Peter Urban

Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe


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Auf den ersten Blick hatten die Bilder, die sie beschrieb auch für ihn keinen Sinn gemacht. Doch er fühlte, dass jedes einzelne ihrer Worte wichtig war. Darum musste er alles im Gedächtnis behalten. Sobald das Kind gesund und sicher auf der Welt war, würde er alle Zeit haben, vernünftig nachzudenken. Er hoffte, die Botschaft der Némain Sidhe zu deuten, die sie ihnen durch das kalte, blaue Feuer geschickt hatte.

      XIII

      Bran'wen schreckte plötzlich hoch, als sie klar und deutlich die Stimme ihrer Herrin hörte.

      Langsam trotteten die Erinnerungen an den grauenhaften Nachmittag Eine um die Andere wieder in ihr altes, träges Hirn zurück, so wie eine undisziplinierte Schafherde hinter dem Hütejungen in den Stall zurückkehrt: Sie musste vor lauter Erschöpfung, und weil sie sich die Seele aus dem Leib geheult hatte, eingeschlafen sein. Ein kurzer Blick nach draußen, durch immer noch schlaftrunkene Augen, bestätigte ihr, dass die Sonne schon lange hinter dem Horizont verschwunden war, um der Nacht und dem neuen Mond Platz zu machen.

      Als der Herzog, der dunkelhaarige Mann aus dem Süden und die Anderen in das Gemach von Maeliennyd Glyn Dwyr geströmt waren, hatte man sie achtlos aus dem Weg gestoßen. Sie hatte sich in einer Ecke neben einer Kleidertruhe hingehockt, um aus dem Weg zu sein und nicht zu stören. Dann mussten sie alle wieder fortgegangen sein und man hatte sie einfach vergessen. Jetzt konnte sie nur noch den Ollamh und ihre Herrin ausmachen. Sie saßen zusammen auf dem großen, mit prächtigen Vorhängen geschmückten Bett und plauderten. Bran'wen richtete sich so leise, wie möglich auf, um nicht den Zorn von Aodrén zu erwecken. Sie spähte vorsichtig über den Rand der Truhe hinweg. Ihre alten Ohren taugten wenig. Bran‘wen konnte kaum verstehen, worüber die beiden sprachen, doch allen Anschein nach ging es ihrer Herrin schon wieder viel besser. Sie hatte mit ihrem fürchterlichen Geschrei wohl nur eine unnötige Panik ausgelöst. Bran'wen biss sich auf die Lippen. Sie war sicher, dass ihr am nächsten Morgen eine gewaltige Strafpredigt drohen würde. Vermutlich würde Maeliennyd Glyn Dwyr sie wieder einmal eine alte Närrin schimpfen und ihr damit drohen, sie nach Wales zurückzuschicken, weil sie zu nichts mehr taugte.

      Aodrén schien Maeliennyd ein kleines Fläschchen mit einer Flüssigkeit zu zeigen und ihre Herrin nickte zustimmend. Der Ollamh erhob sich, goss etwas von der Flüssigkeit in eine kleine Tonschale und entzündete eine Kerze unter dem Behältnis. Augenblicke später erfüllte ein wunderbarer Wohlgeruch das ganze Gemach. Bran’wen konnte lediglich eine einzige der Pflanzen bestimmen, die in diesem Duftöl vermischt worden waren: Es war der Beifuß. Sie stutzte ein wenig. Beifuß wurde regelmäßig während einer Geburt verbrannt, um Dämonen und böse Geister fernzuhalten und Mutter und Kind zu beschützen.

      Jetzt stand der Ollamh über das Bett ihrer Herrin gebeugt und versperrte ihr die Sicht. Trotz ihrer schlechten Ohren verstand die alte Bran‘wen jedes Einzelne der Worte, die Aodrén in einem eindringlich beschwörenden Tonfall sprach. Dabei bewegten sich seine Arme sich in ganz präzisen Gesten und schrieben unsichtbare Zeichen über der Gebärenden.

      Bran’wen fühlte eine seltsame Spannung im Gemach aufsteigen, als der weise Mann seinen Eibenholzstab nahm. In dem Augenblick, in dem seine Hand das glatte, dunkle Holz berührte, leuchtete der hellblaue, ungeschliffene Kristall an der Spitze in einem unirdischen Licht. Es schien, als ob die Luft sich langsam, aber stetig mit der Magie des Ollamh füllte. Ihre Herrin war währenddessen ganz still und gab keinen Laut von sich. Als Aodrén mit seinen Schutzzaubern zu Ende war, stieß er den Stab drei Mal hart auf den Boden. Im Kamin sprang aus dem Nichts ein Feuer hoch. Es verzehrte in einem kurzen Zischen und Knacken den müden, kleinen Scheit, der dort wohl nach der kalten Jahreszeit von den Dienstmägden vergessen worden war, während sie den Frühjahrsputz gemacht hatten und brannte dann aus eigener Kraft weiter.

      XIV

      Ambrosius fühlte sich leer, während er zusammen mit den anderen Drouiz auf einem kleinen Hügel stand und den jungen Mädchen dabei zusah, wie sie mit Haselstäben in den Händen um den frisch gepflügten und eingesäten Acker tanzten.

