Peter Urban

Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe


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      Anstatt mit den anderen Gaffern tatenlos herumzustehen, zu heulen und zu lamentieren, rannte die Ältere sofort los, um den Herzog von Cornouailles zu finden, während die Jüngere sich auf den Weg in die Küche machte, einen großen Kessel mit Wasser übers Feuer hängte und einen Stapel saubere Tücher zusammensuchte. Sie hatte erst vor wenigen Wochen mitangesehen, wie das erste Kind ihrer älteren Schwester zur Welt gekommen war. Darum deutete sie den dunklen, feuchten Fleck, der sich bis fast hinunter zu den Knien auf dem hellen Gewand der Herzogin ausgebreitet sofort richtig.

      Jetzt stand sie hinter einem dunkelhäutigen, dunkelhaarigen Mann mit scharf geschnittenen Gesichtszügen, den sie ein paar Stunden zuvor flüchtig in Begleitung des Herzogs von Cornouailles wahrgenommen hatte, als dieser ihr im Hof der Festung ein warmes, frisch gebackenes Brot aus dem Korb stibitzt hatte. Der Mann sprach in kurzen Sätzen und sein Tonfall war barsch, doch sie begriff, das seine herrische Art nicht gegen sie gerichtet, sondern ein Zeichen der Dringlichkeit der Situation war, mit der sie konfrontiert wurden. Ihre Freundin, die Ambrosius Arzhur geholt hatte, war bereits auf dem Weg, um auch noch Aodrén Jaouen Kréc’h Elis aufzuspüren. Die alte Bran’wen saß nur nutzlos und zutiefst verstört in einem Winkel des Zimmers und heulte leise vor sich hin.

      „Es ist noch viel zu früh für das Kind“, fluchte der dunkle Mann, während Ambrosius de Cornouailles am Kopfende des Bettes seiner Gemahlin stand, und ihr mit einem feuchten Tuch die schweißnasse Stirn abwischte. Die Dienstmagd bemerkte, wie der Herzog sich anstelle einer Antwort auf die Lippen biss. Seine Augen waren finster und über seinem Gesicht lag ein Schatten.

      XI

      Die Stunden schlichen dahin. Bran’wen war inzwischen in ihrer Ecke eingeschlafen und die Dienstmagd, die Chaulliac zur Hand gegangen war, hatte man in die Küche zurückgeschickt, um noch mehr heißes Wasser aufzusetzen und für die Herzogin von Cornouailles einen großen Krug Kräutertee zu bereiten. Ihre Freundin hatte Aodrén zwischenzeitlich unweit der Festung am Flussufer gefunden. Dort hatte er zusammen mit den beiden Söhne von Ambrosius und Maeliennyd und ihrem kleinen Freund Arzhur de Richemont im Gras gesessen, die Zeit vertrödelt und den drei Kindern gezeigt, wie man sich aus ein paar nassen, geschmeidigen Binsen schnell und einfach eine Falle für schmackhafte Flusskrebse bauen konnte.

      Jetzt stand der gelehrte Mann zu seiner ganzen Größe aufgerichtet und stocksteif am Fußende des Bettes der Herzogin und beobachtete tief besorgt die leichenblasse Frau, die kaum bei Bewusstsein schien. Für gewöhnlich riet Aodrén jeder Gebärende dazu, nachdem sie die Wasser verloren hatte, solange sie es aushalten konnte herumzulaufen, um die Wehen und damit die Geburt zu beschleunigen. Er verzog den schmalen Mund. In seinem langen Leben hatte er unzähligen Kindern gesund auf die Welt geholfen. Dies schloss nicht nur seine eigenen neun Töchter und seine drei Dutzend Enkel ein, sondern auch den gesamten Nachwuchs der herzoglichen Familie von Cornouailles, der während des letzten halben Jahrhunderts auf die Welt gekommen war. Er hatte sogar schon mehrfach erfolgreich die sogenannte römische Methode angewandt, ohne dabei die Mutter oder das Neugeborene zu verlieren. Man nannte diesen Eingriff auch die Sectio Caesarea. Der Imperator Julius Cäsar war damals dank zweier schneller, präziser Schnitte durch die Bauchdecke seiner von hochwirksamen Drogen betäubten Mutter ans Licht der Sonne geholt worden, nachdem die Steißlage des Kindes eine Geburt auf dem normalen Wege vereitelt hatte. Gewöhnliche Ärzte wagten diesen Eingriff höchstens bei toten Frauen, um ein ungeborenes Kind vielleicht doch noch zu retten.

      Es war keine Eitelkeit, aber Aodrén wusste, dass er ein Meister seines Faches war. Und trotzdem kamen weder seine bewährten Methoden, noch der römische Schnitt in diesem ganz besonderen Fall in Frage. Um Herumzulaufen war die Herzogin zu aufgewühlt und eine innere Stimme warnte ihn vor den Drogen. Er fühlte, dass die Drogen, die notwendig waren um die Bauchdecke aufzuschneiden, ohne das die Frau dabei unsagbare Schmerzen erleiden musste Maeliennyd Glyn Dwyr in ihrem geschwächten Zustand umbringen würden. Er konnte sich einfach nicht erklären, wie diese Frau, die er noch wenige Stunden zuvor am Ufer des Sees lebhaft und übermütig beim Naschen von Erdbeerspinat überrascht hatte jetzt plötzlich an der Schwelle des Todes stehen konnte. Aodrén seufzte leise und warf Guy de Chaulliac einen fragenden Blick zu.

