Peter Urban

Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe


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er vierzehn oder fünfzehn Jahre alt. Viele der Knappen, die ihre Herren begleiteten, um das erste Mal den Krieg aus der Nähe kennen zu lernen waren in diesem Alter.

      Gilles de Laval war ein Waisenkind. Sein Vater, der Baron Guy Laval-Blaison, de Craons Schwiegersohn, war vor ein paar Jahren auf der Jagd von einem Eber angegriffen und so schwer verletzt worden, dass er elend an Wundbrand krepierte. Die Mutter, Marie de Craon, Jeans älteste Tochter, hatte die Geburt ihres zweiten Kindes nicht überlebt. Seit dieser Tragödie lebte Gilles bei seinem Großvater. Er hatte seine Eltern so wenig gekannt, dass der Verlust ihm nie bewusst geworden war. Und obwohl er von väterlicher Seite her einer der reichsten Erben Frankreichs und einer der bedeutendsten Baronien des bretonischen Herzogtums war, war seine ganze Welt doch Jean de Craon. Er liebte den Großvater abgöttisch. Die wagen Erinnerungen an die harte, strafende Hand des Vaters waren an dem Tag verblasst, an dem de Craon ihn aus der Festung von Machécoul nach Champtocé an die Ufer der Loire geholt hatte. Er hatte nie wieder an seine Zeit bei den Eltern zurückgedacht. Und mit dem Vermögen, das Jean ihm vermachen wollte, würde er eines Tages der reichste Mann von ganz Europa sein.

      Während de Craon weiterhin seinen ältesten Sohn an der Seite des Bretonen Richemont fixierte und dabei leise Flüche murmelte, kniff Gilles die Augen zusammen. Er wollte besser erkennen können, was seine Aufmerksamkeit bereits im ersten Moment auf den jungen, unbekannten Mann mit der farbenprächtigen Kleidung, dem wunderschönen, schwarzen Kriegspferd und den langen, offenen Haaren gelenkt hatte. Als er Richemont umarmte, war der weite Ärmel an seiner Rechten nach oben gerutscht und die Sonne hatte sich in einer seltsamen, silbernen Armspange gebrochen.

      Gilles hatte nicht geglaubt, dass ein solches Objekt wirklich existierte. Er hatte einmal in einer der vielen sonderbaren Handschriften des Großvaters darüber gelesen und angenommen es wäre nur eine Legende. Doch die beiden Totenköpfe und der quadratisch geschliffene Blutstein waren unverkennbar. Natürlich konnte er aus der Ferne die Sigillen selbst nicht entziffern. Der Unbekannte trug ein uraltes und mächtiges, magisches Amulett am rechten Handgelenk, so mächtig und selten, dass sich selbst in der reichen Sammlung von Jean de Craon kein Ähnliches fand.

      In der Handschrift war genau erklärt worden, wie man mit Hilfe eines Sigillenreifs, im Verlauf einer Beschwörung, einen aufgebrachten Geist oder sogar einen Dämon beherrschte, der sich gegen den Beschwörer auflehnen wollte. Der Knabe legte seine Hand über die Hand des Großvaters. „Seht Ihr den mit dem leuchtendgrünen Waffenrock und den schwarzen Haaren“, unterbrach er die Gefühlsausbrüche des alten Mannes. Deutlich konnte er spüren, wie de Craon in seinem Zorn stoßweise atmete.

      „Ein dreckiger Barbar, Gilles. Ein gefährlicher Häretiker. Einer der sich noch in seinem Schweinestall zur Nachtruhe legt und seine ungewaschenen Mägde unter den Sonnwendfeuern mit einem Hirschgeweih auf dem Kopf schwängert, um seinen heidnischen Götzen zu gefallen“, de Craon zog verächtlich die Augenbrauen hoch.

      Champtocé lag am linken Ufer der Loire, unweit der Bischofsstadt Nantes. Kaum einen Tagesritt von seinem Stammsitz entfernt eröffnete ein undurchdringliches und von Wölfen verseuchtes Waldland den Weg hinein in das kleine Herzogtum Cornouailles. In den achtundfünfzig langen Jahren seines Lebens war er noch niemals über diese unsichtbare Grenze geritten und er würde es gewiss auch niemals tun.

      Cornouailles gehörte den alten Göttern. Man munkelte hinter vorgehaltener Hand, dass es am Hof zu Concarneau noch immer weißgewandete, tätowierte Götzendiener gab, die bei allen Unternehmungen und politischen Entscheidungen das letzte Wort hatten. Der Herzog Ambrosius Arzhur Emrys war ein gefährlicher Ketzer. Er war mit einer teuflischen Hexe aus dem barbarischsten Landstrich der englischen Insel verheiratet, Wales. Es hieß, in den Adern der Hexe floss das Blut des legendären Pendragon Eudaf Hen, Urahn von König Arthur.

      Man munkelte, die Hexe aus Wales könne Blitz und Donner beschwören und mit einem einzigen Blick töten. Ambrosius Arzhur Emrys selbst, der Barbarenfürst, der sich rühmte ein direkter Nachfahr von König Conan Meriadec zu sein, besiegte seine Feinde scheinbar, indem er Armeen schrecklicher, schwarzer Spektren auf sie hetzte. Alles Ammenmärchen!

