A. C. Risi

PID - Tödliches Erbe


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zu nicken, was jedoch unmöglich war. Kurz bevor ihr die Luft ausging, löste Frank seine Umklammerung. Er schob sie auf Armeslänge von sich und schenkte ihr ein versöhnliches Lächeln.

      Emma atmete tief ein.

      Frank ging zur Tür. Dort drehte er sich nochmals um und zwinkerte ihr zu: „Pass auf dich auf, Kleines!“

      Emma nickte stumm.

      Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, schnappte sie sich eilig Jacke und Tasche und nach einem kurzen befreienden Blick in die Runde kehrte sie ihrem bisherigen Leben den Rücken zu.

      ***

      Jack umarmte seinen Freund zur Begrüssung und klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. Rahuls gequältes Stöhnen überging er dabei geflissentlich.

      Ein paar Köpfe zuckten von ihren Zeitungen hoch. Rahul war die ungewollte Aufmerksamkeit peinlich. Er mochte es nicht besonders, im Mittelpunkt allgemeinen Interesses zu stehen, doch seinem Freund Jack waren solche Gefühlsregungen fremd; er tat seine Meinung laut und offen kund, egal wo und wann das war. Anfangs hatte ihn Jacks lautes Wesen irritiert, aber schon bald fing er an, diese etwas gewöhnungsbedürftige Art zu schätzen. Bei Jack wusste man immer, woran man war. Rahul kannte keinen ehrlicheren Typen als ihn. Das konnte manchmal durchaus unbequem sein, trotzdem war ihm Jacks offene Art lieber als das falsche, oberflächliche Getue so mancher Leute, mit denen er zu tun hatte.

      „Weisst du“, sagte Jack gerade, „ich freue mich wirklich, dass du dir für diesen Trip Zeit genommen hast. Du siehst nämlich miserabel aus, wenn ich das mal so sagen darf; müde und ich weiss nicht … griesgrämig? Aber lass mal – was dir fehlt, ist etwas Ruhe und Erholung, also haargenau das, was ich dir zu bieten habe.“

      „Ruhe und Erholung – bei dir?“, echote Rahul.

      „Jaap. Und danach …“ Jack fügte eine kunstvolle Pause ein, „danach, könntest du es tatsächlich schaffen, mit meinem blendenden Aussehen in Konkurrenz zu treten.“

      Rahul grinste. „Im Herzen bleibst du für immer ein hitziges Kind. Du hast dich auch kein bisschen verändert seit unserem letzten Treffen. Wie schaffst du es bloss, dir all diesen Quatsch abzukaufen? Du kannst unmöglich ernst meinen, was du da gerade von dir gibst. Du bist vierzig - weisst du, wie alt sich das anhört? Und du bist angezogen wie Indiana Jones und das mitten in der Stadt. Du erwartest doch nicht ernsthaft, dass ich mich dir angleichen möchte.“ Rahul legte sein Gesicht in mitleidige Falten. „Dein Narzissmus ist wirklich und wahrhaftig nicht zu toppen!“

      Jack grinste, als hätte man ihn gerade zum neuen Mister Schweiz gewählt. Siegessicher streckte er beide Daumen in die Luft.

      „Gott, mit dir stimmt echt was nicht, weisst du das?! Du solltest dich mal sehen.“ Rahul schüttelte den Kopf. „Du weisst wirklich nicht, wieso ich hier bin – stimmt's?“ Jack zog als Antwort die Schultern hoch und machte ein dummes Gesicht. „Ich bin hier, weil sie dich hat sitzen lassen, weil ich dachte, dass es dir dreckig geht, dass du am Boden liegst, zerstört, hoffungslos, nur noch ein bedauernswerter Schatten deiner selbst.“ Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf. „Sie hat dich doch nicht etwa wieder zurückgenommen?“

      „Oh nein, wo denkst du hin.“ Jack fasste sich ans Kinn, „obwohl … es fällt dem alten Mädchen sicher sehr schwer, diesen Schritt nicht zu tun, schliesslich weiss sie, was sie an mir verloren hat.“

      Rahul stöhnte auf.

      Jack gab auf: „Okay, Spass beiseite, du hast ja recht. Es hat mich anfangs ganz schön umgehauen, aber die Geschichte mit Eliane hat sich einfach totgelaufen. So gesehen, bietet sich mir jedoch die einmalige Chance, nochmals ganz von vorne zu beginnen. Und zum Auftakt dazu gönnen wir uns jetzt erst mal unseren wohlverdienten Urlaub.“

      „Gut, dann lass mal hören: Was sind deine Pläne?“ Rahul zog sich einen Hocker heran, doch Jack hielt ihn zurück.

