Thomas Spyra

Es war nicht meine Schuld


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      In der letzten Märzwoche 1801 schifften sie sich ein. Mit dem Kahn, der von vier kräftigen Pferden gezogen wurde, fuhren sie stromaufwärts, bis zum schiffbaren Ende des Rheins bei Schaffhausen. Die Treidelknechte trieben ihre Gäule an. Einer der mitfahrenden Kaufleute versprach einen Extralohn, wenn sie ihr Ziel vorzeitig erreichen würden.

      Bei Bedarf wechselten sie bei den Bauern der Rheindörfer ihre Pferde in frische schwere, ausdauernde Kaltblüter um. Ein guter und willkommener Nebenverdienst für die Landwirte.

      Am fünften Tag abends, erreichten sie ihr Ziel und luden alles auf die bereitgestellten Pferdekarren um. Mühselig zog sich die Fahrt bis nach Stein hin. Hier verluden sie die Waren mitsamt den Fuhrwerken auf ein größeres Bodenseeschiff, dann legten sie die restliche Strecke bequem per Schiff bis Konstanz zurück.

      Nach einer Pause von einigen Tagen planten sie weiter zu reisen. Am frühen Morgen des Abreisetages weckte Elsa ihren Ehemann: «Joseph – ich glaube, mit dem Kind stimmt was nicht, hol´ einen Doktor.»

      Der junge Mann sprang in seine Hosen und raste davon. Als er mit dem Mediziner zurückkam, schluchzte Elsa und deutete auf die blutige Bettwäsche.

      Der Arzt stellte eine Fehlgeburt fest. Er beruhigte sie: «Es tut mir leid Frau Schapira, aber sie sind jung, das wird schon wieder. Doch sollte sie sich einige Wochen schonen.»

      Joseph tröstete seine Frau.

      Ein knappes halbes Jahr später zogen sie mit zwei kleinen, jeweils von einem alten Pferd gezogenen, zweirädrigen Karren los. Kurz vor Oberstdorf überraschte sie der frühe Wintereinbruch mit Schneemassen. Für die Zwangspause fanden sie Unterschlupf in einem größeren Gehöft, dem Meierhof. Gegen Mithilfe in Haus und Stall bekamen sie von der Familie Meier freie Kost und Logis.

      Wieder eine lange Wartezeit. Endlich taute der Schnee. Am Osterfest Anfang April setzten sie ihre Reise fort.

      Sie schlossen sich Augsburger Händlern an, die nach Imst in Tirol unterwegs waren. Mühsam zog die Kolonne, von fast fünfzig Fuhrwerken, den Fernpass hinauf. Immer öfters schaufelten sie sich einen Weg durch die festen Schneemassen des vergangenen Winters. Zwei lange Wochen quälten sie sich über den Pass. Alle erreichten müde und abgekämpft, aber ohne Verluste, wie die Händler aufatmend betonten, das Inntal bei Imst.

      «Endlich ist diese blöde Schufterei vorbei, wir hätten doch länger auf dem Meiershof abwarten sollen.»

      «Das mit den Augsburgern war eine günstige Gelegenheit. Dafür sind wir schon weiter als geplant.» Joseph klopfte seinem Freund aufmunternd auf die Schulter.

      «Komm, lass uns im Wirtshaus nach einem möglichen Weiterzug fragen.»

      Leider ergab sich nichts Geeignetes, die meisten Händler fuhren in den Süden, über die Alpen nach Italien.

      «Der Inn ist wegen gefährlicher Strömungen noch nicht schiffbar. Zu viel Wasser stürzt durch die Schnee- und Eisschmelze von den Bergen ins Flusstal. In ein bis zwei Monaten ist das wieder möglich.»

      Eine Auskunft, die den Freunden überhaupt nicht gefiel.

      «Euer Ziel ist doch Kufstein, da braucht ihr nur mit eurem Wagen im Inntal entlangzufahren, der beste Fahrweg - ein Treidelpfad - führt auf der Südseite entlang», erklärte ihnen der Wirt in einem Dialekt, den sie erst nach vermehrten Nachfragen verstanden.

      «Hier auf dem Zettel habe ich euch einige Gasthausadressen, für den etwas mehr als eine Woche langen Weg, aufgeschrieben.»

      «Danke, Herr Wirt!»

      Nach einem ordentlichen Frühstück, Mitte Mai 1802, zogen sie dem herrlich aufgehenden Sonnenschein entgegen.

      Die ausgeruhten Pferde waren kaum zu bremsen, freuten sich, dass sie endlich weiter traben durften.

