Thomas Spyra

Es war nicht meine Schuld


Скачать книгу

      «Johann, komm mal näher, sag dem Herrn Baron einen Guten Morgen.»

      Der Bub wischte seine schmutzigen Hände an der Hose ab.

      «Lass gut sein», Streselitz winkte ab: «Soso, du möchtest ein Handwerker werden.»

      «Jawohl, Herr Baron!»

      «Der Eberhardt Kramer, das Baugeschäft in Dembiohammer, gleich an der Landstraße, der würde ihn für wenig Geld nehmen», mischte sich Kaplan Müller ein. «Lasst mich das regeln – und wir sind quitt – oder?» Er streckte die Hand hin, «Schlagt ein Streselitz!»

      «Wie oft gedenkt ihr mir dies noch aufs Butterbrot zu streichen?»

      «Das ist das letzte Mal!»

      «Meine Herren, ihr habt es gehört! Ihr seid die Zeugen!», meinte der Freiherr zu den beiden anderen Männern.

      «Aber, um was handelt es sich denn?», fragend schaute der Lehrer den Baron an.

      «Das geht Euch nichts an! Hauptsache ihr bezeugt, dass ich mit dem Kaplan einig bin!», damit wandte er sich an den Hilfsgeistlichen: «Ihr vermittelt das – und ich möchte davon nichts mehr hören!»

      «Eins noch, Herr Baron, der Maurermeister verlangt den Einschreibegulden und Lehrgeld, nicht viel.»

      «Was zahlen soll ich auch noch!»

      «Ja, ist doch nur eine Kleinigkeit für euch und später zahlt sich ja ein fleißiger Maurer aus.» Durchdringend schaute der Kleriker ihn an.

      «Gut, regelt alles», ohne die Männer weiter zu beachten, stolzierte Streselitz zielstrebig zum Herrenhaus.

      Der Lehrer und der Kaplan folgten ihm langsam.

      «Was hast du gegen den Baron in der Hand?», fragte der Schulmeister neugierig seinen Freund.

      «Nichts! Zumindest nichts, das dich was angeht. Ist ein Beichtgeheimnis!»

      Eine Woche später nahm Johann leichten Herzens Abschied von Eltern und Geschwistern, Hauptsache weg vom Vater und den Schweinen. Er bestieg ein Fuhrwerk, welches Kartoffeln nach Oppeln lieferte, der Bauer würde ihn bis Dembiohammer mitnehmen.

      «Ich werde es einmal besser haben wie meine Eltern», jubelte er innerlich. Einen anständigen Beruf erlernen, sein Traum erfüllte sich. Trotzdem wurde es ihm bange vor dem, was auf ihn zukam.

       Mooreichen 1892 – Johann

      Johann fand Freude an seiner neuen Arbeit. Mit der Zeit entwickelte er sich, wurde kräftiger, sodass er nicht mehr mit dem Mörtelkarren umfiel. Die Meisterin steckte dem Jungen immer wieder eine Extraration zu, verwöhnte ihn wie eine Mutter.

      «Du bist fast wie ein Sohn für mich, leider haben wir nur zwei Mädchen.»

      Seine Probezeit bis Ende Januar zog sich lange hin. Auf den Baustellen ruhte wegen des frühen Wintereinbruchs die Arbeit. Er pflegte mit einem alten Handlanger im Lager die Werkzeuge und bereitete für das kommende Frühjahr die verschiedensten Gerätschaften vor. Langweilige Tätigkeiten, da war Schneeräumen und Stall ausmisten besser.

      Wenigsten hatte er jetzt Zeit zum Lesen. Bereitwillig hatte der Pfarrer ihm gestattet, Lesestoff aus seiner Bibliothek auszuleihen. Ab und zu diskutierten sie über die Bücher, wenn Johann sie zurückbrachte. Dabei lebte er auf, wissbegierig sog er alles in sich hinein.

      Zu Lichtmess 1893 startete seine Lehrzeit, im Beisein der Altgesellen, dem Zunftmeister und der Frau Meisterin schwor er feierlich seinem Meister den Gehorsam und den treulichen Dienst. Das wurde mit einem kleinen Umtrunk besiegelt.

      Nach sechs Jahren war die Lehrzeit vorbei, er musste länger arbeiten, weil der Baron verstorben war und das Lehrgeld im fünften Jahr nicht mehr bezahlt hatte. Großzügig war Meister Kramer stattdessen mit einer Verlängerung der Lehre einverstanden gewesen. Endlich geschafft, Johann war zufrieden, hatte sich herausgearbeitet aus dem unteren Knechtstand.

