Rita Renate Schönig

Düsteres Erbe


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die Ermittlungen einbeziehen. Ich würde mich strafbar machen, bin aber natürlich für Hinweise jeder Art sehr dankbar. Wenn du aber noch etwas für mich tun willst“, versuchte Nicole ihre verstimmte Vermieterin wieder in Laune zu bringen, „dann koch etwas Leckeres. In einer Stunde bin ich zuhause.“

      Die zog einen Schmollmund. Mit ihren 68 Jahren sah das sehr drollig aus und die Kriminalhauptkommissarin musste sich ein Lachen verbeißen. „Bitte!“

      „Na gut. Aber du erzählst mir haarklein was hier abgelaufen ist“, flüsterte Helene. „Ich sag dir aber jetzt schon“, setzte sie nach. „Das wird hart für dich, so ohne mich. Die halten zusammen wie Pech und Schwefel.“

      „Mein Name ist Nicole Wegener, Kriminalpolizei.“ Sie zeigte ihren Ausweis in die Runde. „Ich habe einige Fragen zur Familie Häusler, deren Grundstück das hier wohl war.“

      Keiner der Umstehenden fühlte sich direkt angesprochen. Manche starrten auf ihre Füße, andere schauten sich um in der Hoffnung, dass die Ansage an einen imaginären Hintermann gerichtet war.

      Nicole ging auf den Mann zu, den Helene als Georg Lenz benannt hatte.

      „Fangen wir doch mit Ihnen an. Wie ist Ihr Name?“

      „Eh … ich? Eh… Lenz, Schorsch, eh… Georg.“

      „Herr Lenz. Wie lange leben Sie schon hier?“

      „Na schon immer. Ich bin hier geborn, genau wie die annern aach.“ Lenz wandte seinen Kopf den Nachbarn zu.

      „Dann kannten Sie alle die Häuslers recht gut?“ Nicole Blick erfasste jeden Einzelnen. „Dann erzählen Sie doch mal. Was waren das für Leute, die Häuslers.“

      „Was solle mer do viel verzähle? Des warn anständische brave Leut. Der Hannes war Richter hier im Ort. Und in der Kirch hot er die Oijel gespielt.“

      „Die was?“, fragte Nicole.

      „Die Orgel in der Kirche, Frau Kommissarin“, sprang Herbert Walter als Übersetzer ein.

      „Ach ja. Und Sie sind?“

      „Walter, Herbert. Also Walter is mein Nachnahme.“ Zuerst wollte er der Kriminalbeamtin die Hand reichen, zog sie dann aber schnell wieder zurück.

      Schorsch nickte und fuhr fort. „Die Mine, des war soi Fraa, die hot vorgebet, in der Kerch und bei Beerdischunge, also wenn einer gestorbe war“, fügte er wegen Nicoles Stirnrunzeln hinzu. „Stimmt doch Herbert?“

      „Ja, ja.“

      „Der Hannes hat auch viel gespendet, besonders an unser Waisenhaus“, fuhr Schorsch Lenz munter fort.

      Na, das läuft doch besser als erhofft, dachte Nicole.

      „Wisse Se, Frau Kommissarin, mir hatte früher hier e Nonnekloster. Und die Bühler Schwestern habe sich aach um Waisekinner gekümmert. Da war sogar e Schwarzes dabei.“

      Sensationell! schoss es Nicole durch den Kopf. Ein sogenanntes schwarzes Schaf unter weißen Lämmern.

      „Oh ja, daran kann ich mich noch gut erinnern“, mischte sich Gundula Krämer jetzt ein. „Unsere Ursula, also unsere Tochter, wollte damals partout nicht in den Kindergarten. Den leiteten die Nonnen nämlich auch. Unsere Ursula hatte Angst vor dem Mädchen. Meinen Namen wissen Sie ja, Frau Wegener. Ich wollte Sie schon gleich unterrichten, grad als man die Leiche gefunden hatte, aber die Helene hat mich nicht gelassen. Sie sagte sie hätten Urlaub.“ Gundula Krämer schaute leicht beleidigt, fuhr aber in gleichem Atemzug fort: „Wissen Sie, die Maria, die Schwester vom Häusler, soll ja mal eine Liebschaft mit einem amerikanischen Soldaten gehabt haben. Könnte es der sein?“ Die kleine, kaum 1,50 Meter große Person reckte ihren Kopf zu Nicole empor. „Also ich war ja damals noch nicht hier. Ich stamme ursprünglich aus dem Saarland. Vielleicht hat die Helene Ihnen das irgendwann mal erzählt. Meine Eltern und ich waren bei den Krämers einquartiert, so kurz nach dem Krieg und na ja wie soll ich sagen, als wir alt genug waren, da hat es halt geschnackelt, zwischen mir und meinem Josef.“ Nachdem von Nicole keine Reaktion kam, fuhr Gundula Krämer fort. „Also, was ich eigentlich sagen wollte, ich wohne seit sechzig Jahren hier in dieser Straße, da kriegt man so Manches mit.“

      „Vor alle Dinge wenn mer immer soi Nas in alles noisteckt, was oam nix angehe tut.“ Georg Lenz stieß verärgert die Luft aus.