      Der jüngere Mann war ebenfalls ein Chirurg von außergewöhnlichem Ruf. Doch es war offensichtlich, dass Guy sich besser darauf verstand Knochenbrüche einzurichten, Eingeweide wieder an den richtigen Platz zu bringen oder Kriegsleuten in der Hitze des Gefechtes Armbrustbolzen aus dem Fleisch zu schneiden. Im Angesicht einer Frau, die ein Kind zur Welt bringen musste, wirkte der Okzitanier genauso hilflos und verwirrt, wie Ambrosius de Cornouailles selbst. Der Herzog saß neben seiner Gemahlin auf der Bettkante und hielt ihre Hand fest in der Seinen. Er hatte niemals eine große Begabung für die Heilkunst besessen. Von all den Dingen, die Aodrén ihn einst gelehrt hatte, hatte er gerade einmal so viel im Gedächtnis behalten, um sich zu behelfen, wenn ein Pferd lahmte oder einer der Gefolgsleute sich die Schulter ausgekugelt hatte. Die wahren Stärken seines einstigen Zöglings lagen auf anderen Gebieten.

      Während der alte Mann sich noch das Gehirn zermarterte, um eine Lösung für Maeliennyd und ihr ungeborenes Kind zu finden fiel sein Blick auf den Kamin des Gemachs. Die Kleine, die Chaulliac zur Hand gegangen war hatte zwar rasch die Scherben einer Glasschale zusammengefegt, die Maeliennyd bei ihrem Sturz zerbrochen haben musste, aber sie hatte in Anbetracht der Umstände keine sorgfältige Arbeit geleistet. Vor dem Kamin erkannte Aodrén feinen Aschestaub und frisch verkohlte Holzstücke und im Kamin selbst bemerkte er einen Scheit, der immer noch leise vor sich hin kokelte. Das war in der Tat ungewöhnlich.

      Kein vernünftiger Mensch wäre je auf die Idee gekommen, bei dem wunderbar warmen Wetter draußen und den weit aufgerissenen Fenstern des Gemaches ein Feuer zu entzünden. Er schluckte, als er sich eingestehen musste, dass er nicht nur den Grund für die unnatürliche Schwäche von Maeliennyd Glyn Dwyr erkannte. Er hatte auch eine genaue Idee hatte, wie es dazugekommen war, dass sie hingefallen und sich so böse angeschlagen hatte.

      „Geht“, sagte der Aodrén mit einer Stimme, die keine Widerworte zuließ. Seine für gewöhnlich gütigen, haselnussbraunen Augen blitzten kalt und hart, „geht alle und lasst mich mit der Herzogin alleine. Schickt lediglich die Magd mit dem heißen Wasser und weiteren sauberen Tüchern und dann lasst uns alleine. Niemand darf uns in den nächsten Stunden stören, wenn Euch das Leben der Weißen Dame von Concarneau am Herzen liegt und das ihres Kindes. Ich habe Maeliennyd mein Ehrenwort gegeben. Dieses Kind wird gesund zur Welt kommen und die Herzogin wird weiterleben.“ Die letzten Worte hatte er so leise ausgesprochen, dass niemand im Raum sie gehört hatte.

      XII

      Aodrén nahm wieder den Becher und füllte ihn aus dem Krug mit heißem Kräutertee. Es waren verschiedene Pflanzen, die in den ersten Monaten einer Schwangerschaft unweigerlich zum Abort führten, die aber im Augenblick der Geburt die Wehen beschleunigten und die Muskeln des Bauches entkrampften. Sanft legte er den Arm um die Schultern der Herzogin und richtete sie noch einmal vorsichtig auf. Dann presste er den Becher gegen ihre Lippen und beschwor sie mit eindringlicher Stimme zu trinken, soviel sie konnte. „Was in aller Welt hat Dich nur zu dieser Narretei veranlasst? Das kalte Feuer zu beschwören...“, tadelte er sie leise. In seinen Augen stand neben der Sorge auch Enttäuschung geschrieben.

      Maeliennyd trank mühevoll und zwang sich das bittere Gebräu hinunterzuwürgen, obwohl alles in ihr gegen den Geschmack der Kräuter rebellierte. Seitdem sie nach einem explosionsartigen, unmenschlichen Schmerz die Wasser verloren hatte und hingefallen war, hatte sie keine Wehe mehr gespürt. Selbst als sie sich mit letzter Kraft auf den Rücken gerollt hatte, war der nach fünf erfolgreichen Geburten so vertraute Schmerz ausgeblieben. Ihr war lediglich immer noch speiübel und sie fühlte sich völlig verbraucht und zu Tode erschöpft. Sie fühlte sich nicht einmal mehr im Stande, den Becher mit dem Kräutertee zu halten und nur Aodréns stützender Arm verhinderte, dass sie sich einfach zurück in die Kissen sinken ließ. Sie wusste, wie gefährlich es war magische Kräfte zu beschwören, während man mit einem Kind schwanger ging. Niemals hätte sie aus eigenem Antrieb das kalte Feuer entfacht. Sie spann ja nicht einmal in diesem Zustand. Sie wusste, dass diese eintönige Tätigkeit sie in einen Zustand zwischen Schlafen und Wachen