Kadhira del Torro

Geliebt wird anders


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interessierte das? Niemanden. Sie wollten nur die Chancen wissen, die der Kerl bei ihr hatte. Standardantwort: Null, nothing, keine, nichts, zero, vergesst es, ist nicht drin. Und? Sie spekulierten trotzdem, wollten wenigstens ein Bild ergattern, auf dem sie beide zu sehen waren und sie vielleicht sogar lächelte. Einen Teufel würde sie tun. Sie war schließlich nicht zum Vergnügen da. Nicht zu ihrem eigenen und zu dem der anderen schon gar nicht.

      Ihre Handtasche flog mit ordentlich Schwung Richtung Sessel, nahm die Lehne erfolgreich wie eine Hürde, tickte auf die Sitzfläche auf und schlidderte über das glatte Leder, um an der Kante den Restschwung zu nutzen und über den flauschigen Teppichboden bis unter den niedrigen Glastisch zu rutschen. Natürlich blieb es nicht dabei. Der kleine Aufsetzer hatte den Verschluss geöffnet und weiter noch als die Tasche selbst reiste der Inhalt. Der Lippenstift schaffte es sogar bis unter die Couch.

      Na prima. Heute ist eindeutig nicht mein Tag, dachte Nicole, spielte für den Bruchteil einer Sekunde mit dem Gedanken, alles sofort wieder aufzusammeln, und entschied sich dann doch dagegen. Die Mühe war nachher noch die gleiche. Also kümmerte sie sich erst einmal um ihre Garderobe, die sorgfältig ausgewählt werden wollte. Das hochgeschlossene, schwarze Spitzenkleid oder doch lieber das dunkelrote Samtkleid mit dem kleinen Stehkragen? Beide saßen eng, betonten ihre Figur und ließen das in ihr vermuten, was sie nicht war. Und das machte ihr Spaß. Und da gab es noch etwas, das ihr Spaß machte. Es gab jemanden, der ihr Spaß machte: Rico. Seines Zeichens Dobermann, männlich, fünf Jahre alt und ihr ständiger und meist stummer Begleiter.

       Kastriert.

      Er wurde nirgends mit einem Wort erwähnt, wurde nie der Tür verwiesen und niemand wagte es in seine dunkelbraunen, aufmerksamen Augen zu sehen. Wann denn auch? Ein jeder ergatterte lieber einen Blick auf Frauchen. Und trotzdem. Es gab kaum einen Ort, an dem Rico nicht an ihrer Seite war. Kaum, denn die Toiletten waren tabu für ihn. Er blieb artig vor der Tür. Und sollte sie doch mal tanzen, so blieb er neben ihrem Stuhl sitzen und rührte sich nicht, sein Augenmerk immer auf sie gerichtet.

      Erstaunlicherweise mochte Rico keine Männer. Wann immer diese Spezies anwesend war, pflegte Rico aufrecht zu sitzen, vom Stummelschwanz bis zu den Ohren. Er ließ sie nicht eine Sekunde aus den Augen, auch wenn er die Männer seit Jahren kannte. Bestechungsversuche mit Kuchen, Keksen, Wurst oder ähnlichem scheiterten kläglich, entlockten seiner Kehle ein tiefes, raumfüllendes Knurren und Frauchen ein Lächeln. Unnötig zu erwähnen, dass Rico sich nicht streicheln ließ. Ausgenommen von ihren Freundinnen und ihrer Familie. Er wusste eben Freund und Feind auseinander zu halten. Braver Hund.

      Nicole nahm beide Kleider aus dem Schrank, hielt sie hoch und sah den Dobermann an. „Und? Welches würdest du anziehen?“

      Er legte den Kopf etwas schief, schien beide Kleider genau zu betrachten – und sah sie ein wenig gelangweilt an. Dann legte er sich hin, schloss die Augen und entließ ein tiefes Seufzen. Du kannst ja Probleme haben.

      Samt. Praktisch denken. Es war noch kühl draußen und Samt wärmte mehr als Spitze. Also wanderte das Spitzenkleid wieder in den Schrank, das dunkelrote auf das Bett und sie selbst ins Badezimmer. Sie nahm eine ausgiebige Dusche, föhnte die Haare über Kopf und putzte sich gleichzeitig die Zähne. Eine koordinatorische Meisterleistung, die erst perfekt war, wenn der Zahnpastaschaum nicht mehr in die Nase lief. Das Make-up fiel wie immer spärlich aus. Ihre von Natur aus gebräunte Haut brauchte keine Grundierung und ihre strahlenden Augen nur wenig Unterstützung. Etwas Rouge, der Kajal kam zum Einsatz, Wimperntusche nur ganz, ganz wenig und der Lippenstift ... lag unter der Couch. Klasse. Sie zog in Unterwäsche los, krabbelte unter den Tisch, sammelte den Inhalt ihrer Tasche wieder ein und war bis zum Ellenbogen unter der Couch verschwunden, verrenkte sich den Oberkörper unter dem Glastisch, da klingelte das Telefon.

