Rita Renate Schönig

Düsteres Erbe


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Flatterband und ein quer stehendes blinkendes Polizeiauto gesperrt. Die „Blauen“, die Kollegen von der Schutzpolizei achteten streng darauf, dass keiner dem Tatort zu nahe kam. Nicole zeigte ihren Ausweis und wurde sofort durchgelassen, Helene aber hinter der Absperrung zurückbleiben.

      „Hallo, Frau Wegener. Das gingschnell.“ Josef Maier, Oberkommissar der Polizeistation Seligenstadt, ein etwa eins achtzig großer und stämmiger Mann mit grau meliertem lockigem Haar und einem beachtlichen Bauchumfang, reichte Nicole die Hand.

      „Eigentlich habe ich Urlaub“, erklärte sie ihr blitzartiges Erscheinen und lächelte. „Aber so ist das, wenn man im gleichen Ort wohnt, wo zufällig gerade dann eine Leiche gefunden wird. Dumm gelaufen, würde ich sagen.“

      „Oh, das tut mir leid, Frau Wegener.“ Maier schaute unschlüssig zum Tatort. „Wollen Sie trotzdem schon mal ...?“

      „Ja, klar. Die Kollegen stehen noch im Stau, müssten aber gleich hier eintreffen.

      Ich riskiere einen Blick, bevor die KTU eintrifft.“ Nicole folgte Maier an den Rand des Aushubs.

      „Wenn mich meine Augen nicht täuschen, dann könnten das die Reststücke einer Pilotenmütze sein, und zwar aus dem Zweiten Weltkrieg und amerikanisch.“ Maier deutete auf eine stark zerfledderte Kopfbedeckung, die neben dem Schädel lag. „Und über dem Brustkorb des Toten hängt eine Hundemarke, sehen Sie.“ Jetzt zeigte er auf das Gerippe, das halb aus dem Erdreich herausragte.

      Nicole kniff die Augen zusammen. Helenes Vermutung kam ihr in den Sinn. „Sie meinen es könnte sich bei dem Toten um einen amerikanischen Soldaten handeln?“

      In diesem Augenblick fuhr ein schwarzer Mercedes S-Klasse vor.

      „Oh, Dr. Lechner höchstpersönlich.“

      Anstatt ihres Chefs, dem Ersten Kriminalhauptkommissar, Dr. Ludwig Lechner, stiegen ihre Kollegen Lars Hansen und Harald Weinert aus, zückten ihre Ausweise und kamen mit zackigen Schritten auf sie und Maier zu.

      Ein schlanker, muskulös gebauter eins fünfundneunzig großer Mann mit dunklen gewellten schulterlangen Haaren, grinste Nicole an. „Gelungener Auftritt, was?“

      Sie zog die Augenbrauen hoch. „Das ist doch der Schlitten vom Chef. Wie kommst du …?“

      „Auf mich hört der Großmeister nicht. Vielleicht kannst du ihn zur Vernunft bringen“, wurde sie von Harald Weinert, kleiner als sein Kollege aber ebenso sportlich gebaut und mit dunkelblonden kurzen Locken, unterbrochen.

      „Mach dich locker, Harry.“ Hansen schlug ihm auf die Schulter. „Der Alte durchleuchtet jahrhundertlang Einbalsamierte in Kairo. Vielleicht kommt er gar nicht mehr wieder – von wegen Fluch des Pharao.“

      „Siehst du was ich meine?“ Harald Weinert schüttelte den Kopf.

      Nicole drehte den ihrigen zur Seite und verbarg ein Grinsen. „Wir klären das später. Jetzt haben wir hier eine Leiche. Ach ja, das ist Oberkommissar Josef Maier, der Chef der hiesigen Polizeistation.“ Sie deutete auf den neben ihr stehenden Kollegen. „Er hat den Tatort für uns abgesperrt.“

      Hansen und Weinert nickten Maier zu.

      „Was ist das, was da am Hals des Entseelten baumelt?“, fragte Lars, auf den im Sonnenlicht blinkenden Gegenstand hinweisend.

      „Schätze eine militärische Erkennungsmarke“, antwortete Maier. „Und daneben eine amerikanische Pilotenmütze.“

      „Sie meinen eine Hundemarke, wie sie Soldaten tragen?“

      „Ja“, bestätigte Oberkommissar Maier.

      Weinert nickte anerkennend. „Alle Achtung, Kollege, gute Augen.“

      „Kann jemand eine Leiter besorgen?“, fragte Lars Hansen jetzt in die Runde der Schaulustigen.

      Die sahen sich gegenseitig an, bis Herbert Walter antwortete: „Ich hätt ne Leiter.“

      „Holen Sie die bitte?“

      Der nickte und ging gemächlich los, um nach gefühlten endlosen Minuten mit einer ausziehbaren Aluminiumleiter zurückzukommen.

