Peter Urban

Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe


Скачать книгу

keinem in den Mund flogen.

      Sein Großvater nahm sich auch immer was er wollte. Und aus diesem Grund fürchteten ihn viele, während andere ihm lieber aus dem Weg gingen, um de Craons Aufmerksamkeit nicht auf sich zu lenken. Doch der Großvater wusste trotzdem Bescheid. Auch die, die sich versteckten durchschaute er gründlich und dann mussten sie eben für ihren Widerstand bezahlen. Sie hatten viele Waffenleute auf Champtocé. Der Großvater ließ ihnen immer ihr Vergnügen und darum konnte man auf die Soldaten zählen. De Craon hielt sich auch nicht mit irgendwelchen Gefühlsduseleien auf. Ob einer um Gnade winselte und flehte, oder sich in sein Schicksal ergab, war gleichgültig, weil sich die Laval-Craon-Montmorency am Ende immer nahmen, was sie haben wollten.

      „Beobachte den Barbaren, Gilles. Wir haben Wochen vor uns. Merke Dir genau, was Du in Erfahrung bringen kannst. Erzähle mir alles. Wir werden schon Mittel und Wege finden, ihm sein hübsches Amulett wegzunehmen“, de Craon drückte das Kind fest an sich und küsste es liebevoll auf die Stirn. Der Knabe erwiderte die Umarmung des alten Mannes und strahlte ihn an. Er liebte seinen Großvater mehr als je zuvor. Er hatte ihm nicht nur erlaubt in den Krieg mitzukommen und zuzusehen, wie sie die Engländer totschlugen. Er vertraute ihm sogar eine wichtige Aufgabe an, die eines Mannes würdig war. Er –Gilles- hatte das Amulett entdeckt und sein Großvater würde alles tun, um ihn dabei helfen, das Objekt seiner Begierde zu bekommen.

      III

      Im Spätherbst war der Hof von Concarneau nach der kleinen Festung Rusquec gezogen; der Wald in der Umgebung, der Uhel Koad südlich von Morlaix - Eichen, Hainbuchen, ein paar Kiefern im Wechsel mit hellen Laubbäumen, ein sagenumwobenes Chaos riesiger Steine – war nicht nur ein gutes Revier für die Jagd auf Wild und Vögel. Er war auch die Quelle des sagenhaften Reichtums der Herren von Cornouailles.

      Vor mehr als eintausend Jahren hatte der Marzhin selbst dem Hochkönigs der Volcae gezeigt, wie er nur dem Silberfluss bis zum Ty ar Boudiket folgen musste. Der Rhiotomas Rigadaf ap Deroch, Ambrosius Arzhurs Vorfahr, hatte dort unter der riesigen Steinplatte, die der Eingang zu einer Silbermine war mit den Korred gerungen. Erst als er sie alle besiegt, gefesselt und gebunden hatte, erzählten sie ihm endlich ihr Geheimnis. Der Preis für ihre Freiheit waren nicht nur die Mine und das Silber gewesen: Die Korred hatten für Rhiotomas den Quinotaur geschmiedet, der sagenhafte Schild der brythonischen Hochkönige. Er zierte immer noch den großen Saal der Festung von Concarneau und beschützte seinen Träger im Kampf vor Verrat und verräterischen Tod.

      Aodrén Jaouen Kréc’h Elis zog seinen neuen, dunkelgrünen Tasselmantel, der innen ganz mit feinstem Maulwurfpelz gefüttert, enger um die dünnen Schultern. Sogar zwischen den schützenden Bäumen des Uhel Koad spürte man schon den eisigen Wind, der den Winter ankündigte. Der schöne Mantel, die feinen Unterkleider aus heller Wolle...Geschenke der Herzogin Maeliennyd Glyn Dwyr: Den Saum und den Kragen des Mantels hatte sie zusammen mit ihren Frauen selbst bestickt. Sie sorgte sich, wie alle Jahre wieder, bei Einbruch des Winters um Aodrén. Er war ein alter Mann, so alt, das niemand mehr sich daran erinnern konnte, wann er wirklich geboren worden war. Selbst er hatte es vergessen. Nur an den Ort erinnerte er sich noch; Molène, eine kleine Insel vor der Küste der Aodoù-an-Arvor. Ein sturmgepeitschter, karger Felsen mitten in der See. Sein Vater war ein einfacher Fischer gewesen. Als die Weiße Brüder gekommen waren, um ihm mitzuteilen, das Aodrén ausgewählt worden war, um im Heiligen Wald von Brécheliant zu studieren, hatte der Vater aus Dankbarkeit den Göttern die einzige Ziege geopfert, die er besaß.

      Aodrén hatte seinen Vater niemals wieder gesehen, aber in seinem Herzen hatte er immer gespürte, das der Fischer stolz auf ihn war. Der alte Mann ließ die Gedanken an seine ferne Heimat los und trieb den cremefarbenen Zelter voran, durch die einzige Furt des Silberflusses unterhalb des Zitterfelsen.

