A. C. Risi

PID - Tödliches Erbe


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der Suche nach einem langen blonden Typen, der sich selbst für unwiderstehlich hält.“

      Jack schwang seine langen Beine vom Hocker und drehte sich um.

      Vor ihm stand ein Inder, schlank, gut aussehend. Der Kerl musterte ihn missbilligend mit arrogant hochgezogener Augenbraue. Doch dann zerriss ein breites Grinsen sein bemüht ernstes Gesicht. „Na, wie läuft's, Kumpel?“

      „Rahul, altes Haus, du kommst spät!“

      2

      Der Tumult hinter der geschlossenen Tür des Sitzungszimmers hallte ihr noch nach, als sie ihre Schritte längst den Flur entlang auf ihr Büro zu lenkte. Emma hatte mit ihrer unerwarteten Ankündigung einen hitzigen Disput ausgelöst, aber komme, was wolle, sie würde keinen Rückzieher machen.

      Sie schnappte sich ihre Jacke von der Stuhllehne und wollte gerade das Büro verlassen, als Frank, einer der Partner, die Tür aufriss.

      Frank war weit mehr als nur Arbeitskollege und Partner; Frank war ihr engster Freund. Er war ihr schon oft zur Seite gestanden, hatte ihr bei schwierigen Anliegen den Rücken gestärkt, doch jetzt, so wie er da vor ihr stand, gereizt und auf Distanz, liess sie der Anblick seines massigen Körpers zurückweichen. Würde sie ihn nicht besser kennen, wäre dies vermutlich der richtige Zeitpunkt, sich zu fürchten.

      „Was ist los mit dir? Was sollte das eben?“ Er versetzte der Tür einen Stoss, sodass sie lautstark ins Schloss fiel.

      Emma zuckte zusammen. Sein wilder Auftritt verschlug ihr die Sprache. Was hoffte er zu hören? Offensichtlich nichts, denn er schien gar nicht die Absicht zu haben, ihr zuzuhören – jedenfalls noch nicht. Erst mal liess er Dampf ab. Eine ganze Menge Dampf, fand Emma.

      „Du kannst nicht einfach alles hinschmeissen und verschwinden. Ein halbes Jahr – bist du verrückt?“ Mit fahrigen Fingern nestelte er an seinem engen Hemdkragen herum. Das steife Leinen spannte sich wie das Seil eines Henkers um den stiernackigen Hals und drückte ihm die Luft ab.

      Emma sah ihm stumm zu. Sie wartete darauf, was noch kommen würde. Versuchte einigermassen locker zu wirken, während sich gleichzeitig ihr Rücken vor innerer Abwehr versteifte.

      „Was denkst du dir bloss dabei“, wetterte Frank. „Du weisst, wie wichtig dieser Auftrag ist! Wir verdienen eine Menge Geld damit - auch du, schon vergessen?“ Seine Augenbrauen schossen in die Höhe, sollte wohl Eindruck machen. An einem anderen Tag hätte sie gelacht.

      Nicht heute. Nicht an diesem Tag.

      Dem Tag eins.

      Als Antwort hob Emma ein Mal die Schultern. Das war's schon. Sie hatte bereits im Sitzungszimmer alles gesagt.

      Frank kapierte schnell. Aus der Tirade wurde ein Bitten. „Emma, lass uns jetzt nicht einfach so hängen - wir brauchen dich.“ Er ging auf sie zu, um wenigstens die räumliche Distanz etwas zu verringern. Fasste sie an den Armen und versenkte seinen Blick in ihre Augen. Beschwörend hakte er nach: „Wenn du jetzt aus dem Projekt aussteigst, verlieren wir möglicherweise den gesamten Auftrag, denn ohne deine Hilfe schaffen wir die Eingabe nicht fristgerecht.“ Schonungslos appellierte er an ihr ausgeprägtes Pflichtbewusstsein.

      „Auch Heuchler müssen sterben, Frank.“ Enttäuscht über seinen erneuten Versuch, sie umzustimmen, stiess Emma ihn von sich. „Aber zugegeben, diese Mitleidstour macht dir so schnell keiner nach, nur … bei mir zieht das nicht.“ Sie fühlte sich verraten.

      „Ihr habt euch also gegen mich verschworen und dich hat man zum Fürsprecher dieser Farce ernannt. Was haben sie von dir verlangt – dass du mir die Hölle heissmachst? Mir drohst? Wollt ihr mir die Partnerschaft kündigen? Ist es das, was du mit diesem Tamtam bezweckst?“

      „Sei nicht albern, Emma. Niemand will so etwas - aber ja, sie haben mich gebeten, nochmals mit dir zu sprechen. Wärst du an meiner Stelle, würdest du genauso handeln. Paul und Tom wissen, dass wir gut miteinander können. Also hilf mir, gib dir einen Ruck und verschiebe deine privaten Probleme einfach ein paar Wochen nach hinten – mir zuliebe.“

      Frank liess sich auf das Sofa fallen. Das schlichte Design des Möbellabels USM dominierte den gesamten Raum. War trotz Franks Gewicht nicht totzukriegen. Der Chromstahl ächzte. Aber das war auch schon alles.

