Thomas Spyra

Es war nicht meine Schuld


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Max, ich rieche Juden, schau die hübschen Stoffe an, da kannst deiner Alten was mitnehmen.»

      Der kleinere Kerl warf die Ballen vom Wagen.

      «Aufhören! Bitte! Lasst das, die teuern Stoffe werden schmutzig!»

      Die beiden Reiter grinsten hämisch und kippten den Karren um.

      «Nein, bitte, das ist unsere Existenz!»

      «Oh, die Judenhure spricht wie eine gebildete Dame.»

      Der Grobschlächtige ergriff Elsa und riss sie zu Boden. Der Stoffhändler sprang seiner Frau zu Hilfe. Da schlug ihm der andere mit einem Knüppel auf den Kopf. Blutend stürzte Joseph ins Gras.

      Abwechselnd vergewaltigten die Galgenvögel, die sich verzweifelt wehrende schreiende Frau. Je mehr sie sich widersetzte, umso größeren Spaß hatten die Kerle.

      «Heino, mir reichts, die macht keinen Muckser mehr.» Max stand auf, warf den schlappen Körper ins Gebüsch. «Ich stech sie ab oder willst du noch mal ran?» Der Kleine schüttelte den Kopf: «Die taugt zu nichts mehr.»

      Max zog sein Messer und schnitt Elsa eiskalt die Kehle durch, schaute zu dem leblos daliegenden Joseph: «Ich glaube, der Kerl ist auch hinüber. Lass uns abhauen.»

      Beide durchsuchten den Karren nach etwas Brauchbaren und verschwanden schleunigst mit ein paar Silberlingen.

      Stunden später erwachte Joseph, mühsam richtete er sich auf, sein Blick fiel auf Elsa. «Neiiin!» Verzweifelt warf er sich laut aufheulend über Elsa.

      Schlagartig erinnerte er sich an seinen Sohn, lief zum Gebüsch, die Decke war leer. Suchend rannte er kreuz und quer, rief immer wieder nach Fedor. Nichts, kein Laut, bedrückende Stille.

      «Was soll ich noch auf der Welt? Die Frau tot, das Kind geraubt. Warum Gott tust du mir das an? Wieso dieses Elend - bin ich schuld?», händeringend suchte er eine Antwort im Himmel. «Mein Gott, war es falsch zu konvertieren? Bruder Ignatius hat behauptet, du bist der Eine, für beide Religionen.»

      Er sank auf die Knie, betete das Vaterunser der Christen und das Kaddisch[Fußnote 8] zum Gott Abrahams - fand keinen Trost.

      In seiner Ausweglosigkeit zerriss Joseph einen Stoff zu langen Streifen, kletterte auf den nächsten Baum und erhängte sich.

      Die Kirchturmuhr schlug die elfte Stunde, es war schon stockdunkel, Franz Holderlind sorgte sich, sein Freund war immer noch nicht aufgetaucht. Das ist nicht seine Art, Joseph war für gewöhnlich früher am verabredeten Ort wie ausgemacht.

      Sie wollten kurz im Nachbardorf Tuch abliefern.

      Bei Sonnenaufgang weckte er den Vorarbeiter: «Bartholomäus, ich schaue einmal nach den beiden Scholtys, die wollten gestern Abend schon zurücksein. Baut ihr einstweilen das Zelt dort hinten vor der Hecke auf.»

      Zweimal lief er die Strecke ab, bevor er sie etwas abseits des Weges entdeckte. Zuerst die Frau, geschändet, erstochen, dann seinen Freund an einem Ast, im Wind hin und her baumelnd. Er sah sich näher um und kam zu dem Schluss, sie waren überfallen worden. Elsa brutal vergewaltigt und ermordet. Bei Joseph war er sich nicht sicher, hatte er sich aus Verzweiflung selbst erhängt? Wo war der Junge? Er rief nach dem Kind, suchte den ganzen Hügel ab, fand endlich Fedor einige hundert Meter entfernt schlafend unter einer kleinen Fichte. Er nuckelte am Daumen, sein Kopf knallrot, er hatte lange gebrüllt und war vor Erschöpfung eingeschlafen.

      Franz nahm den Knaben auf den Arm und lief ins Dorf, dort befahl er ein paar von seinen Leuten, die Toten zu holen. Der Kaplan weigerte sich, sie auf dem Friedhof zu bestatten, man sollte erst den Gendarm verständigen.

      «Dann nehmen wir eben beide mit in die Stadt und melden die Bluttat der Polizei.» Der Hilfspriester erhob keine Einwande, war froh, sie los zu sein. Mit Fahrenden gab es immer nur Ärger.