      Niemand beherrschte die Elemente und die heidnischen Götzendiener waren auch nur aus Fleisch und Blut. Im verfluchten Zauberwald von Paimpont, den man auch Brécheliant nannte und der auf der anderen Seite seiner Ländereien, in der Nähe von Laval und Craon lag, standen ständig Hunderte bis an die Zähne bewaffneter, dunkelhäutiger und tätowierter Langhaariger. Es waren Kriegsknechte des Herzogs von Cornouailles, die die Götzendiener beschützten, die im Wald lebten, weil sie selbst offenbar nicht fähig waren mit ihren sogenannten mächtigen Zaubern anderen den Zutritt in ihr finsteres Reich zu verweigern.

      „Seht doch, was der Mann an seinem Arm trägt, Großvater“, wiegelte Gilles der Geschimpfe des Alten ab, „darüber haben wir zusammen einmal in der großen Handschrift gelesen, die Ihr aus Tours mitgebracht habt. Da stand, es würde mit Hilfe der magischen Schriftzeichen die es trägt, Geister und Dämonen bannen oder auch beherrschen.“

      De Craon kniff seine Augen zusammen und betrachtete die Armspange des Erben von Cornouailles genauer. Der Blutstein leuchtete und funkelte in der Morgensonne. Er lag eingebettet in einem gleichschenkligen, spitz zulaufenden Kreuz, einem sogenannten Al-Tar-Kitar, dem Zeichen, das die israelitischen Hexer anstelle eines Pentagramms verwendeten. Sie nannten es den Urlaut und sein Schutz übertraf ihrer Meinung nach bei Weitem den Schutz, den das gewöhnliche Pentagramm gewähren konnte. Und die Sigillen auf dem Reif waren keine einfachen lateinischen Schriftzeichen. Soviel konnte de Craon erkennen.

      „ Das müssen die berüchtigten, magischen Zeichen der Heiden sein“, sagte er leise mehr zu sich selbst, als zu Gilles, der von seiner sonderbaren Entdeckung begeistert war. Mit einem Schlag besserte sich auch die Laune des alten Mannes und er verdrängte die Gedanken an seinen unwürdigen Sohn Amaury.

      Gilles reckte den Hals, um besser sehen zu können: Sein Großvater hatte ihn von klein auf mit hinunter in die Gewölbe der Festung genommen, wo sich ein alchimistisches Laboratorium verbarg. Er hatte ihm alle Manuskripte gezeigt, die er im Laufe eines langen Lebens angehäuft hatte und viele wundersame magische Amulette und Zaubergerät. Und er hatte ihn sogar gelehrt, wie man mit denen im Jenseits in Kontakt treten konnte, um den Geistern der Toten Informationen zu entlocken, die einen persönlichen Vorteil brachten: Ein paar Mal schon hatten sie sich so geschickt angestellt, dass eines der Schattenwesen preisgab, wo es noch zu Lebzeiten wertvolle Dinge verborgen hatte.

      „Wenn wir uns nicht irren, Gilles und die Sigillen auf dem Reif wirklich magische Zeichen der Heiden sind, dann kann man mit diesem Amulett Rituale von großer Macht und Kraft vollziehen, Rituale aus ihrer alten Magie. Insbesondere für unsere Arbeiten in der hermetischen Kunst wäre es von außergewöhnlichem Wert, wenn wir ein solches Objekt besäßen“, de Craon hatte die Armspange inzwischen gründlich betrachtet. Die Rechte ihres Besitzers lag entspannt auf der Schulter des Erben der Bretagne und beide Männer sprachen miteinander, während ihre Waffenleute bereits anfingen, das Lager aufzuschlagen oder sich um die Pferde zu kümmern.

      Amaury war aus dem Blickfeld des alten Mannes verschwunden –zusammen mit den Reitern, die er ihm damals von Champtocé gestohlen hatte. Sein abtrünniger Sohn hatte die Frechheit besessen den Kriegsknechten einzureden, dass sie einem Hexer, Nekromanten und Teufelsanbeter dienten und ihnen die Feuer der Hölle gewiss wären, wenn sie weiterhin in seinen Diensten blieben.

      De Craon schüttelte fast ungläubig den Kopf. Bei der Armspange des Barbaren handelte sich eindeutig um ein ungewöhnlich mächtiges und sehr altes magisches Amulett. Vielleicht sogar ein einzigartiges Amulett.

      „Der wird uns den Reif gewiss nicht verkaufen wollen, Großvater.“

      „Junge, wir leben in einer gefährlichen Zeit“, antwortete de Craon. Endlich gelang es ihm seine Augen von der Szene abzuwenden, die sich unweit von ihm abspielte, „und selbst ein Ritter oder ein bis an die Zähne bewaffneter, dreckiger Barbar sind heute ihres Lebens und Gutes nicht mehr sicher...“

      „Und der Zug gegen die Engländer wird sich bald in Bewegung setzten“, der Knabe