Jürgen H. Ruhr

Undercover - Auftrag


Скачать книгу

Mein Günther hat das auch immer gemacht.“

      Ich nutzte die Gelegenheit und fischte mir ebenfalls eine Teepackung aus dem Regal. Jetzt war mein Einkaufswagen wenigstens nicht ganz so leer.

      „Was soll denn das? Hast du mir eben nicht zugehört?“ Schon lag mein Tee wieder an der Stelle, von der ich ihn zuvor weggenommen hatte. „Nie von vorne nehmen. Immer von hinten. Da liegen immer die frischesten Sachen. Nun du.“

      Ich blickte mich um, ob uns auch ja niemand beobachtete. Die Alte schien verrückt zu sein. Trotzdem wiederholte ich gehorsam: „Nie von vorne nehmen. Immer von hinten.“ - „Bist du blöde, Günther? Wieso wiederholst du alles, was ich sage? Du sollst dir die Packung aus dem Regal nehmen. Jetzt mach schon, deinetwegen verpasse ich noch meine Einkäufe!“ Meinetwegen die Einkäufe ‚verpassen‘? Die fuhren doch nicht hier vorbei. Quasi wie ein Zug, nach Fahrplan und so. Bei dem Gedanken musste ich lächeln.

      „Was grinste denn so blöd? Du willst dich wohl über mich lustig machen? Na, dann warte ich eben nicht mehr auf dich. Nächste Station Milchprodukte.“

      Ich griff rasch zu meiner Packung - natürlich der, die ich vorhin schon genommen hatte und wollte sie in den Wagen legen. Hinten sind die frischeren Sachen? Jetzt wühlte ich doch und zog mühevoll Tee von ganz hinten heraus. Dann verglich ich die Haltbarkeitsdaten. Von wegen, hinten sind die frischeren Artikel! Hier vorne die Packung war einen ganzen Monat länger haltbar, als die von hinten. Das würde ich der Rohsner gleich einmal brühwarm unter die Nase reiben.

      „Güüüünnntherrrrr!“ War die Frau angegriffen worden? So wie die schrie? Fast im Laufschritt, jedenfalls so schnell, wie es die beiden Wagen zuließen, eilte ich Richtung Kühltheke. Schon in Sichtweite der Frau, die erneut ‚Güüüünnntherrrrr!‘ schrie, knallte mein hinterer Wagen gegen einen dieser metallenen Warenkörbe und verkeilte sich. Rasselnd fiel ein Berg Suppendosen in sich zusammen. Ein Großteil der Dosen kullerte in meinen Einkaufwagen. Ein anderer Teil landete krachend auf dem Boden.

      „Güüüünnntherrrrr! Verdammt, wo bleibst du?“

      Gut, dass mich in diesem Laden keiner kannte.

      „Das muss aber schneller gehen. Du behinderst mich ja mehr, als dass du mir hilfst.“ Kopfschüttelnd legte sie einen Becher Joghurt in ihren Wagen. Dann fiel ihr Blick auf mein Gefährt. „Günther, Günther! Isst du diese Suppe so gerne, dass du so viele davon kaufst? Sind die im Angebot?“ Mit einem Finger auf die Dosen zeigend, zählte sie nach. „Achtzehn“, meinte sie schließlich und tippte sich an die Stirn, „du bist wirklich komisch, Günther. Aber zeige mir doch einmal, wo du die her hast. Eine könnte ich auch mitnehmen.“

      Großzügig reichte ich ihr eine Dose aus meinem Wagen. „Nehmen sie die. Ich wol...“ - „Nein, nein, Günther. Du sollst deine Dosen schon behalten. Ich hole mir meine eigene. Also, wohin?“ Seufzend zeigte ich ihr den Weg. Wenigstens könnte ich die Dosen so wieder zurückräumen.

      „Jetzt schau dir doch einmal diese Sauerei hier an.“ Frau Rohsner stand vor den am Boden liegenden Dosen und zeigte kopfschüttelnd auf einige eingedellte Exemplare. „Wer so etwas macht, gehört aus dem Laden geschmissen. Los Günther, ich brauche noch Zahnpasta.“ Diesmal zog sie am vorderen Wagen und zwangsläufig musste ich ihr folgen. „Ihre Suppe!“, rief ich ihr noch zu, bekam aber einen mitleidigen Blick zu spüren. „Bei der Sauerei? Da kaufe ich keine Dose.“

      Nach der Zahnpasta eilte Frau Rohsner schnurstracks zur Kasse. Meine Versuche, ihr zu erklären, dass ich noch einige Dinge bräuchte, ignorierte sie. Achtzehn Dosen chinesische Suppe - übrigens alle der gleichen Art - und eine Packung Tee waren meine Ausbeute. Immerhin mehr als Frau Rohsner, die lediglich Kaffee, Tee und einen Joghurt kaufte. Gegen die Zahncreme entschied sie sich letztlich doch noch. Sie würde ihr Gebiss ja sowieso nicht damit putzen.

      „Günther, mit dir macht das Einkaufen keinen Spaß. Ich muss mir überlegen, ob ich dich noch einmal mitnehme! Da war mein Günther doch ganz anders.“ Wir standen im Hausflur und Frau Rohsner öffnete ihre Tür. Ich reichte ihr die Einkaufstüte. Wortlos verschwand die Frau in ihrer Wohnung. Deutlich konnte ich vernehmen, dass sie eine Sicherheitskette vorlegte.

