A. C. Risi

PID - Tödliches Erbe


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später …“, fährt sie fort, „sehe ich mich selbst, als kleines Mädchen inmitten rauchender Trümmer stehen. Wie zerstörte Spielsachen liegen Wrackteile verstreut um mich herum und dort, wo das grösste heil gebliebene Stück des Flugzeugs liegt, brennt es lichterloh. Und immer noch sehe ich mich da stehen und weinen, als wäre ich eine Fremde, während ich die Tränen fühlen kann, die dem Mädchen heiss und nass über die Wangen rollen. Die Flammen schlagen immer höher und eine unerträgliche Hitze breitet sich aus. Die Haut an meinen Armen beginnt zu jucken und das Letzte, was ich sehe, ist eine gewaltige, alles zerstörende Explosion. Danach wache ich auf, bin schweissgebadet und mein Bein schmerzt.“ Emma streicht sich mit der Hand über die längst verheilten Narben. Sie kann sie durch den Stoff hindurch fühlen.

      Frank räusperte sich. „Scheisse, und so was träumst du jede Nacht?“ Der betroffene Tonfall in seiner Stimme klang echt. „Kein Wunder, dass dein Nervenkostüm nur noch Pudding ist.“

      Emma sah ihn an: „Nicht jede Nacht, aber vielleicht begreifst du jetzt, dass ich so nicht weitermachen kann. Mir fehlt einfach die Kraft dazu.“

      „Verstehe! Hhmm … Hast du schon mal daran gedacht, einen dieser Psychoheinis aufzusuchen – du weisst schon, einen Seelenklempner?

      Emma antwortete nicht gleich. Sie wusste, dass dies nicht einfach eine neuerliche Stichelei war, die Frage war ernst gemeint.

      „Daran gedacht habe ich, ja. Zu Anfang jedenfalls, mittlerweile bin ich jedoch davon überzeugt, dass die Träume einen realen Hintergrund haben. Ich habe auch bereits einige Nachforschungen in diese Richtung angestellt. Recherchiert, herumtelefoniert, solche Sachen eben - und weisst du was? Ich bin tatsächlich fündig geworden.“

      Frank glotzte sie verständnislos an, als spräche sie plötzlich Mandarin. In diesem einen kurzen Moment wurde ihr klar, dass sie den Gaul von der falschen Seite her aufgezäumt hatte, aber da war es bereits zu spät.

      Frank verdrehte die Augen. „Komm schon, Emma, das ist doch verrückt. Du bist verrückt!“ Seine Bestürzung war nicht gespielt. Er konnte nicht fassen, was sie ihm da gerade aufzutischen versuchte. „Weisst du überhaupt, wie sich das anhört? Wie kommst du nur auf solch einen Unsinn? Jeder hat mal Albträume - sogar ich. Doch stelle ich deswegen gleich Nachforschungen an?“ Frank schüttelte den Kopf. Er war fassungslos. „Du ereiferst dich. Träume sind doch nur verworrene Bilder unseres Unterbewusstseins, ohne jeglichen Bezug zur Realität, völlig bedeutungslos. Wach auf, Emma, bevor du dich zu sehr in diese Sache verrennst!“

      Emma hielt den Blick auf ihre Schuhe gerichtet. „Bist du endlich fertig?“, fragte sie müde.

      „Ja, bin ich. Aber sag mir bitte, dass du das Geschwätz von eben nicht ernst gemeint hast.“ Er durchforstete ihr Gesicht nach einer Bestätigung, einer Bestätigung dessen, dass sie sich nur einen dummen Spass mit ihm erlaubt hatte, doch ihre Mine blieb ungerührt.

      Frank seufzte.

      „Ich nehme an, den Rest willst du nicht mehr hören?“

      Frank gab auf. „Ist ja gut, also erzähl weiter.“

      Emma machte es kurz, sie schloss ihren Bericht mit den folgenden Worten: „1979 gab es tatsächlich einen Flugzeugabsturz in der Gegend und die Unglücksmaschine - ein Learjet - stürzte nur etwa einen Kilometer von der Stelle entfernt ab, wo man mich damals gefunden hat.“

      „War's das jetzt?“ Frank veränderte seine Sitzhaltung. Das weiche Leder unter ihm knarzte bedrohlich. „Okay, dann beantworte mir mal eine Frage: Was glaubst du, wieso vor dir niemand diese Verbindung hergestellt hat? Die Polizei, zum Beispiel, oder die Flugsicherheit. Korrigiere mich, wenn ich falschliege, aber war es nicht schon damals üblich, dass Passagierlisten geführt werden mussten?“

      „Ich weiss es nicht“, antwortete Emma wahrheitsgetreu, „aber ich weiss, worauf du anspielst. Aber du irrst dich. Ich bin nicht verrückt. Ich weiss genau, was ich tue, und ich werde den Grund für dieses Versäumnis, Missverständnis – nenn es, wie du willst - herausfinden und danach …“

