A. C. Risi

PID - Tödliches Erbe


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packte Namen und persönliche Daten von Dr. Kaspar Junot, sowie die Anschrift des Konzerns, auf dessen Name das Flugzeug eingetragen war, in eine E-Mail und schickte es los. Bevor sie den Polizeiposten verliess, kopierte sie alle relevanten Dokumente. Die Fotos steckte sie einfachheitshalber ein, niemand hatte sich bis anhin dafür interessiert – was sollte schon passieren.

      ***

      Rahul nahm die Bettsachen von der Couch und packte sie ins Gästezimmer zurück. Er hatte gut und lange geschlafen. Den Jetlag, die Strapazen des Tunnelunglücks und Jacks Geschnarche im gemeinsamen Gästezimmer lagen hinter ihm. Die Couch im Wohnzimmer war ihm wie ein Segen vorgekommen.

      Er setzte sich in der Küche an den Tisch und ging die E-Mails durch. Eine langwierige Angelegenheit, durch den Gipsverband war er in seiner Beweglichkeit stark eingeschränkt. Die Bedienung der Tastatur erwies sich als ein ungewohnt schwieriges Unterfangen.

      Er sah auf die Uhr. 11.20 Uhr. Er hatte noch geschlafen, als Jack das Haus verliess, um noch so einiges an technischem Gerät zu besorgen, und ihre Gastgeberin wirbelte irgendwo in einem dieser Fünf-Häuser-und-ein-Stall-Dörfer des Berner Jura antiquierten Staub auf. Eine einsame Gegend da oben, selbst für schweizerische Verhältnisse. Er selbst war in Delhi aufgewachsen, immer umgeben von einer schier unübersichtlichen Anzahl Familienmitglieder.

      Eine neue Mail kam rein und gleichzeitig ging die Haustüre. Rahul wandte den Kopf. Es war Jack. Laut und rücksichtslos bahnte er sich seinen Weg in die Küche.

      „Was liegt an, Kumpel?“, grinste er gut gelaunt. „Schon etwas von unserer Lady gehört?“

      „Ja, du Held, soeben ist eine E-Mail von ihr reingekommen.“

      „Seit wann bin ich denn dein Held?“

      „Du weisst, wie ich das meine.“ Rahul stöhnte verzweifelt. „Du hast uns da mal wieder ganz schön in was reingeritten. Du kannst es einfach nicht lassen – nicht wahr? Was, um Himmels willen, treibt dich nur immer wieder dazu, solche Versprechen zu geben?“

      „Jetzt mach aber mal halblang …“

      „Ich bin noch nicht fertig.“ Rahul schüttelte verständnislos den Kopf. „Machst du dir etwa Hoffnungen, sie könnte sich in dich vergucken, wenn du ihr hilfst?“

      „Das ist jetzt aber nicht fair.“ Jack tat beleidigt. „Ich erinnere mich nämlich gerade nicht, dass du gross protestiert hättest.“

      „Mir blieb ja wohl auch keine andere Wahl, nachdem du dich schon als Ritter in glänzender Rüstung aufgespielt hattest. Wie hätte ich denn dagestanden?“ Doch das war nur die halbe Wahrheit. Jack hatte nicht ganz unrecht, diese Frau hatte etwas an sich, das ihn genauso faszinierte wie seinen Freund, ja irritierte. Die Frau war ihm ein Rätsel und dennoch war sie sehr authentisch.

      „Rahul, Kumpel, sieh es doch mal so: Auf uns wartet ein echtes Abenteuer. Etwas Detektiv zu spielen reizt dich im Grunde doch genauso sehr wie mich selbst“, sagte es und stürzte Rahuls Orangensaft in einem Zug hinunter - das leere Glas drückte er dem Sprachlosen in die Hand. „Und da dieses Thema ja nun hoffentlich ein für allemal geklärt ist“, stellte er abschliessend fest, „können wir ebenso gut auch gleich mit der Arbeit beginnen.“

      „Eine Frage noch. Wie gross, schätzt du, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihre abstrusen Träume - in welchem Zusammenhang auch immer - mit ihrer Vergangenheit in Verbindung stehen? Ich denke, Emma verrennt sich da in etwas, das nicht funktionieren wird. Die Sache hat weder Hand noch Fuss. Fairerweise sollten wir sie darauf hinweisen.“

      „Du magst ja recht haben, aber das was du glaubst, spielt im Moment keine Rolle. Lass es sie selbst herausfinden. Es ist ihr Ding und sie will es durchziehen. Wir beide unterstützen sie dabei einfach, so gut es geht.

