Thomas Spyra

Es war nicht meine Schuld


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Meister schüttelte sich, schenkte nach, schob ihm wiederum das volle Glas hin: «Weg damit! - Wo warst du überall in den letzten drei Jahren und was hast du Neues gelernt?»

      Ausführlich schilderte Johann ihm seine Erlebnisse.

      «Morgen, das heißt, eigentlich heute», meinte der Kramer augenzwinkernd als er zum Fenster schaute und am Horizont die Sonne aufgehen sah, «kommst du mit auf die Baustelle nach Chronstau.»

      «Ich weiß nicht», zögerte der junge Mann, benebelt vom Schnaps war er unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.

      «Wir haben jede Menge Arbeit und ich brauche gute Leute. Aber wenn du noch etwas zu erledigen hast, dann kommst halt einen Tag später.» Zum soundsovielten Male schenkte der Meister nach.

      Ermüdet blinzelte Johann.

      «Schau doch nicht so, wird dein Schaden nicht sein.» Die Stimme überschlug sich. «Du warst immer wie ein Sohn für mich.» Der beschwipste Kramer klopfte Johann redselig auf die Schulter: «Ich unterbreite dir ein hervorragendes Angebot: Ich lass dich als Anwärter auf die Meisterschaft im Innungsbuch eintragen. Nach deinen sechs Mutjahren[Fußnote 19] hast du dann die Möglichkeit zum Meisterstück.» Listig schaute er den Gesellen an, «Du weißt doch, ich habe nur zwei Töchter, mir fehlt der Erbe.»

      «Mm», lallte Johann benommen. Schnaps trinken war nicht seine Stärke - vor allem so auf nüchternen Magen, der kleine Teller Suppe zählte nicht.

      «Was mehr hast du da nicht zu sagen.»

      In dem Moment kam die Meisterin mit einem Tablett voll Brot und Wurst herein: «Guten Morgen, nachdem ihr euch die Nacht um die Ohren geschlagen habt, bringe ich ein deftiges Frühstück. - Was redest denn für dumme Sachen Mann, hast wieder zu viel getrunken.»

      «Nur ein paar Schnäpschen zur Begrüßung.»

      «Na, na – die war gestern Abend noch voll!»

      Kopfschüttelnd räumte sie die fast leere Flasche weg.

      «Reg dich nicht auf, Frau. Ich hab doch recht, die Weiber dürfen das Geschäft nicht übernehmen. Johann ist mein bester Geselle. Der, - der schafft den Meister. In sechs Jahren sehen wir weiter, welche unserer zwei Grazien noch frei ist. Lang zu Johann, lass dir´s schmecken!»

      «Aber du wirst doch die Zukunft der Mädchen nicht einfach so verschachern. Diese Zeiten sind vorbei, auch Frauen haben Rechte.»

      «Spinnst du, wer redet dir denn so einen Unsinn ein. Ich bin der Meister und Herr im Haus - und ICH sage, wo es lang geht, verstanden!» Er schlug mit der Faust so kräftig auf den Tisch, dass sein leeres Glas zersprang.

      «Aber, das ist ...», wandte Johann ein.

      «Ruhe, du hältst dich da raus. Ich stehe zu meinem Wort. Hier die Hand drauf.»

      Der junge Mann schlug zögernd ein.

      Die Frau stürmte aus der guten Stube und knallte die Tür zu.

      «Diese Weiber!», brummte Kramer.

      «Meister ich mache mich auf, ist noch ein weiter Weg bis zur Herberge.»

      «Nichts da, du bleibst heute hier. - Franziska!», schrie er, «Franziska - komm sofort her!»

      Ängstlich lugte das Mädchen in die Stube, wusste sie doch, dass mit dem angetrunkenen Onkel nicht zu Spaßen war.

      «Das ist die verarmte Nichte meiner Frau, schau sie dir an, wie die zittert.» Hämisch lachte der Meister, «richte für den Johann im kleinen Zimmer oben das Bett her - aber bisschen flott!» Er gab dem Mädchen einen Klaps auf den Hintern, die hastete erschrocken aus der Stube.

      Der Meister hielt Wort, zwei Wochen später ließ er Johann ins Buch der Innung als Anwärter auf die Meisterschaft eintragen. Mit einem feierlichen Handschlag und einer nochmals durchzechten Nacht besiegelten beide die sechsjährige Mutzeit. Dazu gehörte, dass der Geselle im Hause wohnte und als Kostgänger mit am Tisch des Meisters saß. Freilich war das fast ausschließlich auf Samstagabend bis Sonntagmittag beschränkt, denn die übrige Zeit war der Maurertrupp auf den weit verstreuten Baustellen in Nieder- und Oberschlesien unterwegs.

