Peter Urban

Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe


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hatte es damals nicht lange gedauert und die Kunde von diesem Glück hatte die Runde durch das kleine Land am mehr gemacht. Nun, zwei Jahrzehnte später, war der Segen der weißen Dame von Concarneau ein beinahe genauso wichtiger Bestandteil der Nacht von Bealltainn geworden, wie die mächtigen Feuer und die Segnung der Felder von der Hand der Drouiz.

      Ambrosius schluckte trocken, als die letzten Töne der fröhlichen Weise endlich verklangen und seine Leute erwartungsvoll zum Hügel hinaufblickten, auf dem er zusammen mit den anderen Weiße Brüdern stand. Der Herzog bedeutete einem jungen Mann in einem blauen Gewand, das ihn als einen Barden kennzeichnete, Maeliennyds Korb mit den Geschenken zu nehmen und ihm zu folgen. Dann zwang er sich dazu, sein Gesicht unbekümmert und fröhlich wirken zu lassen. Im gleichen Augenblick, in dem er das Kind verflucht hatte, hatte er den Beschluss gefasst, den Menschen die Wahrheit über den Grund der Abwesenheit seiner Gemahlin zu sagen….auch wenn er ihnen die schwerwiegenden Umstände selbst verschweigen wollte.

      Kurz richtete Ambrosius seine Augen auf den Mond. Er glänzte, wie eine frisch polierte Scheibe aus reinem Silber, so hell und so klar, dass man ohne Mühe die Farben der Gewänder der Mädchen erkennen konnte. Selten hatte er in einer Bealltainn-Nacht den Mond in einem solchen Glanz erstrahlen gesehen. Obwohl Mitternacht und der Augenblick der Feuer nicht mehr fern waren, war es immer noch warm, geradezu sommerlich. Vielleicht sollte er dies alles ja als ein gutes Zeichen für das Schicksal von Maeliennyd deuten und aufhören, seinen düsteren Gedanken nachzuhängen. Die Natur quoll geradezu über mit Leben und Freude. Seine Gemahlin war gesund; Aodréns Magie war stark, seine Kenntnisse als Arzt und Heilkundiger schier grenzenlos. Selbst Guy de Chaulliac hatte wie ein kleiner Schüler mit gesenktem Haupt und eingezogenem Schwanz ohne ein einziges Widerwort das Feld geräumt, als der alte Mann sie dazu aufgefordert hatte, das Gemach seiner Herzogin zu verlassen. Während Ambrosius von Cornouailles den Hügel zu seinen Leuten hinunterging, schickte er ein stummes Stoßgebet hinauf zu den Sternen.

      XV

      Der Kräuterduft im Raum zeigte seine Wirkung. Maeliennyd war sehr gelassen und ruhig geworden. Offensichtlich hatte es ihr geholfen, ihm die Bilder anzuvertrauen, die sie im kalten Feuer gesehen hatte.

      Seit sie vor rund zwei Stunden mit ihrer Erzählung zu Ende gekommen war, hatten endlich spürbar Wehen eingesetzt. Auch sein Trank hatte die gewünschte Wirkung nicht verfehlt: Leicht ruhte seine Hand auf ihrem gewölbten Leib während er leise zählte.

      Die Wehen kamen inzwischen in regelmäßigen Abständen. Seine Augen glitten wieder hinüber zu der Kerze, die speziell für solche Situationen hergestellt wurde. Sie brannte luftgeschützt hinter Glas. Es dauerte etwa das Viertel einer Stunde, bis sie von einer leuchtendroten Markierung bis zur nächsten abbrannte. Zwischen zwei Markierungen fühlte er immer genau zwei Mal das Zusammenziehen der Gebärmutter und ihre darauffolgende Entspannung, die den Leib wieder ganz weich werden ließ.

      Während seine Rechte erneut nach dem Kind tastete, sprach der alte Mann weiter beruhigend auf Maeliennyd ein. Er gab sich viel Mühe sie abzulenken. Um die Erinnerungen an die Vision im kalten Feuer zu vertreiben erzählte er ihr sämtlichen, belanglosen Tratsch, den er während der letzten paar Tage aufgeschnappt hatte genauso, wie uralte Anekdoten aus seiner Zeit der Wanderschaft, als er bis zu den fernen Bergen Indiens am äußersten Rand der Welt vorgedrungen war. Sie musste ihre Atmung unter Kontrolle halten, um ihm zu helfen. Das Kleine lag richtig und der Muttermund war weit geöffnet. Nur noch ein bisschen Geduld, dann würde das Köpfchen bis auf den Beckenboden herunterkommen und er konnte sie dazu auffordern endlich zu pressen.

      Wie eine harte Kugel krampfte sich die Gebärmutter unter seiner Hand zusammen und die Herzogin stöhnte zwischen zusammengebissenen Zähnen. Er wusste, dass es weniger der Schmerz und mehr die Anstrengung war, die dieses Stöhnen ausgelöst hatte. Seine Geburtszauber waren mächtig und ersparten einer Gebärenden das Schlimmste, doch gegen die Mühen der Wehen kannte auch die stärkste Magie der Drouiz keine Mittel. Er sandte ein leises Stoßgebet zu den Sternen. Wenn es ihnen gelingen würde, die eigentliche Pressphase auf weniger als zwei Markierungen der Kerze zu beschränken, dann hatte das Kleine eine gute Chance zu leben.