      Die Stäbe schmückten rote und weiße Blumengirlanden. Ein paar junge Burschen spielten auf ihren Instrumenten eine fröhliche Weise. Die Mädchen hatten alle ihre hübschesten Gewänder angelegt. Sie wirkten aus der Ferne, wie ein Reigen bunter, farbenprächtiger Schmetterlinge. Ganz deutlich konnte man erkennen, wie die meisten von ihnen ihre offenen Haare mit Kränzen aus Birkenblättern und kleinen Sträußchen von Weißdornblüten geschmückt hatten, die bei jeder ausgelassenen Bewegungen als feiner Schnee durch die Luft flogen und dann zu Boden rieselten.

      Für gewöhnlich genoss er alle Jahre wieder dieses ausgelassene Treiben der jungen Leute im Mondlicht. Es begann, nachdem die Drouiz genau im Herzen des Ackers eine Dankesgabe an die Natur vergraben und die Erde gesegnet hatten. Doch in dieser Nacht waren seine Gedanken nicht beim Fest, sondern bei seiner Gemahlin und Aodrén oben im Palas der Festung.

      Unter anderen Umständen hätte er sich über eine Geburt unter den Feuern von Bealltainn gefreut. Bealltainn war das Fest des Lebens, des Lichtes und der Fruchtbarkeit und es gab keine schönere Form der Natur und den höheren Mächten die Ehre zu erweisen, als ihnen unter den Feuern ein neues, junges und frisches Leben zu schenken. Doch die Zeit seiner Gemahlin war noch lange nicht gekommen und selbst die Magie des Lichtes war nicht so stark, als dass sie aus einem unvollständigen Wesen ein zum Leben fähiges Kind machen konnte.

      Seine Gemahlin hatte ihm an einem eiskalten Wintertag bei einem gemütlichen Schachspiel am wärmenden Feuer mitgeteilt, dass sie wieder schwanger war. Im ersten Augenblick hatte ihn dieses Geständnis verwirrt und geängstigt, denn Maeliennyd war schon weit über das Alter hinaus, in dem eine Frau ein Kind empfangen sollte. Nach der überaus schwierigen und gefährlichen Geburt seines jüngsten Sohnes Glaoda hatte er selbst keinen Augenblick gezögert, heimlich eine Schierlingssalbe zu verwenden, die seinen Samen unfruchtbar und somit für seine Gemahlin ungefährlich machte. Er nahm an, dass sie das Kind trotz seiner langjährigen, heimlichen Vorsichtsmaßnahmen irgendwann im Hochsommer oder im Frühherbst empfangen haben musste.

      Natürlich hatte er Maeliennyd angefleht, sich nicht noch einmal dem Risiko einer Geburt auszusetzen und die gefährliche Leibesfrucht abzustoßen. Doch alle seine Versuche sie zur Vernunft zu bringen waren gescheitert. Schließlich hatte er aufgegeben und sich damit abgefunden, dass sie ihren Willen um jeden Preis durchsetzen wollte.

      Chaulliac hatte Ambrosius, während sie gemeinsam den Weg von der Festung zum Festplatz hinunter gegangen waren bestätigt, was er oben im Gemach bereits in den Augen von Aodrén gelesen hatte: Es war zu spät, um die Geburt mit Hilfe irgendwelcher Kräutertinkturen aufzuhalten oder wenigstens hinauszuzögern.

      Ambrosius ballte die Hände zu Fäusten und verschränkte die Arme fest über der Brust, um seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Er wollte den anderen nicht zu zeigen, wie sehr er um Maeliennyd zitterte. Leise verfluchte er dieses ungeborene Wesen, das durch seine bloße Existenz das Leben seiner Gemahlin in Gefahr brachte.

      Für gewöhnlich war es Maeliennyd, die in der Nacht von Bealltainn nach dem Ende des Reigens um den geweihten Acker und die prächtig geschmückte Birke den jungen Tänzerinnen kleine Geschenke brachte: Geflochtene Körbchen mit süßem Buttergebäck, Nüssen und Beeren und hübsche bunte Bänder, um die Haare zu schmücken. Doch heute Nacht würden die Menschen die weiße Dame von Concarneau nicht zu Gesicht bekommen und sich aus diesem Grunde große Sorgen machen. Er musste ihnen eine glaubhafte Erklärung geben.

      Seine Untertanen waren felsenfest davon überzeugt, dass Maeliennyds leichte Schritte um den geweihten Acker und den Maibaum dem Ritual der Belh-Feuer noch zusätzliche Kraft und Stärke verlieh und die Erde von Cornouailles so außergewöhnlich fruchtbar und reich machte. Hier war kein Unterschied zwischen denen, die der alten Religion folgten oder jenen die die sonntäglichen Messen der christlichen Priester besuchten. Auch der förmliche Kuss, den die Herzogin, so wie es in ihrer Heimat Wales alte Sitte war, der Frühlingskönigin und ihrem Gefährten auf die Stirn gab, galt als besonderer Glücksbringer. Seit der allerersten Nacht von Bealltainn in der Maeliennyd zugegen gewesen war, vor nunmehr zwanzig Jahren, hatten sowohl die auserwählte Frühlingskönigin, als auch der junge Mann, der