      Oberkommissar Maier und zwei Männer der inzwischen eingetroffenen KTU, schoben die Leiter über den Rand des Erdlochs und der Trupp stieg nach unten und nahmen sofort die Arbeit auf.

      Nicole und ihre Kollegen schauten in einigem Abstand zu. „Ich glaube, Herr Maier hat recht.“ Hansen verrenkte sich beinahe den Kopf. „Es könnte sich tatsächlich um eine militärische Erkennungsmarke handeln.“ Er fischte Einweghandschuhe aus seiner Hosentasche und wollte sich der Leiche nähern.

      „Lass das mal unsere Kollegen von der KTU machen“, hielt Nicole ihn zurück. „Sonst heißt es noch, wir hätten Spuren vernichtet.“

      Hansen runzelte die Stirn. „Glaubst du ernsthaft, die finden hier noch Verwertbares? Andererseits, ich will’s nicht wirklich wissen, mit welchen Methoden die den Kalten Antworten entlocken. „He, Viktor.“

      Ein circa ein Meter achtzig großer Mann mit markanten Gesichtszügen, einer blassen Hautfarbe und langem schwarzem Haar, das er im Nacken zusammengebunden hatte, kam auf die Kommissare zu. „He Lars, was gibt’s? Nicole, Harry.“

      Hansen zeigte auf den Toten. „Kannst du uns die Kette mit der Marke geben? Wir rühren sie auch nicht an, großes Indianerehrenwort.“ Er hielt seinem Kollegen von der KTU einen Plastikbeutel unter die Nase.

      Viktor Laskovic zog die Augenbrauen hoch, ging die paar Schritte zu der Leiche und entfernte vorsichtige die Kette, steckte sie in den selbigen und reichte ihn Lars. „Strangulierung, eindeutig“, fügte er an.

      „Eh, was?“ Zu spät merkte Hansen, dass er veräppelt wurde.

      „Die Feststellung der Todesart kann einige Tage dauern. Melde mich.“ Schmunzelnd wickelte Viktor den Schädel des Toten in eine Plastikfolie.

      „Hier, der Name ist noch gut zu lesen.“ Hansen drehte sich zu Nicole und Weinert. „Henry Godman US Air Force. Ein amerikanischer Pilot, vorausgesetzt die Hundemarke gehört dem Träger, wovon ich jetzt einfach mal ausgehe. Nur, wie kommt ein amerikanischer Soldat hierher – six Feed under?“

      „Das könnt ihr später im Büro recherchieren. Jetzt befragen wir die Nachbarn. Ihr geht in die Häuser ringsum und ich nehme mir die hier Anwesenden vor“, entschied Nicole. „Wir treffen uns heute Nachmittag um 15 Uhr in meinem Büro. Alles klar?“

      Hansen und Weinert nickten.

      Die Kriminalbeamtin kletterte die Leiter hinauf und lief schnurstracks zu Helene. Die wartete schon voller Spannung. Nicole nahm sie am Arm und führte sie einige Schritte weg vom Schauplatz. „Kannst du mir sagen, wer von denen, die dort herumstehen, zur direkten Nachbarschaft gehören. Aber bitte diskret, nicht mit dem Finger deuten.“

      „Der große schlanke ist Karl Neumann. Er wohnt links neben dem Häusler Grundstück“, erklärte Helene eifrig. „Seine Ehefrau, die Gertrud, schaut grad aus dem Fenster, dort oben.“ Sie machte eine Kopfbewegung zum ersten Stock des Nachbarhauses, aus dem eine verhärmte Frau mit strähnigen, schulterlangen grauen Haaren guckte. „Gertrud leidet seit Jahren unter Depressionen und verlässt das Haus so gut wie nie.

      Der kleine Untersetzte mit der sich mit dem Karl Neumann sich unterhält, das ist der Georg Lenz, genannt Schorsch. Ihm gehört das Haus gegenüber dem Neumann. Und die Gundel kennst du ja.“

      „Wer nicht“, entfuhr es Nicole mit einem Seufzer.

      „Neben dem Schorsch, der mit dem grauen Lockenkopf ist Herbert Walter, ein zurückhaltender Mann, ewiger Junggeselle. Der wohnt rechts neben dem Schorsch. Und dort oben auf dem Balkon, das ist der Sepp, äh, Josef Richter.“

      Nicole blickte hoch zu dem alten Mann. Er machte auf sie einen angespannten Eindruck. „Danke, Helene. Dann werde ich mal die lieben Nachbarn befragen.“

      „Ich kann dir dabei helfen. Ich kenne sie doch alle. Ich meine, die sind