      Seine Hand hob sich kurz von ihrem Leib und ergriff zielsicher ein kleines Fläschchen Kurz wärmte er das zu einem reinen Pulver gestoßene und mit einem Quintlein Quellwasser vermischte Eisenkraut über einer Flamme neben dem Bett. Dann drückte er es sanft gegen ihre Lippen und forderte sie auf, alles in einem Zug zu trinken. Das heilige Kraut, das die Ägypter zu Ehren der großen Mutter Kraut der Isis nannten, half den Frauen schon seit undenklicher Zeit leichter zu gebären. Er fühlte, dass die größte Gefahr jetzt nicht mehr für das Leben von Maeliennyd bestand, sondern für das kleine Wesen selbst. Es musste schnell gehen, ansonsten würde das Kind sich so sehr erschöpfen, dass es keine Kraft mehr hatte, um den ersten Atemzug zu tun.

      „Jetzt“, sagte er bestimmt und bemühte sich, seine Stimme so optimistisch, wie nur irgend möglich klingen zu lassen. Dann legte er die Linke zurück auf den Leib der werdenden Mutter und drückte fest.

      XVI

      Bran’wen starrte auf den Ollamh und auf das Bett auf der anderen Seite des Zimmers. Der süße Duft des Kräuteröls in der Tonschale hatte auch ihre Sinne ein wenig betäubt. Sie verspürte unbändige Lust, die Augen zu schließen, doch ihr Herz wollte jetzt nicht schlafen, sondern ihrer Herrin, so wenig dies auch nützen mochte, in dieser schweren Stunden beistehen.

      Sie hatte sich hingekniet und ihre Arme auf der Truhe verschränkt. Aodrén schien so in seiner Arbeit der Geburtshilfe gefangen, dass er der Ecke des Raumes in der sie sich versteckte, keine Beachtung schenkte. Die Herzogin selbst kämpfte viel zu schwer, um überhaupt noch etwas anderes wahrzunehmen, als den Schmerz und das Gesicht des weisen Mannes direkt vor ihr. Bran’wen war froh, dass er es war, der Maeliennyd Glyn Dwyr beistand. Er war mächtig und seine Magie war stark. Wenn immer es möglich war, dann schickten die Weiber, die ein Kind zur Welt bringen mussten nach dem Ollamh, denn er besaß ein fast grenzenloses Wissen und höchste Weisheit. Und wenn immer es möglich war, dann kam Aodrén auch zu ihnen. Er machte dabei niemals einen Unterschied zwischen arm und reich, wohlgeboren, oder Taglöhner.

      Obwohl er noch viel älter war, als sie selbst, war ihm kein Weg zu weit oder zu gefährlich, wenn es darum ging einer Frau in diesem gefährlichen und schwierigen Augenblick beizustehen. Selbst im tiefsten Winter oder im strömenden Regen stieg der Ollamh auf seinen Falben und ritt hinaus.

      Maeliennyd Glyn Dwyr schrie plötzlich gellend auf und Bran'wen sah, wie etwas Silbern in Aodréns Hand aufblitzte. Schließlich hörte sie, wie er die Herzogin dazu anspornte noch ein letztes Mal ganz tief Luft zu holen. Es war offensichtlich fast vorbei. Im Licht der Fackeln und des Vollmondes erkannte die alte Frau das seltsame, scharfe Messer aus bläulichem Stahl, von dem es hieß, der Ollamh habe es von einer seiner weiten Reisen ans andere Ende der Welt mitgebracht. Sie hatte ihn einmal beobachtet, wie er damit einen zerquetschten Finger amputiert hatte. Alles war so schnell gegangen, dass der verletzte Köhler nicht einmal die Zeit gehabt hatte, zu schreien.

      „Ich hab nur Platz für das Köpfchen geschaffen“, erklärte der Ollamh ihrer Herrin. Er war gelassen und seine Stimme klang selbstsicher. „Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen. Der Schnitt durch den Damm heilt viel schneller, als wenn ich zugelassen würde, dass das Kind Dich zerreißt.“ Bran'wen konnte genau sehen, wie er mit der Rechten den Kopf des Kleinen stützte, um zu vermeiden, dass dieser sich zu schnell nach hinten beugte. Seine Linke presste einen feuchten Lappen gegen den Unterleib von Maeliennyd, während er weiter in ruhigem Ton jeden seiner Handgriffe kommentierte. Bran'wen lies nun alle Vorsicht außer Acht. Sie stand vom Boden auf und setzte sich auf die Truhe, damit sie besser sehen konnte. Aodrén schien den Kopf des Kindes zu drehen und zu senken, damit die vordere Schulter geboren werden konnte. Ihre Herrin seufzte plötzlich laut und voller Erleichterung. Noch bevor Bran'wen begriff, was gerade geschehen war, hatte der alte Mann sich erhoben und ein winziges, blutiges Bündel, nur durch die Nabelschnur mit dem Mutterleib verbunden, lag auf dem Bauch von Maeliennyd. Ihre Herrin legte beschützend beide Hände über das kleine Wesen und weinte hemmungslos. Es waren Tränen des Glückes und der Erleichterung.

      XVII