Jürgen H. Ruhr

Undercover - Auftrag


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saß an einem kleinen Tisch und blickte unwillig auf, als wir den Raum betraten.

      „Was soll das? Wieso werde ich hier gefangen gehalten? Wer sind sie überhaupt?“, raunzte er uns unfreundlich an. Dann schlug er mit der Faust auf den Tisch. „Das wird Konsequenzen für sie haben! Ich will meinen Anwalt sprechen. Ich sage nichts. So!“ Heyer verschränkte die Arme vor der Brust.

      Ich sah mich in dem Raum um. Ein gemütliches Bett an der Wand links, Fernseher, ein kleines Tischchen, auf dem die Reste des Frühstücks - soweit sie nicht an der Wand klebten - standen, mehrere Stühle, dann der Tisch hier und ein kleiner Schrank. Eingerichtet wie ein gemütliches Hotelzimmer.

      „Sie sind bis auf weiteres unser Gast“, begann Sam das Gespräch. Dann sah er Chrissi und mich an und bedeutete uns, zu schweigen. „Wer wir sind, spielt keine Rolle. Ihnen wird nichts geschehen und wir wollen auch nicht, dass sie irgendetwas ‚sagen‘. Was sollten sie auch zu erzählen haben?“ - „Genau“, fiel ihm der Mann ins Wort. „Ich habe nichts zu sagen. Also, was soll ich hier? Das ist Entführung, Kidnapping, ...“

      Sam sah den Mann scharf an. „Sie reden zu viel. Ich denke, sie wollen nichts sagen, also schweigen sie einfach. Wir verfügen über alle erforderlichen Informationen. Bis zu ihrer Liquidierung brauchen sie also nichts zu sagen und es wird ihnen auch nichts geschehen!“

      Der Frührentner wurde bleich. Ich betrachtete den Mann genauer: Insgesamt eine ungepflegte Erscheinung. Unrasiert, schütteres, fettiges Haar und Zähne gelb vom Nikotin. Auch die Finger seiner rechten Hand zeigten diese typische gelbe Färbung. Da Bernd auf unbedingtes Rauchverbot Wert legte, musste dem Mann der Aufenthalt hier recht schwer fallen.

      „Sie haben gesagt, dass mir nichts geschieht“, begehrte er auf. Sam nickte nachdenklich. „Das gilt für uns hier. Nur unser Boss, der ist da anders drauf. Sehen sie, ich bin ja der Meinung, dass wir sie durchaus am Leben lassen können … Sie und ihre Organisation sind einige Nummern zu klein für uns. Aber der Boss ...“ Sam ließ den Satz in der Luft schweben. Eindringlich blickte er auf seine Hände. „Ich werde sie jedenfalls nicht umbringen.“ Dann sah er mich an. „Dafür haben wir unsere Spezialisten.“

      Aha, so lief der Hase. Sam wollte ‚guter Cop - böser Cop‘ spielen. Und ich war in diesem Fall der Böse. Nun, wie er wollte. „Kein Problem, Chef“, sprach ich jetzt mit tiefer, grimmiger Stimme, „den zerstückle ich bei lebendigem Leib.“

      Sam schüttelte den Kopf. „Nicht du, Jonathan. Du bist zu sanftmütig.“ Jetzt schob sich Chrissi nach vorne und an Heyer heran. „Unsere kleine Freundin hier darf sich mit ihnen später beschäftigen!“

      Angstvoll blickte Günther Heyer auf die vor ihm stehende Christine, die ihn sanft anlächelte. Dann zog Chrissi ein spitzes Messer aus ihrer Tasche, legte ihre linke Hand auf den Tisch, lächelte Heyer noch einmal an und stieß sich die Klinge durch die auf dem Tisch liegende Hand. Blut spritzte. Ich musste die Luft anhalten, um nicht laut herauszuschreien. Verdammt, Chrissi, was tust du da?

      Christine zog das Messer jetzt langsam wieder aus dem Fleisch und leckte es dann genüsslich ab. „Ah, das tut gut“, meinte sie dann lächelnd.

      Sam sah sie tadelnd an: „Musste das jetzt wieder sein? Du kannst es wohl kaum abwarten, dem armen Mann etwas zu tun? Ich sage ja, er muss nicht sterben. Und schon gar nicht auf eine so bestialische Art.“ Ich würgte. Was war mit Chrissi los? So kannte ich sie doch gar nicht.

      „Ich sollte noch einmal mit dem Boss reden“, meinte Sam leichthin, dann sah er Chrissi wieder an: „Kann ich dich mit dem Herrn alleine lassen?“

      Christine lächelte erst Sam, dann Heyer an. Blitzschnell stieß sie sich das Messer erneut durch die Hand. „Ja, ja. Lass mich ruhig alleine mit ihm. Und nimm das Weichei dort mit!“

      Ich schüttelte den Kopf. Das mussten doch wahnsinnige Schmerzen sein. Ob Chrissi irgendetwas genommen hatte? Und wieso hielt Sam sie nicht von diesem Unsinn ab? Der wandte sich jetzt zur Tür und nahm mich am Arm. „Wir gehen mal eben zum Boss. In einer halben Stunde sind wir wieder da ...“