      Lippenstift oder Telefon? Beides. Sie griff schnell nach dem Lippenstift, zog sich sofort zurück und kam gleichzeitig hoch. Schwerer Fehler. Ihr Kopf stieß an die Glasplatte, ihr nackter Rücken ratschte über die kalte Tischeinfassung und ihr Fuß, gerade in der Rückwärtsbewegung, stieß an den scharfkantigen Kerzenständer neben der Couch und warf ihn um. Die Kerzen rollten über den Boden und flüchteten in alle Richtungen. Nicole schrie auf, ärgerte sich, mehr noch, als sie auf dem Weg zum Telefon auf eine Kerze trat und der Fuß schneller nach vorn glitt, als er sollte, sie mit den Armen ruderte, dabei ihre Handtasche verlor und sich deren Inhalt auf der Couch verteilte. Die linke Hand, weit vorn, griff zum Telefonhörer, die rechte hielt eisern den Lippenstift fest. „Was?“, bellte sie in den Hörer, kaum das die Muschel ihr Ohr berührte. Ihre Augen verfolgten die Minzdrops, die über die Sitzfläche rollten, an der leicht abfallenden Kante Geschwindigkeit aufnahmen und aus ihrem Gesichtsfeld verschwanden. Schwups.

      „Nicki, ich habe eine tolle Idee“, teilte Kim ihr mit, wirkte außer Atem, als wäre sie gerade zur Tür rein. Was vermutlich auch der Fall war.

      „Was für eine Idee?“ Ihr Fuß angelte nach den Kerzen, schob sie zusammen und blutete mit einem dicken Tropfen genau dort, wo sie angestoßen war und es heftig puckerte. Verdammt.

      „Du hast doch bestimmt heute Abend noch genug Arbeit, oder?“

      Nicoles Augenbrauen schossen hoch und ihr Fuß hielt inne. Sie musste keine Gedankenleserin sein, um zu wissen, was Kim Brennan von ihr wollte. „Du willst dich an meiner Stelle mit Jonathan Dunmore treffen“, stellte sie also nüchtern fest und lächelte.

      „Och bitte.

      „Du weißt, dass das nicht geht. Mein Vater wird mir den Kopf abreißen, wenn ich nicht wenigstens da auftauche und ihn begrüße.“

      „Kann ich nicht mitkommen?“

      „Hey, das wird kein Spaß.“

      „Für dich vielleicht nicht ...“

      „Du glaubst wirklich, dass du bei ihm landen kannst?“

      „Er wird sich bestimmt noch an mich erinnern.“

      Na klar, dachte Nicole. Genauso wie an die anderen fünfhundert Weiber in dieser Stadt auch. Sie seufzte ganz leise, nur für sich allein. „Sei um halb neun an der Bar. Ich werde mir was einfallen lassen.“

      „Du bist ein Schatz, Nicki. Das werde ich dir nie vergessen.“

      „Ich werde dich bei Gelegenheit daran erinnern“, schmunzelte Nicole und legte auf. Sie betrachtete den Blutstropfen auf ihrem Zeh, dann das Chaos auf dem Sofa und verzog das Gesicht. „Au“, machte sie und humpelte ins Bad. Zuerst legte sie Lippenstift auf, dann wischte sie das Blut ab und drehte das Pflaster so lange hin und her, bis es außerhalb des Schuhs unsichtbar sein würde. Das zufriedene Nicken fiel wohl doch etwas heftig aus. Jedenfalls verlor sie das Gleichgewicht und fiel vom Badewannenrand, ratschte mit dem Rücken über die Kante, plumpste mit ihrem Hinterteil auf den Fußboden und stieß sich an den Kacheln den Hinterkopf. „Verflucht und zugenäht“, rief sie und schlug mit der Faust auf den Fußboden. „Prima! Klasse! Wahnsinn! Das ist heute mein Tag. Wenn das so weitergeht, breche ich mir beim Essen das Genick.“ Wütend rappelte sie sich auf, wartete einen Moment, ob etwas passierte und richtete sich dann vollends auf. Ein Blick in den Spiegel bestätigte die Annahme, dass das, was sie auf dem Kopf hatte, nicht mehr als Frisur bezeichnet werden konnte. Der Griff zur Bürste war unvermeidlich und der Blick auf die Uhr mahnte zur Eile. Haare kämmen, an den Seiten hochstecken, Bürste aufs Bett werfen und ins Kleid schlüpfen. Während der rechte Arm über die Schulter nach hinten griff, der linke an den Rippen vorbei den Reißverschluss von unten nach oben schob, balancierte sie auf einem Fuß und angelte nach ihren Pumps, das Kinn fest auf die Brust gedrückt. Es klappte. Unfallfrei. Reißverschluss zu, Schuhe an, Kopf hoch, fertig. Die Handtasche war schnell wieder gepackt, die Jacke, Autoschlüssel, ... sie blieb in der offenen Tür stehen. Hatte sie nicht was vergessen? Papiere, fiel es ihr gerade noch rechtzeitig ein. Sie lief ins Wohnzimmer, zog eine Schublade an ihrem Schreibtisch auf und griff zielstrebig nach den Wagenpapieren. Ab in die Handtasche damit, Licht aus und Tür zu.

      Ihr kleines, rotes Cabrio stand vor der Garage. Johann hatte frei. Nicole fand