Peter Urban

Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe


Скачать книгу

die Hände.

      Er musste nur noch die Nabelschnur durchtrennen und abbinden und dann dem kleinen Kerl vorsichtig den Schleim aus Mund und Nase entfernen.

      Seine haselnussbraunen Augen blitzten vergnügt. Diese alte Närrin Bran'wen hinten in der Ecke hatte doch tatsächlich geglaubt, dass es ihm nicht aufgefallen war, wie sie hinter der Truhe versteckt geblieben war, als er alle anderen aus Maeliennyds Schlafgemach verscheucht hatte.

      Doch er konnte der Frau einfach nicht böse sein.

      Wenn sie nicht so schnell angerannt gekommen wäre, als die Herzogin hingefallen und sich angeschlagen hatte, dann würde er jetzt höchstwahrscheinlich nicht in allerbester Laune hier stehen.

      Anstatt sich nach einer erfolgreichen Geburt zufrieden die Hände zu waschen, würde er vermutlich gemeinsam mit vielen anderen Menschen und Ambrosius Arzhur eine gute Frau und ihr ungeborenes Kind beweinen. „Wo sie schon einmal da ist, kann Bran'wen sich gleich nützlich machen“, dachte er. Sie konnte den kleinen Kerl baden, während er ihre Herrin versorgte.

      Nachdem seine Hände abgetrocknet und das Skalpell aus Damaszenerstahl in einer Schale mit hochprozentigem Gerstenschnaps gesäubert war, wandte er sich wieder Maeliennyd Glyn Dwyr und ihrem Neugeborenen zu. Trotz der anstrengenden und angstschweren Stunden, die sie durchlitten hatte, wurde ihr Gesicht von einem Lächeln erhellt. Als er die Nabelschnur abgeschnitten und abgebunden hatte, ergriff er den Kleinen vorsichtig und nahm ihn vom Bauch der Mutter.

      Mit geübtem Griff legte er sich den Knaben in die Armbeuge. Der Feuerschein im Kamin beleuchtete ein winziges runzeliges Gesicht. Dem alten Mann stockte der Atem. Ein wilder Schmerz, wie von einem Pfeil schoss durch sein Herz. Das winzige Gesicht war nicht rosig, sondern leicht bläulich verfärbt. Aodrén musste sich dazu zwingen, keine Panik aufkommen zu lassen. Rasch säuberte er mit dem kleinen Finger die Nasenlöcher und den Mund des Neugeborenen, dann drehte er ihn um und versetzte ihm einen bestimmten Klaps auf den nackten Hintern. Durch diesen Schrecken wollte er den ersten Schrei des Knaben provozieren. Doch das Neugeborene schrie nicht. Ein zweiter Klaps zeigte ebenso wenig Wirkung. Maeliennyd beobachtete ihn nur stumm aus dunklen Augen. Das Lächeln hatte einem Ausdruck absoluten, ungläubigen Entsetzens platzgemacht. Sie hatte eine Hand über den Mund gelegt, um ihren Schmerz nicht herauszuschreien.

      Noch einmal drehte Aodrén das Kind um, doch jetzt packte er es an den kleinen Füßen und lies es mit dem Kopf nach unten hängen. Der dritte Klaps war wesentlich härter und bestimmter, als der erste und der zweite. Ein trauriges Seufzen aus tiefstem Herzen, dann schüttelte er langsam den Kopf.

      Maeliennyd schrie auf, wie ein verletztes Tier. „Das ist nicht wahr, Ollamh“, fauchte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen. Ihr schmerzender Unterleib, ihre Schwäche und die Erschöpfung wichen mit einem Mal einem Gefühl des grenzenlosen Zorns. Sie richtete sich mit einer Kraft und Energie auf, die Aodrén, ihr nicht zugetraut hätte. „Du hast mich belogen, alter Mann“, herrschte ihn die Herzogin an und zeigte anklagend mit dem Finger auf ihn und das leblose Bündel in seinen Armen, „du hast mir geschworen, dass er leben wird. Du hast mir heute Nachmittag geschworen, dass er leben wird, bevor Du meinen Gemahl und den Okzitanier aus dem Raum geschickt hast. Fluch über Dich und Deine Schlangenzunge.“

      In dem Augenblick, in dem Maeliennyd mit zornig funkelnden Augen ihre Verwünschung auf ihn los jagte, ertönte von draußen durch die geöffneten Fenster ein unbändiger Jubelschrei aus hunderten und aberhunderten von Kehlen. Das magische, kalte Feuer, das der Ollamh zuvor im Kamin entfacht hatte zischte plötzlich hoch und ein Meer von Funken stob durch das Gemach, während sich draußen ein gewaltiger, leuchtendgelber Schein zum Himmel hinaufstreckte. Ambrosius von Cornouailles und die Drouiz hatten die Bealltainn-Feuer entzündet.

      XVIII

      Gebannt folgte Bran'wen dem erbarmungslosen, bitteren Kampf zwischen ihrer Herrin und dem Ollamh. Immer noch hielt dieser das tote Kind in den Armen. Maeliennyd Glyn Dwyr schrie und weinte und stieß schreckliche Verwünschungen aus, während der weise Mann verzweifelt versuchte, ihr zu erklären, dass es bereits an ein Wunder grenzte, dass sie selbst diese Geburt unbeschadet überstanden habe, man aber für den zu früh geborenen Knaben nichts mehr tun konnte.