      „Was danach?“, hakte Frank nach. „Glaubst du wirklich, dass du, nachdem achtundzwanzig Jahre verstrichen sind, noch herausfinden kannst, was damals geschah. Niemand weiss, wie du auf dieses Feld gelangt bist – nicht einmal du selbst. Und wenn – das, was du zu erfahren hoffst, wird die bösen Träume auch nicht verschwinden lassen, weil sie ganz einfach nichts mit deiner Herkunft zu tun haben.“

      „Mach dich nicht lustig über mich.“

      „Das tue ich nicht, Emma. Ich mache mir bloss Sorgen. Was du da vorhast, macht mir Angst. Es ist … es ist verrückt.“

      „Du wiederholst dich.“

      Frank hob abwehrend beide Hände, so als wolle er sich vor weiteren Offenbarungen schützen. „Ich kenne dich jetzt seit nunmehr - wie lange - fünfzehn Jahren? Ich durfte deine großartigen Adoptiveltern kennenlernen, auch ein paar von deinen, ähmm … Herrenbekanntschaften sind mir noch präsent, aber habe ich deswegen jemals meine Nase ungebeten in deine Angelegenheiten gesteckt? Nein, das habe ich nicht. Habe ich jemals eine deiner Entscheidungen infrage gestellt? Auch das habe ich nie getan, im Gegenteil, ich habe immer und in jeder Beziehung hinter dir gestanden – was du auch erwarten durftest. Ich habe dich bewundert, deine Arbeit, aber auch deinen Sachverstand. Du bist die beste, talentierteste und innovativste Architektin, der ich im Laufe meiner Karriere begegnet bin – kein Scheiss –, du bist sogar besser als Paul, Tom und ich zusammen, aber das jetzt, das hört sich rein gar nicht nach der vernünftigen Frau an, die ich bis dato besser zu kennen geglaubt hatte als mich selbst.“

      Emma wollte etwas sagen, doch Frank winkte ab.

      „Lass mich bitte ausreden. Wenn nun aber …“, fuhr er fort, „und das meine ich so, wie ich es sage, also wenn dich diese Sache“, er betonte das Wort „Sache“ mit Nachdruck, „wirklich derart quält, dass offensichtlich sogar dein gesunder Menschenverstand darunter zu leiden beginnt, ist es wohl tatsächlich das Beste, du findest selbst heraus, wie lächerlich dein Vorhaben ist.“

      Emma war enttäuscht über seine Reaktion, hatte bei den letzten Sätzen gehofft, dass Frank – obwohl, wenn sie ehrlich zu sich war, sie nicht viel anderes von Frank erwartet hatte.

      Frank war kein ignoranter Idiot. Er musste gespürt haben, dass er zu weit gegangen war, denn unvermittelt lenkte er ein.

      „Tut mir leid, wenn ich dich gerade enttäuscht habe, aber du kennst mich. Mit diesem esoterischen Zeug kann ich partout nichts anfangen. Aber es ist mir absolut ernst mit dem, was ich gerade sagte: Wenn dich die Sache wirklich so fertigmacht, musst du es wohl oder übel durchziehen.“

      Emma versuchte zu lächeln, etwas verkniffen zwar, dennoch, es war eindeutig ein Lächeln.

      Beide schwiegen. Es war alles gesagt. Im Hintergrund klatschten fette Regentropfen gegen die geschlossenen Fensterscheiben. Emma fuhr sich über die Vorderseite ihrer Jeans, die noch immer etwas feucht war und den frischen Geruch nach Weichspüler verströmte. Frank hatte nichts begriffen, aber das spielte keine Rolle, ihr Entschluss hatte schon festgestanden, lange bevor sie beide dieses Gespräch geführt hatten.

      Frank fuhr sich durch sein dichtes schwarzes Haar. Auch er schien zu spüren, dass da etwas zwischen ihnen stand, das sie regeln mussten. So konnten sie nicht auseinandergehen. Beherzt griff er sich einen der glänzenden roten Äpfel vom Beistelltisch und streckte ihn Emma entgegen, doch sie schüttelte nur stumm den Kopf, und so biss er selbst gespielt herzhaft hinein.

      „Schmeckt gut“, meinte er kauend. „Was für eine Sorte ist das?“

      Emma griff nach ihrer Jacke. „Es ist wohl besser, ich gehe jetzt.“

      „Warte!“ Mühsam erhob er sich vom Sofa. „Es tut mir leid und es war ziemlich vermessen von mir, deine Entscheidung infrage zu stellen - aber versuchen musste ich es, das verstehst du doch.“

      Er bewegte sich langsam auf sie zu.

      Emma wusste, was jetzt kam. Sie versuchte nicht, sich zu widersetzen – es wäre zwecklos gewesen.