      „Nein, bitte, nein. Bleiben sie hier. Lassen sie mich bloß nicht mit der da alleine!“ Heyer schrie uns gellend hinterher. Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, wie Chrissi sich erneut das Messer in die Hand rammte. Und dabei lachte. Die war bestimmt irre geworden! Sam wandte sich zu dem Mann um. „Aber ich will ihnen doch helfen. Dazu muss ich mit dem Boss sprechen. Außerdem haben sie ja nichts zu sagen, da spielt es doch keine Rolle, ob ...“

      Sam kam nicht dazu auszureden, Heyer unterbrach ihn hysterisch. Mittlerweile war der Mann auf sein Bett zurückgewichen und verkroch sich dort in einer Ecke. Das Kopfkissen hielt er schützend vor sich. „Bitte, bitte bleiben sie hier. Die bringt mich doch um! Ich sage alles, alles was ich weiß. Bitte. Vielleicht interessiert sie das: Ich fahre Kurierdienste für eine rumänische Bande, Diebesgut na...“ - „Sie haben also doch etwas zu erzählen? Nun, dann sieht die Sache ja anders aus, als ich dachte.“ Sam blickte Chrissi und mich an. „Ihr beiden holt den Boss. Mal sehen, ob ihn interessiert, was dieser Mann uns erzählen will. Und verbindet Chrissi die Hand. Bevor sie sich noch weitere Löcher hineinsticht!“

      Heyer atmete erleichtert auf. Obwohl es in dem Raum hier nicht übermäßig warm war, schien der Mann nassgeschwitzt zu sein. Chrissi zog enttäuscht das Messer aus ihrer Hand und wandte sich zur Tür. Dann drehte sie sich noch einmal zu Sam um: „Aber wenn der Boss nicht mit dem zufrieden ist, was er erzählt, dann darf ich doch, oder?“

      „Chrissi, bist du verrückt geworden? Hast du Drogen genommen?“ Kaum, dass die Tür hinter uns geschlossen war, fasste ich Christine bei den Schultern. „Was ist mit dir los?“

      Chrissi lachte und machte sich frei. Dann hob sie die verletzte Hand und zog am Handgelenk. Der Arm wackelt und löste sich. Plötzlich hielt sie den halben Arm mit der verletzten Hand hoch.

      „Oh mein Gott!“, stöhnte ich auf. War Chrissi zu einem Zombie geworden? Nachdem ich ein oder zwei solcher Filme gesehen hatte, beschloss ich diesen Horrorscheiß nie wieder zu gucken. Und jetzt stand ein Chrissi - Zombie leibhaftig vor mir. Wäre ich ihr nächstes Opfer? Hier im Kellergeschoss des Krav Maga Sportstudios?

      Aber Christine lachte nur und nestelte an ihrer Jacke. Plötzlich füllte wieder ein Arm den Ärmel, aus dem sie zuvor ihr Körperteil gezogen hatte. Es wurde immer gruseliger! So schnell wuchs ihr der Arm nach? Mir wurde schwindelig. Bevor ich umfallen konnte, stützte ich mich an der Wand ab.

      „Jonathan!“ Ihre Stimme drang wie durch Watte an mein Ohr. „Alles okay?“ Grinsend stand sie vor mir. War das der Wahnsinn, das da in ihren Augen?

      „Jonathan, nun reiß dich zusammen. Der Arm hier“, sie hielt die verletzte Hand mit dem halben Arm hoch, „ist nur eine Attrappe. Das Ganze war von Bernd so geplant, um Heyer zum Reden zu bringen.“ Jetzt konnte ich erkennen, dass ihre linke Hand verbunden war.

      „Bist … bist du verletzt?“ Ich deutete auf die Hand.

      „Nein, das gehört zur Show. Hier, die Kunsthand“, erneut hob sie die Attrappe, „ist mit Himbeersirup gefüllt. Lecker, sag ich dir. Die ganze Aktion sollte Heyer nur einschüchtern. Was ja auch wohl vortrefflich funktioniert hat! Bernd müsste jetzt auch gleich hier sein. Der wird unseren Kurierfahrer dann befragen und es würde mich wundern, wenn der Mann nicht bereitwillig alles erzählt was wir hören wollen!“

      Ich nickte. Vorsichtig blickte ich auf den abgerissenen Arm, dann wieder auf Christine. Ganz so sicher, dass sie nicht doch ein Zombie sei, war ich mir aber nicht.

      Kurz darauf trat Bernd zu uns. „Alles klar? Morgen, ihr beiden.“ Wir begrüßten uns. Dann sah er Chrissi an. „Und, wie hat Heyer unsere kleine Inszenierung aufgenommen?“ Christine grinste. „Der scheint glücklich zu sein, uns - also dir - alles erzählen zu dürfen. Hauptsache, ich beschäftige mich nicht mit ihm.“

      Bernd lachte. „Und Jonathan? Du siehst so bleich aus.“ Chrissi wedelte mit der bandagierten Hand. „Jonathan hat gut mitgespielt, da er ja nicht eingeweiht war. Allerdings habe ich das Gefühl, dass er genauso geschockt ist, wie Heyer!“ Die beiden lachten. Ich versuchte es