man diese und mit welchem Besteck? Er schielte zu seiner linken Tischnachbarin, einer jungen hübsche Malerin aus Cottbus, aber der erging es offensichtlich nicht besser als ihm.

      Viele der aufstrebenden Menschen verkehrten in dem Salon von Madam Esther.

      Ihre Schwiegertochter führte gemeinsam mit ihr vermehrt auch die nichtjüdische Gesellschaft ein. Manch einer war beleidigt, wenn er nicht eingeladen wurde.

      Johann war froh, als der Abend zu Ende war, ihn zwickte und zwackte sein Abendanzug überall, trotzdem beneidete er die Künstler.

      «Wenn ich so malen könnte, bräuchte ich nicht auf dem Bau schuften, verkehrte wie die feinen Pinkel in Salons und würde zwischendurch schnell im Atelier Farbkleckse auf eine Leinwand schmieren.» Aber leider hatte er dazu überhaupt kein Talent.

      Levi zeigte ihm mit geschwellter Brust die teuren Neuerwerbungen, zwei Bilder von einem gewissen Wassily Kandinsky – einem jungen russischen Maler. Johann betrachtete irritiert die Striche und Farbkleckse.

      Er brummte später zu Franziska: «Juden und Russen beherrschen die Kunst, sofern man diese Farb- schmierereien so bezeichnen kann. Über Tausend Mark hat Levi dafür bezahlt. Für so was gibt der so viel Geld aus – unverständlich. Und ich», grollte er, «von mir verlangt er für Kost und Unterkunft, dem kleinsten Zimmer unterm Dach fünf Mark im Monat! Die Juden verstehen schon, wie man zu Geld kommt. Andere hungern und die reichen Leute wissen nicht wohin mit ihrem Vermögen.»

      Franziska teilte nicht seine Meinung: «Warum regst du dich darüber auf! Du musst es ja nicht bezahlen. Bist du etwa neidisch.»

      Sie legte beruhigend ihren Arm um seine Schulter: «Uns geht es gut, haben doch alles, was wir brauchen.»

      Immer noch leicht schmollend schüttelte er mit dem Kopf: «Du hast ja recht, es gibt Gott sei Dank Maler, wie Max Liebermann, der ist zwar Jude, aber er malt wenigstens so, dass ich es verstehe.»

      Sie schaute ihn fragend an und er erklärte: «Sein Gemälde, der Kartoffelsammlerinnen, hängt hinten im Esszimmer. Levi hat es mir kürzlich gezeigt. Auch das Bild, oben im Treppenhaus, von Ludwig von Hofmann mit dem Titel Abendsonne, gefällt mir ausgezeichnet, da sieht man wenigstens, was es darstellt. Ist schon in Ordnung, wenn Levi Bilder sammelt, sonst würden ja die Maler verhungern.»

      Ein in der Woche darauf folgendes Gespräch mit dem Obermeister der Innung ergab zwar keine Möglichkeit, die Meisterschaft in einem anderen Betrieb fertig zu führen, aber ein Jungmeister suchte verzweifelt einen guten Vorarbeiter. Das Maurergeschäft seines Vaters hatte einen großen Auftrag von der Königlich Preußischen Eisenhütte erhalten.

      Am nächsten Tag in aller Frühe reiste Johann ab, Malapane war eine knappe Tagesreise entfernt.

      «Wenn es glatt verläuft, bin ich bis heute Abend wieder zurück», flüchtig küsste er Franziska und sprang auf den wartenden Bauernkarren, mit dem er einen Teil der Strecke mitfahren durfte.

      «Grüß Euch, ich bin Johann Scholty, der Obermeister schickt mich, ihr sucht einen Gesellen», stellte er sich vor und übergab sein Empfehlungsschreiben.

      «Grüß Gott, junger Mann, ich bin Meister Joachim Bednarz. Soso, der Seitz sendet euch, dann hält er viel von dir, sonst empfiehlt der Niemanden. Du bist schon ein Einheimischer

      «Ja, ich habe auch einige Mutjahre abgedient. Aber leider hat das nicht so geklappt, wie ich wollte.»

      Nachdem Bednarz einen Blick auf das Schreiben geworfen hatte, meinte er: «Ich suche einen fleißigen Altgesellen der mir eine Kirchenbaustelle leiten kann.»

      «Ich hatte schon einige eigene Baustellen bei Meister Eberhardt, allerdings noch keine Kirche.»

      «Ist auch kein Hexenwerk!», der junge Mann grinste über seinen Scherz, «Wir bauen seit 1899 in Sczedrzik, etwa eine Stunde von hier entfernt, eine neue katholische Kirche im neoromanischen Stil mit Ziegelfassade. Diese ersetzt einen Vorgängerbau aus Schrotholz[Fußnote 23]. Dafür brauche ich einen Mann der sich gut mit Böhmischen Kappen[Fußnote 24], Ziegelbögen und sonstigen Zierrat aus Ziegeln auskennt. Wie Seitz schreibt, hast du damit in halb Europa Erfahrung gesammelt.»

      «Ja ich habe in Böhmen, Italien und in Ostpreußen die verschiedensten Arten und Techniken der Backsteingotik erlernt.»

      «Das ist hervorragend, ich versuche es mit dir als Vorarbeiter. Ich kann mich nicht mehr