Thomas Spyra

Es war nicht meine Schuld


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Schmutz strotzende Kappe saß. Nur seitlich hingen ein paar lange Zotteln fahl und aschgrau schlampig herunter. Da der Bartwuchs bei ihm nicht so ausgeprägt war, sah er immer unrasiert aus. Die zu groß gewordene Kleidung schlotterte an ihm herum. Er roch penetrant nach Schweinestall, war ein aufbrausender jähzorniger Zeitgenosse. Widerrede vertrug er absolut nicht.

      Wenn Friedrich abends ins Wirtshaus ging, schloss sich die junge Frau mit ihren Kindern meist in der Wohnung ihres Schwiegervaters ein. Die Kleinen ängstigten sich vor dem wütenden betrunkenen Vater, der sie alle vier prügelte, wenn er sie erwischte.

      Traurig beerdigten sie nach Ostern 1886 Fedor Scholty, einen von allen geschätzten freundlichen, friedliebenden und arbeitsamen Schweinehirten. Gott hat ihn endlich erlöst, sagte der Pfarrer in der Predigt.

      Friedrich verschwand gleich nach der Beerdigung.

      Lange noch standen die Kinder am offenen Grab des Großvaters.

      «Kommt, lasst uns heimgehen.» Inge nahm ihre Kleinen in den Arm und drängte zum Ausgang des Friedhofes.

      «Mama was wird nun, wer beschützt uns vorm Vater?», fragend schaute die achtjährige Frieda zu ihrer Mutter.

      «Wir reißen aus und verstecken uns!», schrie ihr Bruder angsterfüllt.

      «Johann sei still! Ich weiß nicht Kinder, wie es weitergehen soll.»

      Langsam trotteten sie nach Hause.

      «Ich habe Angst, verkriechen wir uns in der Wohnung vom Opa und schließen die Tür ab.» Sabine nahm ihren Bruder an der Hand und zog ihn hinter sich her.

      «Halt bleib da! Heute oder morgen kommt euer Vater nicht zurück, er hat in der Schublade das Haushaltsgeld für diesen Monat gegrapscht, nun wird er sich ordentlich die Hucke vollsaufen.»

       Mooreichen 1888 – Johann als Kind

      Johann erinnerte sich gerne an den geliebten Großvater, er fehlte ihm. Mit allen seinen Sorgen und Nöten konnte er ihn behelligen. Immer hatte der alte Mann ein gutes Wort oder eine Lösung parat gehabt.

      Mit acht Jahren wusste er, dass er hier wegmusste, er wollte nicht wie seine Eltern in der Leibeigenschaft enden - obwohl es die offiziell nicht mehr gab.

      Johann thronte auf einem etwa eineinhalb Meter hohen abgebrochenen Baumstumpf zwischen den Schweinen. Den schweren Eichenknüppel griffbereit neben sich, um die blöden gefräßigen Viecher, wie sein Vater sie nannte, abzuwehren.

      Der kleine, schmächtige, immer hungrige Junge trieb, jeden Mittag nach der Schule, die Ferkel auf die Eichenhutung.

      «Hau ihnen eins aufs Kreuz, wenn sie nicht folgen», wies sein Vater ihn an. Aber die etwa ein halbes Jahr alten Tiere gehorchten trotzdem nicht. Johann fand heraus, dass er mit Eicheln oder Zuckerrübenstückchen mehr Erfolg hatte. Wenn er losrannte und die Leckerstückchen fallen ließ, folgten ihm die Schweine mit lautem Grunzen und Quicken von alleine. Am Gatterende rettete er sich, indem er schnell auf seinen Hochsitz kletterte.

      Dort oben träumte er von einem besseren Leben. Er lernte eifrig lesen und lieh sich oft heimlich ein Buch aus der Bibliothek des Barons. Seit einem Jahr füllte er als einer von drei Feuerholzbuben, in aller Herrgottsfrühe vor der Schule, die Holzvorräte neben den Kaminen und Kachelöfen im Schloss auf. Johann war für die Bibliothek, das Speisezimmer und den grünen Salon zuständig. Oberstes Gebot war es für das Gesinde, nur die Dienstbotentreppe zu benutzen, unsichtbar für die Herrschaften zu bleiben.

      Anfangs murrte er, aber mittlerweile freute er sich darauf, sah darin seine Chance, um genügend Zeit mit den Büchern verbringen zu können, darum sputete er sich, nahm größere Mengen Holz auf einmal. In der Bibliothek standen an allen Wänden bis an die Decke reichende weiße Holzregale, nur unterbrochen von drei raumhohen Fenstern. Gefüllt mit Unmengen an verschiedenster Literatur. Das geschickt ausgerichtete nördliche Oberlicht spendete die perfekte Lesebeleuchtung.

