frei? Nicht immer war er einer Meinung mit seinesgleichen. Auch musste er sich an die Handwerksordnung halten, sich einem fremden Meister unterordnen. Freilich hatte er das Recht, jederzeit weiterzuziehen.
Quer durch Polen war er gewandert, er freute sich, aufs Neue in heimatlichen Gefilden zu sein, seit Posen sprach man wieder deutsch. Das Land wurde flacher – grüne und braungelbe Ebenen, so weit das Auge reichte. Wogende mannshohe Weizenfelder, leuchtendes Gelb, ein Brummen und Surren der schwirrenden Insekten.
«Ja, das ist Heimat! Anders als in Bozen, mit den hohen Bergen, schneebedeckten Gipfeln und den Weinhängen.»
Unter einem schattenspendenden Baum rastete er, verzehrte seine letzten Vorräte.
Von irgendwoher schlug eine Glocke die vierte Stunde, er sprang auf, war er doch ein wenig eingedöst: «Nun aber schleunigst los. Heute Abend will ich zu Hause sein.»
Er sprach auf den langen, hier in Polen menschenleeren einsamen Marschstrecken mit sich selbst, er musste sich hören. Mitunter sang oder pfiff er laut vor sich hin, aber er war so unmusikalisch, dass ihn sogar das Zwitschern der Feldlerchen aus Melodie und Takt warfen. Arg war es an Gesellenabenden, wenn man ein Lied anstimmte, er beherrschte zwar sicher den Text, aber sang mit voller Überzeugung falsch.
Mit großen Schritten setzte er seinen Weg fort, nach einer Weile stoppte er.
«Wohin führt mein Weg, zu wem will ich?» Seine Eltern waren gestorben, die Schwestern weit weg und andere Verwandtschaft war ihm nicht bekannt, außer dem aufgeblasenen Schulze. Traurigkeit überfiel ihn, er hatte niemanden mehr, zumindest wusste er von keinem.
Nach einem kräftigen Schluck aus der Wasserflasche hängte er sich seinen Charlottenburger um, nahm den Stenz und marschierte weiter:
Es, es, es und es,
es ist ein harter Schluss
weil, weil, weil und weil,
weil ich aus Frankfurt muss!
Drum schlag ich Frankfurt aus dem Sinn
und wende mich, Gott weiß, wohin.
Ich will mein Glück probieren, marschieren. …
Singend lief er an den endlosen Weizenfeldern entlang, da plötzlich hörte er ein Kichern, er blieb stehen, horchte - nichts.
«Jetzt glaube ich, fange ich schon zu Spinnen an, die Sonne hat mir doch zu heiß auf den Kopf gebrannt.» Er nahm den schwarzen Hut ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Er lief weiter – wieder ein Rascheln – Halme wackelten.
«Ist da Jemand?», rief er - lauschte – nichts rührte sich.
Kopfschüttelnd setzte er seinen Weg etwas zügiger fort. «Sicher ist sicher, man weiß ja nie, nicht, dass da ein Wildschwein oder anderes Getier angerannt kommt.»
Er blieb abermals stehen, spitzte die Ohren und stimmte ein tragisch-scherzhaftes Burschenlied, das Frieder gestern in der Herberge auf der Laute gespielt hatte, an:
Als ich ein jung Geselle war,
nahm ich ein steinalt Weib;
ich hatt sie kaum drei Tage, Ti-Ta-Tage
da hat´s mich schon gereut.
Da ging ich auf den Kirchhof
und bat den lieben Tod:
Ach lieber Tod zu Basel, Bi-Ba-Basel
hol mir mein´ Alte fort!
Und als ich wieder nach Hause kam,
mein Alte war schon tot;
ich spannt die Ross an´n Wagen, Wi-Wa-Wagen
Und fuhr´ mein Alte fort.
Und als ich auf den Kirchhof kam,
das Grab war schon gemacht,
ihr Träger tragt fein sachte,si-sa-sachte
dass die Alte nicht erwacht.
Scharrt zu, scharrt zu, scharrt immer zu,
das alte böse Weib.
Sie hat ihr Lebtage,Ti-Ta-Tage
geplagt mein´ jungen Leib.
Und als ich wieder nach Hause kam,
all´ Winkel war´n mir zu weit;
Ich wartete kaum drei Tage,Ti-Ta-Tage
Und nahm ein junges Weib.
Das junge Weibel, dass ich nahm,
das schlug mich alle Tag:
Ach lieber Tod von Basel, Bi-Ba-Basel
hätt› ich meine alte Plag!
Dembiohammer 1902 – Franziska
Sie liebte den Geruch des reifenden Korns, das leise Rauschen, wenn der Wind darüber strich, Blütenstaub über den Feldern wie Nebelschwaden verwehte. Oft stand sie alleine zwischen den Weizenhalmen, genoss die Stille und den Duft.
Heute war es windstill und glutheiß, die Felder dufteten nach Mehl, wie beim Bäcker, wenn er frisches Brot aus dem Ofen holte.
Leider war sie nicht allein, zusammen mit ihren Basen, Luise und deren Schwester Maria, war sie auf dem Heimweg von der Sonntagsschule. Die Zwei plapperten in einer Tour.
«Ich muss mal.»
«Ich auch!»
«Wartet, ich komme mit!», damit sprang die sechzehn- jährige Franziska den beiden hinterher ins Kornfeld.
Sie rafften ihre Kleidung und hockten sich hin.
«So´n Mist!», schimpfte Luise, mit ihren zwölf Jahren die Jüngste, «Ich hab mir auf den Rock gepinkelt.»
Schadenfroh lachten die beiden anderen.
«Pst, da kommt wer!», flüstere Maria, die Größere der Drei, die beim Aufstehen über die Ähren schaute.
«Ein hübsch anzusehender Wanderbursche, der laut aber falsch singt!»
Franziska reckte den Kopf: «Der ist fesch, so ein schönes Lied, aber Singen ist nicht seine Stärke», wisperte sie amüsiert. Rasch richtete sie ihren Rock.
Alle drei kicherten – der Bursche blieb stehen, schaute herüber. Sie zogen ihre Köpfe ein und schlichen weiter durchs hohe Korn.
Ihr Kichern mischte sich mit dem Zirpen der Grillen, er rief in ihre Richtung: «Ist da wer?»
Mühsam unterdrückten sie ihr Lachen, trieben weiter ihren Schabernack mit ihm.
Brummend setzte er seinen Weg fort.
Am Feldrand schubsten Maria und Luise die voraus- gehende Franziska, sodass sie ausglitt und direkt zu Füßen des jungen Burschen auf ihren Hintern landete. Dabei rutschte der Rock so unanständig weit nach oben, dass sein Blick auf ihr blondes Haar zwischen