      Emma wollte etwas erwidern, doch Frank wischte ihr Vorhaben mit einer schwungvollen Handbewegung und einem hinreissenden Grinsen einfach vom Tisch, stattdessen klopfte er aufmunternd mit der flachen Hand auf das schwarze Leder der freien Sitzfläche neben sich.

      Emma tat ihm den Gefallen und setzte sich. Sie versuchte zu erklären: „Ihr habt mir einfach nicht richtig zugehört. Ich bitte nicht darum, ich verlange, dass mein Anliegen ernst genommen wird. Es muss jetzt sein, basta! Deine Behauptung, dass es ohne mich nicht geht, ist einfach lächerlich, und du weisst das. Genauso, wie du weisst, dass ich dich durchschaue.“

      Frank verzog das Gesicht.

      „Was zum Kuckuck ist eigentlich los mit euch Männern“, schimpfte Emma weiter, allmählich geriet sie in Fahrt. „Denk doch mal nach: Wenn ich jetzt aussteige, vergrössert sich euer Profit um meinen Anteil – und meine Arbeit ist praktisch bereits getan.“

      Die Falten um Franks Augen vertieften sich. Er lachte laut auf. „Für ein Weibsbild führst du ein ganz schön lockeres Mundwerk, weisst du das?“

      Emma schnitt ihm eine Grimasse. „Akzeptier' es einfach! Es liegt nicht in deiner Macht, mich umzustimmen, meine Entscheidung steht fest. Doch als mein Freund bitte ich dich: Sprich noch mal mit Paul und Tom, erzähl ihnen irgendetwas - aber vor allem, halt sie mir vom Hals!“

      Keine Reaktion von Frank.

      „Es muss jetzt sein!“

      „Okay, ist ja gut, ich habe verstanden. Du kannst also getrost wieder runterkommen von deinem Trip. Was auch immer du dir da eingeworfen hast, lass in Zukunft die Hände davon. Ich erkenne dich ja kaum wieder. Und noch etwas, wenn ich mich für dich starkmachen soll, brauche ich was Handfestes. Irgend so eine obskure, an den Haaren herbeigezogene Geschichte reicht da nicht. Dein momentanes – verzeih mir den Ausdruck - hysterisches Getue kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen.“

      Emma überging die chauvinistische Anspielung. Sie würde sich jetzt nicht darüber aufregen, gönnte sich aber einen kurzen Moment, um entnervt die Augen zu schliessen. Als sie sie wieder öffnete, hatte sie einen Entschluss gefasst.

      „Also gut.“ Sie atmete tief ein. „Erinnerst du dich an das, was ich dir über meine … Kindheit erzählt habe?“

      „Spielst du etwa auf diese Wer-bin-ich-wirklich-Geschichte an?“, fragte er und verfolgte ihr unruhiges Auf und Ab. Sie tigerte zum Fenster und zurück an den Schreibtisch, zum Fenster – an den Schreibtisch … und das, ohne einmal innezuhalten. „Mir wird noch schwindlig“, seufzte er. „Aber was ist jetzt neu an der Geschichte?“ Er gähnte.

      Emma beachtete ihn nicht, stattdessen machte sie sich Gedanken über die richtige Wortwahl. Wenn sie Frank nicht klarmachen konnte, wie existenziell wichtig diese Nachforschungen für sie waren, dass ihr Seelenfrieden davon abhing - von der körperlichen Erschöpfung durch chronischen Schlafmangel einmal abgesehen, dann konnte sie sich gleich jedes weitere Wort sparen.

      Frank begann zu pfeifen und mit dem Fuss zu wippen, da endlich begann sie zu erzählen. Sie nannte den Albtraum, der sie quälte.

      „Was ist das für ein Traum“, unterbrach er sie, „was passiert da?“

      „In meinem Traum bin ich ein Kind und ich sitze in einem Flugzeug. Ich blicke aus einem ovalen Fenster, dessen Scheibe milchig weiss beschlagen ist. Wir fliegen über eine weisse Decke aus Zuckerwatte, die lautlos unter dem Flugzeug dahingleitet, als das Ding plötzlich wegsackt und wie ein Stein durch die Wolken fällt. Wir stürzen ab. Ich habe fürchterliche Angst, doch niemand ist da, der sich um mich kümmert, meine Hand hält,