      Holderlind dachte nicht im Traum daran, die Behörde zu informieren. Sie waren sowieso nirgends gemeldet, wer sollte sie vermissen?

      Am Fuße des St. Annaberges schlugen sie ihr Lager auf. Spät abends begruben sie die beiden unweit der ersten Kreuzstation, in ungeweihter Erde, aber zumindest an einem heiligen Ort. Sie beteten gemeinsam das Kaddisch und das Vaterunser.

      Die Musikanten sangen andächtig einige stimmungsvolle Balladen.

      Am nächsten Morgen, Fronleichnam, spielten sie gottgefällige Festtagsmusik vor ihren Zelten. Leute, die auf den Kalvarienberg pilgerten, blieben stehen und hörten ihnen zu. Niemand nahm Anstoß an der jeweiligen Liedankündigung: «Für Joseph und Elsa.»

      Die Holderlinds versorgten den kleine Fedor wie ein eigenes Kind. Der bildungshungrige fünfjährige Junge lernte fleißig Lesen und Schreiben. Mangels anderer Bücher las er täglich in der Bibel, kannte bald vieles auswendig.

      Franz beobachtete den Heranwachsenden. Alles Praktische, der Umgang mit den Tieren und Menschen gelang Fedor blendend, aber er war kein Schauspieler, ein Tollpatsch auf der Bühne.

      Der Knabe, einst ein exzellenter Sopran, brummte nach dem Stimmbruch nur noch, taugte nicht einmal mehr zum Sänger.

       Mooreichen 1834 – Fedor

      

      Mit lauter Musik und radschlagenden Artisten zog die Zirkus- und Musikantentruppe am späten Nachmittag, dem ersten Samstag im September 1834, in den oberschlesischen Gutshof Mooreichen ein. Vor der großen Freitreppe stellten sie sich auf, fiedelten ein lustiges Tanzlied und sangen dazu.

      «He, was soll der Lärm? Macht, dass ihr fortkommt, bei uns gibt es nichts zu holen!», brüllte Wilhelm Gustav von Streselitz hinunter.

      «Meine Verehrung, Herr Baron, wir möchten nur eine kleine Rast einlegen, wir brauchen etwas Wasser für die Tiere.»

      Ein Mann in schwarzem Frack und rotem Zylinder verbeugte sich. Das auf seiner Schulter sitzende Äffchen, hüpfte herab und zog ebenfalls sein Hütchen.

      «Wilhelm Gustav, jetzt sei nicht so streng, schick sie zum Teich hinter dem Stall, da stören sie nicht.»

      Die Baronin trat mit den drei Kindern aus der Tür.

      «Ich wünsche dieses Gesindel nicht hier bei uns», Streselitz drehte sich provokativ zu seiner Frau um.

      «Ach was, die tun doch nichts Frevelhaftes, schau, wie sich unsere Kinder freuen», nahm sie ihm den Wind aus den Segeln.

      Die beiden Baronessen, Frederike vier und Luise sechs Jahre alt, flitzten die Treppen hinunter und tanzten zu der lustigen Melodie.

      «Was bist denn du für ein niedliches Tierchen?» Luise bewunderte den kleinen Affen, der auf sie zugesprungen kam. Kreischte auf, als das Rhesusäffchen, ebenfalls in Frack und Zylinder, ihr am Rock emporsprang.

      «Felix, nicht so wild, du erschreckst die Baronesse!», rügte der Zirkusdirektor seinen kleinen Freund und zog kurz am Kettchen. Das Äffchen vollführte einen Purzelbaum rückwärts und verbeugte sich abermals.

      «Herr Vater, bitte lass sie dableiben», bettelten beide Mädchen.

      Wilhelm Gustav´s Mutter, von allen nur die Gräfin genannt, trat aus dem Haus und klatschte mit. Sie hatte damals unter ihrem Stand den jungen adretten Baron, seinen Vater, geheiratet.

      Streselitz gab auf: «Also gut, lasst euch vom Verwalter, das ist der mit dem Schlapphut, einen Platz am Weiher zuteilen. Bis morgen früh gestatte ich es euch, dort zu lagern, dann zieht ihr weiter.»

      «Herzlichen Dank Herr Baron, dafür geben wir euch und eurem Gesinde heute Abend eine kleine Vorstellung.» Der Theaterdirektor verbeugte sich.

      «Ja, schon in Ordnung, jetzt aber weiter mit euch!», Streselitz wandte sich um und scheuchte seine Familie ins Haus.

      Aufgeregt und ungeduldig warteten die Kinder den ganzen Nachmittag, auf die versprochene Abendvorstellung der Spielleute.

      Eine mit Seilen abgespannte Manege und einer