      Joseph stimmte ein jiddisches Lied an und trällerte mit seiner Frau zusammen aus voller Brust.

      Nach drei Tagen, sie fuhren kurz vor der kleinen Stadt Rattenberg an einer schmalen Stelle zwischen Inn und der Felswand entlang, da lösten sich einige Steinbrocken und stürzten auf das Fuhrwerk. Der Wagen brach entzwei. Geistesgegenwärtig sprangen Elsa und Joseph rechtzeitig vom Kutschbock, panisch rasten die Pferde mit dem halben Karren davon.

      Schreiend rannte Joseph hinterher, glücklicherweise kamen die Tiere nicht weit, bereits hinter der nächsten Biegung türmte sich die Stadtmauer auf und sie stoppten abrupt.

      «Halt sie fest!», brüllte er.

      Der Wachmann, der vor dem Tor stand, griff spontan in das Zaumzeug.

      Joseph löste das Wagengeschirr und band seine Rösser an den dafür vorgesehenen Haltebaum neben dem Stadttor.

      «Was ist passiert?»

      «Einige Felsbrocken haben sich da vorne gelöst und sind auf meinen Wagen geknallt.»

      «Oh, das ist arg, dies ereignet sich hier öfters», bemerkte mitleidig der Soldat.

      «Erlaubt mir, euch zu helfen?», bot ein aus dem Tor tretender Mann in schwarzer Mönchskutte an.

      Joseph zuckte mit den Achseln, «Wenn ihr meint, unser Wagen ist zerbrochen.»

      Gemeinsam liefen sie zurück zum Unglücksort.

      «Ich bin Bruder Ignatius. Da hattet ihr aber Glück im Unglück», der Mönch besah sich den Schaden, «Ihr und eure Tiere seid Gott sei Dank nicht getroffen worden. Kommt mit in die Pilgerherberge in die Stadt.»

      Joseph zeigte nach hinten zum zweiten Wagen, «mein Freud Elias sowie seine Frau gehören zu uns, wir sind Juden.»

      «Das habe ich bemerkt, aber auch, dass ihr Hilfe benötigt.»

      «Danke, das sieht leider nicht jeder so!»

      «Gehen wir!»

      «Und unsere Sachen?»

      «Bei uns kommt nichts weg, ich schicke gleich zwei Männer die alles aufladen und ins Haus bringen.»

      «Danke, aber macht euch wegen uns keine Umstände.» Skeptisch beäugte Joseph den Mönch.

      «Seid unbesorgt, wir freuen uns, wenn junge Menschen in unsere Klosterherberge kommen. Fühlt euch als Gäste. Wir sind ein aussterbender Bettelorden der Augustiner. Seit Kaiser Josef häuften sich die Eingriffe ins Klosterleben. Wir mussten die Verbindungen mit den ausländischen Konventen aufgeben, die nichtösterreichischen Patres mussten unser Rattenberger Kloster verlassen. Nachdem 1785 der Fortbestand mit nur achtzehn Mönchen zugesagt wurde, kann erst, wenn einer von uns stirbt, ein neuer Bruder aufgenommen werden. Darum bin ich mit meinen siebzig Jahren der Jüngste.»

      «Danke für eure Gastfreundschaft.» Elias verbeugte sich.

      Wie sich herausstellte, war Bruder Ignatius nicht nur ein Mönch, sondern der Abt des kleinen Klosters der Stadt.

      Nach Auskunft des Wagenbauers und Schmiedes, der den Schaden am nächsten Morgen begutachtete, würde die Reparatur drei bis vier Wochen dauern.

      «Ich habe noch einen wichtigen Auftrag für den Grafen, der muss erst fertig werden.»

      Ein neuer Wagen überstieg die finanziellen Möglichkeiten der Auswanderer.

      Die drei Männer, Joseph, Elias und der Abt saßen gemütlich bei einem vortrefflichen Schluck dunklem Klosterbier beisammen.

      «Ihr wollt nach Schlesien? Da habt ihr keine Chancen. Dass alle kommen dürfen, sind leere Worte. Die Österreicher versprechen viel und halten wenig. Maria Theresia mag euch Juden nicht, hasst alles Jüdische.»

      «Bruder Ignatius, ihr mögt keine Österreicher.» Schmunzelte Joseph.

      «Warum? Hört man´s? Ich komme aus München und früher war das Inntal mal bayrisch. Das liegt mir noch irgendwie im Blut.»

      Alle drei lachten und stießen an.

      «Aber Spaß beiseite, ich schlage eine Lösung vor. Wohl gemerkt, ich spreche