      Leute gab‘s!

      Chrissi kam mich Dienstag besuchen. Um den Schein unserer angeblichen Freund- und Liebschaft zu wahren, versuchte ich ihr schon an der Wohnungstür einen Kuss zu entlocken. Christine schob mich aber einfach zur Seite. „Jonathan, lass den Scheiß.“ Chrissi sah sich in der Wohnung um. „Du hast ja ein ganz ordentliches Durcheinander angerichtet.“ Sie zeigte auf die Stapel von Papieren, die fein säuberlich geordnet dalagen. „Hat alles sein System“, meinte ich.

      „Und? Hast du irgendetwas gefunden, das für uns von Wert sein könnte?“

      Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Alles was Heyer uns im Studio erzählte, wurde durch die Papiere bestätigt. Er hat ausnahmslos die Wahrheit gesagt. Aber es gibt auch keine Aufzeichnungen über seine Aktivitäten als Kurierfahrer oder die Rumänenbande. Da war Heyer wohl sehr vorsichtig. Wenn man bedenkt, wie brutal dieser Dimitru Pâgescu ja auch sein soll … Gibt‘s denn bei euch etwas Neues?“

      Chrissi schüttelte den Kopf. Dann nickte sie zur Küche hin, die sie kurz zuvor inspiziert hatte. „Nein, keine Neuigkeiten. Sag mal, Jonathan, hortest du Chinasuppen?“ Sie lachte. Ich winkte ab und erzählte ihr die Geschichte mit Frau Rohsner.

      „Da hast du es ja noch gut getroffen. Deine Nachbarin scheint ja ganz nett zu sein. Bei uns im Haus hat wohl irgendjemand herausbekommen, dass ich aus dem Gefängnis komme. Also angeblich ja. Außerdem ist die Wohnung verdammt klein und alles ist ziemlich schmuddelig. Ich bin froh, wenn das Ganze hier vorüber ist und ich wieder in meine eigene Wohnung ziehen kann.“

      „Ich auch“, bestätigte ich. „Kann ich dir einen Tee anbieten?“ - „Gerne Jonathan.“

      Minuten später reichte ich ihr den Tee. „Ich muss unbedingt einkaufen gehen. Gestern habe ich mich nur von der Dosensuppe ernährt und jetzt hängt mir das Zeug zum Hals heraus.“ Christine lachte. „Ja, am besten du gehst wieder mit deiner Nachbarin in den Discounter.“ - „Danke, bloß nicht. Wie geht‘s den anderen denn so?“

      Meine Kollegin schüttelte grinsend den Kopf. „Jonathan, du bist gerade einmal zwei Tage weg und tust so, als wären es Monate. Aber selbstverständlich lassen dich alle schön grüßen. Du sollst tapfer die Stellung halten. Aber sag‘ einmal: Hast du Lust Essen zu gehen?“

      Lust verspürte ich schon. Gar keine schlechte Idee, was Chrissi da vorschlug. Wollte sie mich etwa einladen? „Gute Idee. Du willst mich doch nicht etwa einladen?“ - „Nein, Jonathan. Eher andersherum: du lädst mich ein.“

      Uje, das hatte ich befürchtet. Aber wenigstens war es eine Möglichkeit der Langeweile hier ein wenig zu entgehen. Am besten wir gingen zu ‚Curry - Erwin‘, dann würde das Ganze auch nicht so teuer werden.

      „Wie hieß noch gleich das Restaurant?“, fragte sie jetzt. „Curry - Erwin“, antwortete ich. Aber Chrissi schüttelte den Kopf. „Komm, Jonathan. Das kannst du besser! Ich rede von deinem Steakrestaurant.“ - „Chez Duedo. Aber da war ich schon lange nicht mehr. Dagegen bei Cu...“ - „Wenn du mich einladen willst, dann ordentlich und nicht in diese abgewrackte Frittenbude. Also überlege es dir, ansonsten bin ich gleich wieder weg ...“

      Die Tage schlichen zäh dahin. Nach unserem Mittagessen im ‚Chez Duedo‘ verabschiedete Chrissi sich und versprach am Mittwoch wiederzukommen. Diesmal brachte sie sogar etwas zu Essen mit und kochte für uns. Und unbehelligt von meiner Nachbarin schaffte ich es sogar, einige notwendige Lebensmittel einzukaufen.

      Der Donnerstag begann mit leichtem Schneeregen. Bis zum Frühling schien es noch ewig hin zu sein. Nun, wenigstens käme jetzt Bewegung in die Angelegenheit. Heute Vormittag würde ich den Versuch starten, Pâgescu zu kontaktieren. Ich nahm mir vor, den Wagen - Heyers Wagen - stehen zu lassen und zu Fuß nach Rheydt zu laufen. Schlechtes Wetter hin oder her. Erneut prüfte ich das Handy, mit dem Pâgescu mit mir Kontakt aufnehmen würde. Komplett geladen und einsatzbereit. Nichts durfte schiefgehen. Nach meinem Anruf aus der Telefonzelle würde