      Sein Gesellenstück fertigte der junge Mann auf der Baustelle der Synagoge von Oppeln. Seit Jahren baute er mit am neuen Gotteshaus, das im maurischen Stil, nach Plänen des Breslauer Architekten Felix Henry, errichtet wurde. Nun stellten sie im Frühjahr 1899 mit dem Abschluss der Einfriedungen die Außenanlagen fertig. Johann war stolz, wenn die Besucher durch seine Toranlage, zwei Pfeiler mit einem Hufeisenbogen[Fußnote 10], den Garten der Synagoge betraten.

      Er hatte die Gesellenprüfung mit Bravour bestanden.

      Feierlich wurde er etwa zwei Wochen nach seinem achtzehnten Geburtstag in die Gesellenbruderschaft aufgenommen. Seit der Freisprechung gehörte er zu den Rechtschaffenden Fremden der freien Maurer- und Steinmetzgesellen. Eine der führenden Bruderschaften in Breslau.

      Aber es änderte sich nichts, die Arbeit blieb die Gleiche, nur jetzt bekam er gerechten Lohn dafür.

      Der einst schmächtige Bücherwurm hatte sich in einen großen, kräftigen jungen Burschen verwandelt. Unter dem schwarzen Hut mit der breiten Krempe, der mühsam die wild abstehenden braunen Locken bändigte, spitzten voll Entdeckerfreude grüne Augen hervor. Seine Kleidung, die Kluft, bestand aus einer Schlaghose aus grobem hellgrauem Cord. Über der Staude - das weiße Hemd - trug er eine Weste mit acht sowie eine Jacke mit sechs goldenen Knöpfen.

      Bei speziellen Anlässen band er dazu die schwarze Ehrbarkeit um, eine Art Krawatte mit der Handwerksnadel.

      Am 18. Mai 1899, einem Sonntag, schnürte er wieder einmal sein Bündel, aber dieses Mal zog es ihn in die weite Welt hinaus.

      «Mach mir keine Schande, lerne fleißig und bring ein paar neue Ideen mit», verabschiedete ihn der Meister mit einem kräftigen Handschlag.

      Die Meisterin umarmte ihn. «Wohin wanderst du?»

      «Zuerst mit Frieder ins Böhmische, einem Junggesellen wie ich, aus Oppeln.»

      «Das ist nützlich, dort lernst du, wie man die Kappen mauert.» Aufmunternd nickte der Meister.

      Nach einem feuchtfröhlichen Abschiedsabend mit der Bruderschaft brach er, gemeinsam mit weiteren drei Gesellen, von Oppeln südwärts, Richtung Prag auf.

      Der Schacht[Fußnote 11] begleitete die ausziehende Schar bis vor die Tore der Stadt im Spinnermarsch, dabei marschierte einer hinter dem anderen her. Der Erste, der Leithammel, trug eine Flasche Köm, meist ein klarer Obstschnaps, über der Schulter. Während des Marsches wurde kräftig geschallert[Fußnote 12] und in den vielen Pausen ein Schluck aus der Kömbuddel gezwitschert.

      Zum Abschied winkten sie den Kameraden zu und schritten ihrem unbekannten Ziel in Böhmen entgegen.

      Sie hatten Glück, ein zwar etwas mürrischer Bauer gestattete ihnen, ein langes Stück des Weges auf seinem Pferdekarren mitzufahren. Fremden Gesellen, das heißt, Handwerker die sich auf der Wanderschaft, der Walz, befanden, war dies nur zu Fuß erlaubt, außer man fand eine kostenlose Mitfahrgelegenheit. Bereits nach einigen Tagen erreichten sie Prag.

      Allerdings gestaltete sich das Zureisen, so nannte man das Ankommen in einer fremden Stadt, schwierig. Bei der Handwerkskammer bekam er seinen Stempel ins Reisebuch und einen Zehnpfennig. Das Vorsprechen bei einigen Meistern war leider erfolglos, erfreulicherweise endete das Gespräch jedes Mal mit einer Einladung zum Essen.

      Sie wurden zünftig in der überfüllten Herberge empfangen. Prag gehörte zu den beliebtesten Orten für die wanderten Gesellen.

      Zwei Tage später verließ Johann alleine die Goldene Stadt an der Moldau. Weiter nach Westen – Pilsen war sein neues Ziel.

      In einem kleinen Vorort der bekannten Bierstadt unterbrach er die Tippelei zum Schallmachen[Fußnote 13]. Er hatte Glück, der Krauter gab ihm Arbeit und Logis.

      Ende Oktober kündigte sich der Winter bereits mit Eis und Schnee an.

      «Wird