      Hingegen Gundel nur die Augenbrauen hochzog und Nicole fragte: „Ist der Tote vielleicht der Amerikaner, mit dem die Maria eine Liebschaft gehabt hat?“

      Die Kriminalbeamtin antwortete nicht, weshalb sie ungeniert weiter plapperte. „Wissen Sie, Frau Wegener der Hannes, also der Bruder von der Maria so gar nicht damit einverstanden gewesen. Und dann war der Ami so quasi über Nacht verschwunden. Also ich wette, dass …“

      „Gundel, halt endlich doi Lästermaul“, schnaubte Georg Lenz.

      Keineswegs beeindruckt zeigte sie mit einem ihrer kurzen dicken Arme in die Richtung, in der die Leute von der KTU sich tummelten. „Die Leiche dort spricht wohl für sich. War ja nicht das Einzige was die Häuslers zu verheimlichen versuchten.“ Sie wandte sich erneut an Nicole. „Die Tochter von den Häuslers, die Edeltraud, die war nicht ganz richtig im Kopf. Das durfte natürlich nicht an die Öffentlichkeit kommen. Wer weiß, was noch alles da drüben gefunden wird.“

      „Gundel, es reicht.“ Karl Neumann packte Gundula jetzt unsanft am Arm.

      „Lassen Sie das.“ Nicole machte einen Schritt auf ihn zu. Der ließ seine Nachbarin auf der Stelle los, sodass sie fast stolperte.

      „Entschuldigung. Aber ich kann’s nicht leiden, wenn so über die Edeltraud geschwätzt wird.“

      „Und Sie sind?“, fragte Nicole, obgleich Helene ihr den Mann längst hinter den Kulissen vorgestellt hatte.

      Neumann räusperte sich und gab seinen Namen an.

      „Lebt die Tochter der Häusler noch?“, fragte Nicole weiter.

      „Edeltraud wohnt in Bad Nauheim. In einer Einrichtung für Betreutes Wohnen“, gab er Auskunft.

      „Wie heißt die Einrichtung?“

      „Sonnenhof. Edeltraud wohnt dort seit ihre Eltern bei dem Brand 1989 ums Leben kamen. Und bevor sie weiter spekulieren; Edeltraud hat einen amtlichen Vormund. Er regelt ihre finanziellen Dinge. Er war es auch, der das Grundstück verkaufte.“

      „Die Häuslers kamen bei einem Brand ums Leben?“

      „Ja, des war ganz furchtbar, damals“, mischte sich Gundel erneut in das Gespräch. „Ich hatte Angst, dass das Feuer auf unser Haus überspringt.“

      Nicole ignorierte sie. Sie würde die Sache später nachprüfen lassen. „Wie heißt dieser Vormund und wo wohnt er?“, wandte sie sich erneut an Karl Neumann.

      „Günter Vogel, wohnt in Dietzenbach, am Stadtbrunnen.“ Mit dieser Information drehte er sich um und ging, Georg Lenz und Herbert Walter machten es ihm nach. Nur Gundel blieb neben stehen. „Wenn Sie noch Fragen haben, Frau Wegener – Sie wissen ja wo ich wohne.“

      „Ja Danke, Frau Krämer. Fürs erste war es das“, sagte Nicole und spazierte zu Lars Hansen, der sein Gespräch mit dem Bauträger gerade beendete.

      „Na, wie steht’s? Etwas Interessantes herausgefunden?“

      Ihr Kollege schüttelte den Kopf. „Natürlich hat die Firma das Grundstück zuvor nicht mit dem Detektor nach eventuellen Leichen abgesucht. Und natürlich interessiert ihn hauptsächlich“, Hansen deutete auf den Bauträger, „wann er weiterarbeiten kann. Ich sagte, dass es noch eine Weile dauern könnte. Und bei dir?“

      „Erzähl ich euch heute Nachmittag. Wo steckt Harald?“

      „Der befragt den alten Mann, der dort oben auf dem Balkon stand.“ Hansen zeigte zu dem Haus gegenüber. „Kollege Maier begleitet ihn. Ich probiere jetzt mal mein Glück bei den anderen Anwohnern weiter oben an der Straße. Obwohl Maier befürchtet, dass