      „Du lügst“, zischte sie böse, wie eine Schlange, „von Anfang an hast Du mit meinem Gemahl unter einer Decke gesteckt. Du wolltest mich dazu überreden, Deinen verfluchten Trank einzunehmen und meinen Sohn einfach abzustoßen, wie eine unnütze Last.“

      „Närrin“, herrschte Aodrén sie genauso böse an, „du weißt genauso gut, wie ich oder jeder andere vernünftige Mensch, das eine Frau die in Deinem Alter empfängt kaum eine Chance hat, bis zum Ende ihrer Schwangerschaft zu kommen. Wie viele kennst Du? Sag es mir. Sei dankbar, dass Du Deinen Wahnsinn überlebt hast.“

      Maeliennyd Glyn Dwyr streckte ihre Arme nach dem kleinen Bündel aus und versuchte sich vom Bett hoch zu kämpfen. „Gib mir meinen Sohn, alte Schlange. Er ist ein Kind des Lichtes. Er ist unter den Feuern von Bealltainn geboren und ich schwöre Dir, dass er leben wird… es gibt Mittel und Wege… Du kennst sie genauso gut, wie ich.“

      Draußen vor dem Fenster wurde das Jubeln der Menschen immer lauter, während die Flammen der Bealltainn-Feuer höher und höher in den Himmel stiegen. Der Geruch nach brennendem, knochentrockenem Holz wurde vom leichten Frühlingswind in den Raum getrieben und vermischte sich mit den Gerüchen der Geburtskräuter, die immer noch in der Tonschale dampften. Zu den Stimmen der Menschen gesellten sich nun auch noch die der Tiere. Wildes Blöcken und heißeres Muhen erfüllte die Nacht, während man die große, aufgeregte, wogende Masse geschickt zwischen den beiden Feuern hindurchtrieb. Schrill wieherten von den Flammen verängstigte Pferde, als der harte Druck der Schenkel ihrer Reiter auch sie durch das heilige Licht zwang. Die reißenden Ströme der schönen, warmen Jahreszeit schäumten aus den schier berstenden Herzen der Menschen unten auf dem Festplatz und auf der großen Lichtung im Wald von Carnöet. Ein Teil von Maeliennyd war unendlich müde und beinahe geneigt, den Kampf aufzugeben, sich in das Schicksal zu führen und ihren toten Sohn zu betrauern, während ein anderer Teil von ihr draußen mit den anderen zwischen den Feuern hindurchrannte und vom Leben und vom Licht gestärkt wurde.

      „Großer Rabe“, flehte sie stumm die Némain Sidhe um Hilfe an, die ihr in den kalten, blauen Flammen einen hochgewachsenen, schwarzhaarigen Mann mit scharf geschnittenem Gesicht und schwarzen Augen gezeigt hatte, der das weiße Gewand eines Drouiz über den breiten Schultern trug. Ihre Augen hielten die Augen von Aodrén fest und bohrten sich tiefer und tiefer in die Seele des Weisen. Sie verbannte die Schwäche und konzentrierte sich nur noch auf die Kraft des Lebens und des Lichtes. Als sie bereits einen Fuß auf den Boden gesetzt hatte und sich mit der Hand an der Bettkante abstützte um aufzustehen, gab er endlich nach.

      Aodrén wich einen Schritt zurück und senkte die Augen. “Willst Du um seinetwillen sterben. Närrin“, sagte er enttäuscht und bitter, „du bist zu schwach. Du könntest in diesem Augenblick nicht einmal eine Kerze anzünden, ohne einen Spann und Feuersteine zur Hilfe zu nehmen…“

      „Aber Du könntest es“, erwiderte die Herzogin von Cornouailles mit ruhiger Stimme. Sie wusste, dass sie den Kampf gewonnen hatte. Der Ollamh beugte sich und würde endlich tun, was getan werden musste. Langsam sank sie in die Kissen zurück ohne dabei ihre Augen von Aodrén zu nehmen. Ein leiser Hauch von Traurigkeit überfiel sie, als sie begriff, dass dieser Sieg sie vielleicht für immer seine Freundschaft und seine Achtung kosten würde. Doch sie vertrieb dieses Gefühl genauso unbarmherzig, wie zuvor die Schwäche und den Schmerz in ihrem Körper. Das Einzige, was zählte war das Leben ihres Sohnes.

      XIX

      Bran'wen biss sich auf die Lippen um einen Schrei des Entsetzens zu unterdrücken. Der laute, wüste Streit zwischen ihrer Herrin und dem weisen Mann hatte nur wenige Augenblicke gedauert. Jetzt wischte Aodrén mit einer barschen Handbewegung das magische Feuer aus dem Kamin und zog es in einem weiten Kreis um sich und das tote Kind in seiner linken Armbeuge. Die Flammen züngelten kalt und blau, als sie sich um die beiden zu einem undurchdringlichen Wall schlossen.

      Nur