      Heute war die schwarzgefleckte Herde gehörig aggressiv. Johann kletterte hurtig auf seinen Sitz und schlug sein Lieblingsbuch auf. Im vorletzten Monat hatte er die «Die gesammelten Märchen», von Hans Christian Andersen das erste Mal gelesen. Die Geschichte: «Der Schweinehirte» hatte ihn sofort angesprochen. Fasziniert betrachtete er die fantastischen bunten Bilder und fing an zu träumen:

       Er war der gutaussehende Prinz, der sich als Schweinhirte verkleidet hatte. Die Baroness bewunderte ihn, wollte unbedingt mit ihm spielen.

       «Ach, du lieber Augustin», trällerten sie gemeinsam, «alles ist hin ...»

      Jäh wurde er aus seinem Traum gerissen, als ihm das Märchenbuch aus der Hand rutschte und genau zwischen den Schweinen landete.

      «Oh weh, wie konnte mir das passieren?» Er hatte die Bücher immer sorgfältig in einen Einband aus Papier eingeschlagen, damit keine Flecken daran kamen. Erschrocken bemerkte er die zwei Jahre jüngere Baroness Frederike, im hellblauen spitzenbesetzten Kleidchen. Sie schielte auf dem Weg zu den Pferden, ihren weißen Tüllsonnenschirm drehend, zu ihm herüber und stolzierte weiter. Er streckte sich, um dem hintern Wald entschwindenden Mädchen nachzuschauen, hoffentlich hatte sie nichts bemerkt.

      Die Tiere hatten sich sofort auf das Buch gestürzt, zerfetzten es und mampften alles auf.

      «Scheiße! Ihr Blödiane! Wenn das der Baron merkt, kann ich was erleben», brüllte er.

      Vorsichtshalber nahm er in den nächsten Tagen kein Buch mehr mit.

      Endlich wurde es etwas wärmer, der Frühling kündigte sich an. Seine schwere dicke, aus schwarzer Wolle bestehende Hose kratzte. Mutter hatte die alte Arbeitshose vom Vater abgeschnitten, sodass sie kurz unterm Knie endete. An eisigen Frosttagen hatte er darunter eine viel zu große Männerunterhose, dazu an den Füßen gestrickte Strümpfe und Holzschuhe getragen. So war er halbwegs durch den Winter gekommen.

      Träumend hockte er, die ersten warmen Sonnenstrahlen genießend auf seinem Thron, nahm das Schmatzen der Schweine nicht mehr wahr. Sein Blick schweifte in die Ferne zu den mächtigen Bäumen des Parks, hinter dem lang gezogenen Stallgebäude.

      Einmal hatte er Heinrich, dem Gärtner, im herrlichen Schoßpark beim Heckenschneiden geholfen, wobei ihm dieser erklärte, dass der Park im englischen Stil angelegt worden sei. Das hieß, weite Wiesen, facettenreiche Baum- und Buschgruppen, kleine natürliche Seen, dazwischen sich schlängelte blumengesäumte Kieswege.

      Johann seufzte tief: «Wenn ich einmal reich bin, baue ich mir auch so einen Park mit Schloss.»

      Er liebte seine Heimat, dieses Anwesen war sein Zuhause. Aber sie besaßen so gut wie nichts, selbst die wenigen Habseligkeiten in ihrer Behausung gehörten dem Baron.

      Sein einziger Schatz, waren ein paar bunt bemalte Kistchen, die der Großvater für ihn gefertigt hatte. Damit baute er sich seinen Gutshof auf, die Menschen sowie Tiere bastelte er sich immer im Herbst geschickt aus Eicheln und Kastanien.

      Er sinnierte, in diesem Jahr fällt das aus, große Jungen spielen doch so etwas nicht mehr!

      «He Bengel hör auf zu träumen, da kommt ein Wetter, treib die Saubande rein!», unsanft riss ihn das Brüllen seines Vaters zurück in die Wirklichkeit. Der schuftete als oberster Stallknecht, jahrein jahraus von Sonnenaufgang bis zum Untergang in den Schweineställen des Barons von Streselitz. Trotzdem gab es nicht viel zum Essen. Glück war, wenn die Küchenmamsell zusätzlich Essensreste an die Kinder verteilte.

      Seine Mutter Inge sah im Gegensatz zu ihrem Mann, mit dem sie fast siebzehn Jahre verheiratet war, immer nur das Gute in den Menschen. Mit ihrer schlanken Figur, dem freundlichen Gesicht, den strohblonden, adrett zu Zöpfen geflochtenen hochgesteckten langen Haaren, war sie trotz all ihrer Mühsal noch eine ansehnliche Frau.

      Nie kam ein böses Wort über ihre Lippen, sie ertrug ihren Mann klaglos. Erledigte täglich ihre Pflichten, ohne zu murren. Sie suchte Hilfe in den Gebeten, in ihrer Religion, fand Trost im Glauben.

      Ihre Kinder, Frieda,