      Sonntagfrüh auf dem Heimweg von der Messe, versuchte es Johann in letzter Zeit so einzurichten, dass er mit Franziska vorneweg lief. Sie bereitete gewöhnlich das Mittagessen vor und er erfand immer einen Grund, das stille attraktive Mädchen heimzubegleiten.

      Der Meister mischte sich mit seiner Familie gerne unter die Gottesdienstbesucher, hierbei erfuhr man immer den neuesten Tratsch. Seine Frau hoffte dabei, eine akzeptable Partie für ihre Töchter zu finden. Mit dem Gedanken an Johann als zukünftigen Schwiegersohn konnte sie sich, obwohl sie ihn mochte, nicht so recht anfreunden. Sie wünschte sich was Besseres für ihre beiden Mädchen.

      Mit den Töchtern des Meisters fing Johann, obwohl er eine von den Beiden heiraten sollte, nichts an. Die jüngere, hübschere Luise war hochfahrend und arrogant, Maria eher eine graue Maus, der man die Worte aus dem Mund ziehen musste. Außerdem waren sie ihm zu oberflächlich, alberten nur herum, tyrannisierten ihre Base Franziska bei jeder Gelegenheit, dies störte ihn.

      Pünktlich zum Osterfest am dritten April 1904 kam die Sonne heraus, verdrängte die dunklen Wolken, schnell trocknete die Erde, das Thermometer kletterte bereits vormittags über die Achtzehn-Grad-Marke.

      Franziska hakte sich bei Johann unter: «Herrlich, endlich wieder warm.»

      Beide schauten in den strahlenden Himmel, nicht ahnend, dass ihnen einer der heißesten Sommer bevorstand.[Fußnote 20]

      Nach der festlichen Ostermesse begleitete er das Mädchen wieder nach Hause. Hübch sah sie aus in ihrem Sonntagsstaat, einem helltürkisblauen knöchellangen Rock und weißer mit Rosen bestickter Bluse unter dem schwarzen, ebenfalls mit Stickereien versehenen Samtmieder. Die goldblonden langen Zöpfe hatte sie mit bunten Bändern zu einer Krone hoch aufgesteckt.

      Sie stolperte kurz vor der Haustür, über die ihr zwischen den Füssen durchhuschende Hauskatze. Er fing sie gerade noch auf und spürte ihre weichen fraulichen Rundungen.

      «Hoppla», flüsterte sie und wollte von ihm abrücken.

      Aber er hielt sie fest an sich gedrückt und küsste zart ihre süßen Lippen.

      «Ja da schau her, zwei Turteltäubchen, das werde ich meinen Vater erzählen.»

      Sie hatten nicht bemerkt, dass Luise, die gerne spionierte, hinter ihnen her geschlichen kam.

      «Was meinst du? Er hat mich doch bloß aufgefangen!»

      Luise lachte schadenfroh: «Ich weiß, was ich gesehen habe. Willst uns wohl den Mann ausspannen?»

      «Bitte sag nichts, dein Vater jagt mich sonst davon.»

      Johann hatte bisher kein Wort über die Lippen gebracht, er schaute nur von einer zur anderen.

      «Das war eine blöde Abmachung», entgegnete er zaghaft zu Luise.

      «Ha, du kneifst?» Sie kostete seinen Schrecken aus. «Sei beruhigt, weder ich noch Maria werden so einen armen Schlucker wie dich ehelichen.»

      «Ja, aber was willst du?», Franziska hoffte auf einen Ausweg.

      «Wenn ihr uns helft, den Vater zu überreden, werden wir auch für euch eine Lösung finden.» Luise wirkte zuversichtlich und entschlossen. «Ich habe schon mit Mutter gesprochen, ich heirate einen Anderen. Beim letzten Innungsfest habe ich einen stattlichen reichen Maurer- meister aus Breslau kennengelernt, der hat versprochen, in der nächsten Woche, um meine Hand anzuhalten.»

      Johann zog die Augenbraue hoch, das verhieß nichts Gutes. Aber er schwieg - abwarten, wie sich der Meister verhielt.

      Alle Drei eilten schnellstens ins Haus.

      Eine Woche später nach der Sonntagsmesse, nahm ihn Kramer zur Seite, «Johann, heute schicken wir die Frauen alleine heim. Wir fahren nach Oppeln ins