      „Lass uns erst von hier verschwinden und sehen wir zu, dass du deine Sachen verstauen kannst.“

      „Gut, aber hast du denn schon eine neue Bleibe?“ Rahul warf einen skeptischen Blick auf Jacks feuchte, zerknitterte Jeans.

      Jack registrierte Rahuls Blick. „Oh, schau da einfach nicht hin. Daran ist nur das miese Wetter schuld.“

      „Okay, aber dir ist schon klar, dass ich auf keinen Fall mit dir im selben Zimmer hause?“

      Jack verdrehte die Augen. „Du bist ein Snob.“ Er wies auf die Reisetasche. „Ist das alles, was du dabeihast?“

      „Mehr brauche ich nicht.“ Rahul knetete sich den schmerzenden Nacken - der lange Flug von Delhi nach Zürich hatte strapaziöse Spuren hinterlassen. „Ich bin schliesslich nicht das erste Mal hier. Sogar ich weiss: In der Schweiz gibt es nichts, was man nicht kaufen kann – das stimmt doch? Ausserdem …“, fügte er so beiläufig wie möglich hinzu, „habe ich noch ein paar Sachen in meinem Ferienhaus rumliegen.“

      Jack riss vor Verblüffung den Mund auf. „Du hast – was? Ein Ferienhaus? Hier – in meinem Land?“

      „Ich dachte, du wüsstest davon? Wir waren oft da, meine Frau und ich.“

      „Du bist verheiratet?“ Jack war geschockt.

      „War. Sie ist gestorben.“

      „Oh, tut mir leid. Wieso hast du mir nie etwas davon erzählt?“

      „Ich rede nicht gerne darüber. Ausserdem war das vor unserer Zeit.“ Mehr sagte er nicht.

      „Aber das mit dem Ferienhaus, das wenigstens hättest du mir gegenüber erwähnen können“, empörte sich Jack. „Wo …?“

      Noch ehe Jack sich inhaltlich näher auf das Haus einschiessen konnte, klemmte Rahul erneut ab. Er hob seine Tasche vom Boden. „Also, was ist? Ich dachte, wir wollten fahren!“

      „Nur zu“, brummte Jack und ging den Flur entlang voraus Richtung Parkplatz. Rahul folgte ihm.

      Sie standen unter dem Vordach des Hinterausgangs. Ein stetes Rauschen lag in der Luft, vermischt mit dem frischen Geruch des Regens. Der Wagen war hinter dem nassen Vorhang kaum noch auszumachen; wenigstens hatte der Wind etwas nachgelassen.

      Jack rannte zum Jeep, Rahul hinterher. Während Rahul sich hastig auf den trockenen Beifahrersitz hievte, versuchte Jack Rahuls Reisetasche irgendwo im Fond in eine Lücke zu quetschen – aber es war hoffnungslos. Obwohl die Tasche nicht sehr gross war, fand sich kein freier Platz. Kurzerhand drückte er sie Rahul in den Schoss. „Hier! Sieht so aus, als müsstest du sie doch bei dir behalten.“

      Rahul warf einen Blick über die Schulter auf die überladenen Sitze und den vollgestopften Laderaum dahinter. „Was ist das überhaupt für Zeug. Schläfst du etwa hier drin?“

      „Quatsch!“, sagte Jack rasch. „Ich hatte einfach allerhand um die Ohren und noch keine Zeit, die Sachen auszuräumen.“

      „Tatsächlich?“ Rahul lehnte sich zurück. Etwas bohrte sich schmerzhaft zwischen seine Schulterblätter. Er griff hinter sich und zog mit spitzen Fingern und indigniert hochgezogener Braue Jacks Trekkingschuhe hervor. Sein Freund hatte sie an den Schnürsenkeln zusammengebunden und um die Nackenstütze gehängt. Er warf sie vor sich in den Fussraum, wo die derben Schuhe neben seinen weichen braunen Lederslippern von Gucci landeten und sich ausnahmen wie arme Verwandte vom Lande.

      Rahul Kahn entstammte einer vermögenden Industriellenfamilie. Sein Freund Jack wusste natürlich, dass Rahul gut betucht war, ohne jedoch das wahre Ausmass seines Reichtums zu kennen. Ihre Freundschaft beruhte auf einer gemeinsamen Leidenschaft: Beide waren sie begeisterte Trekking-Fans.

      Rahul war nicht der Typ, der mit seinem Geld protzte; im Grunde seines Wesens gehörte er eher der stillen, zurückhaltenden Spezies an. Seinen dunklen Augen haftete eine latente Traurigkeit an, die das dichte schwarze Haar und die eigenwillig gewölbten Augenbrauen verstärkten. Für einen Inder war er sehr hellhäutig, mit klaren, aber leicht unbeweglichen, abweisenden Gesichtszügen. Er hatte markante Lippen, so als wären sie