      „Und wie, wenn ich fragen darf, gedenkst du vorzugehen?“

      „Na ja, so schwer ist das nicht, schliesslich leben wir im Informationszeitalter. Betrachte es einfach als eine Art Puzzle; etwas verzwickter vielleicht, weil wir noch keinen Rahmen stecken können und die meisten Teile noch fehlen, aber ich bin da guter Dinge. Wenn wirklich etwas dahintersteckt, werden wir mit etwas Geschick und der nötigen Ausdauer die gesammelten Informationen schon bald zu einem logischen Bild formieren können.“

      „Und, ich nehme an, du weisst auch schon, in welche Richtung wir die Suche starten müssen.“ Rahul blieb skeptisch.

      „Klar“, sagte Jack. „Ist doch ganz einfach und total unspektakulär: Wir suchen nach einer Mutter und einem Vater.“

      Rahul war verblüfft, wie präzise Jacks Hirn das ganze Drumherum weggefiltert und den wahren Kern freigelegt hatte. So gesehen, stellte sich die Geschichte natürlich schon wesentlich logischer dar. Ohne wirre Träume und Verschwörungstheorien erschien ihr Vorhaben realistisch und durchaus machbar.

      Jack grinste. „Ich sehe, du hast kapiert.“

      „Ja, ich schon, aber was ist mit Emma?“

      „Das schaffen wir auch noch. Gemeinsam werden wir ihre Träume bis ins kleinste Detail ausleuchten, auseinanderpflücken, und schon bald wird sie selbst erkennen, wie sinnlos und irreal dieser Weg ist. Wenn wir nicht dagegen ankommen – nun ja -, dann hat sie vielleicht doch recht.“

      „Also gut, du hast gewonnen. Ich gebe deinem Detektivspiel zwei Wochen.“

      „Kann ich mit leben“, sagte Jack. „Öffne Emmas Nachricht. Mal sehen, ob sie schon was ausgegraben hat. Ich hole inzwischen meinen eigenen Laptop.“

      Sie arbeiteten konzentriert und teilten sich die eingegangenen Informationen auf. Rahul konzentrierte sich auf den Konzern, auf dessen Name die Unglücksmaschine registriert war – die Viva Pharma, während Jack sich den einzigen Passagier, Dr. Kaspar Junot, vorknöpfte. Mithilfe des Internets war fast alles möglich. Ohne Jacks Hilfe jedoch wäre Rahul unter der Informationsflut aus dem Internet zusammengebrochen. Er musste seine Sucheingaben immer wieder neu formulieren und stark eingrenzen.

      Die Viva Pharma entpuppte sich als Teil eines weltweit agierenden Konzerns der Pharma- und Chemiebranche. Trotz Jacks Tipps, wie er am schnellsten an die gewünschten Informationen herankam, wusste er nicht genau, wonach er eigentlich suchen sollte. Und so kämpfte er sich mühevoll durch den Wust von Einträgen, wobei er sich immer wieder Notizen machte.

      Jacks Suche verlief etwas differenzierter. Über Doktor Kaspar Junot gab es nicht so viele Einträge, dafür musste er umso tiefer graben. Der Tod des Forschers lag schon zu weit zurück und über den Konzern kam er nicht an seine persönlichen Daten heran. Was er herausfand, waren Hinweise auf die Art seiner Forschungen. Der gute Doktor war zu Lebzeiten offenbar eine bekannte Grösse in der Stammzellenforschung. Sein Name tauchte gleich in mehreren wissenschaftlichen Veröffentlichungen über das Thema auf. Ein Bild zeigte den Forscher zusammen mit dem jungen Luc Stoddard. Jack erkannte den milliardenschweren Konzernchef auf dem Bild nicht gleich wieder, mittlerweile war er über siebzig. Der Hauptaktionär der Viva Pharma hielt seinen Arm kumpelhaft um Junots Schulter gelegt und grinste selbstbewusst in die Kamera. Kaspar Junot hingegen wirkte neben dem gut aussehenden, charismatischen Stoddard eher etwas verloren.

      Der Artikel, der dem schwarz-weissen Bild zugrunde lag, wies auf die enge berufliche, aber auch auf eine freundschaftlich persönliche Beziehung der beiden Forscher hin. Junot war nur wenig älter als Stoddard, doch sein Erscheinungsbild wirkte gestandener, seriöser. Stoddards Typ entsprach eher dem eines aktiven Sportlers, denn eines spröden Forschers; das unterstrich auch die Aussage des Journalisten. Stoddard galt in jungen Jahren als wissenschaftlicher Draufgänger, ohne ethische Skrupel. Er hatte jede legale wie auch fragwürdige Abkürzung genutzt, um seinen Konkurrenten immer einen Schritt voraus zu sein. Nach dem Absturz, dem Verlust seines Freundes und Forscherkollegen, wurde es allerdings ruhiger um den jungen Stoddard. Der Konzern erwirtschaftete weiterhin riesige Summen, doch das persönliche, fundamentale Interesse an der Stammzellenforschung schien dem Pharmamagnaten nach dem tragischen Verlust seines Freundes abhandengekommen zu sein. Wollte man den Presseberichten glauben schenken, so hatte Stoddard den Labors für immer den Rücken gekehrt. Seither, so die Presse, widme