      Neben ihm ritt ein Knabe, dem das Herbstwetter überhaupt nichts auszumachen schien. Auf seinen Wangen leuchtete ein gesundes Rot, seine kohlrabenschwarzen Augen blitzten und sein hüftlanges, im Nacken mit einem Band zusammengehaltenes gewelltes, schwarzes Haar flatterte, wie eine Kriegsfahne im Wind. Sein Mantel war im Gegensatz zu dem von Aodrén zusammen mit seinem pelzgefütterten Garde-Corps hinter dem Sattel des schneeweißen irischen Ponys festgezurrt, das er ritt. Und obwohl man aufgrund des schön gestickten Wappens auf dem Rücken seiner Surcotte aus hellgrünem Samt und dem aufwendig gearbeiteten, knielangen Gürtel, dessen silberne und edelsteinbesetzte Beschläge das Wappen wiederholten leicht ersehen konnte, das hier der Sohn eines Adeligen von Rang und Einfluss ritt, trug sein Hengstlein aus Connemara doch vorne, links und rechts über dem Widerrist jeweils einen aus Weide geflochtenen Korb, so wie man sie üblicherweise bei den Eseln oder Maultieren der Händler vorfand. Beide Körbe waren sorgfältig mit Tüchern zugedeckt.

      Das Wetter im Spätherbst war ideal für das Kräutersammeln und sie durchstreiften den Wald bereits seit Sonnenaufgang. Aus dem Weidekorb roch es stark nach Portulak: Wenn man ihn zu Tee aufkochte, senkte der Sud Fieber. Sie hatten Zitronenkraut gefunden, Dill, der im Winter gegen Beschwerden beim Harnlassen wichtig war und Wacholderbeeren, die gekocht wurden, um verstopfte Nasengänge freizumachen.

      „ Aodrén, erzähl mir doch noch eine Geschichte“, bat der Knabe, nachdem sie auf der anderen Seite des Flusses angekommen, gemütlich zwischen den Bäumen nebeneinander her ritten. Er wäre mit seinem kleinen Schimmel Finn zwar lieber im gestreckten Galopp nach Hause gestürmt, doch Sévran de Carnac, der jüngste Sohn des Herzogs von Cornouailles wusste, dass sein alter Mann nicht mehr so schnell reiten mochte, obwohl der Zelter ein braves Tier war, das keine Bocksprünge versuchte. Darum war es das Besten, aus der Not eine Tugend zu machen und sich die Zeit so angenehm, wie möglich zu vertreiben. Sévran liebte es, Geschichten zu hören.

      Der alte Mann strich sich nachdenklich mit der Hand über den steingrauen Bart, der ihm bis hinunter zum Gürtel reichte. Seine haselnussbraunen Augen lächelten, als er den Jungen neben sich betrachtetet: Sévran war gerade einmal zwölf Jahre alt und trotzdem benahm er sich schon beinahe, wie ein erwachsener Mann. Er wollte wissen und lernen, anstatt wie andere Kinder ihre Zeit mit Unsinn und unnötigen Spielereien zu vergeuden. Im Vergleich zu seinem Vater Ambrosius Arzhur, war der Knabe ein Geschenk der Götter. Ambrosius hatte als Kind nie still sitzen wollen, um den Weisen zuzuhören. Mit einem Auge war er immer im Hof der Festung von Concarneau gewesen, wo die Waffenleute übten. Trotzdem hatten Aodrén ihn am Ende doch alles gelehrt, was er ihn lehren konnten und Ambrosius war eines Tages bereit gewesen, in den Heiligen Wald zu gehen und dort den Nebelschleier über Bar’ch Hé Lan zu heben. Dann hatte er während vieler Jahre weite Reisen in fremde Länder unternommen, um seinen Wissensdurst genauso zu stillen, wie seine militärischen und politischen Ambitionen. Ambrosius war erst mit der Zeit weise geworden, so weise dass die Versammlung der Weiße Brüder ihn vor wenigen Jahren im Wald von Carnöet, im Heiligen Hain am Ufer der Laïta, sogar zum Drouiz Meur, zum Erzdruiden gewählt hatte.

      Doch Ambrosius‘ jüngster Sohn war bereits weise auf diese Welt gekommen: Die Herzogin von Cornouailles hatte Sévran in der Nacht von Bealltainn das Leben geschenkt. Es war eine außergewöhnlich schwierige Geburt gewesen. Maeliennyd Glyn Dwyr hätte in diesem Alter einfach kein Kind mehr austragen dürfen, doch sie hatte sich trotz der Gefahr für ihr Leben, die eine solch späte Schwangerschaft darstellte standhaft geweigert den Trank einzunehmen, den er für sie zubereitet hatte, um die Frucht im Mutterleib zu töten. Sie musste damals bereits gespürt haben, dass dieses letzte Kind etwas ganz Besonderes sein würde.

      Sévran hatte nicht geatmet, als er etwa zwei Monate vor seiner Zeit auf die Welt gekommen war.

      Aodrén lächelte leise in sich hinein; wenn Ambrosius damals nicht das Gemach seiner Herzogin verlassen hätte, um die Bealltainn-Feuer im Heiligen Hain zu entzünden, wie die Tradition es ihm vorschrieb, dann hätte der Knabe möglicherweise niemals einen ersten Atemzug getan und einen ersten Schrei ausgestoßen. Der Herzog von Cornouailles hätte niemals sehenden Auges zugelassen, was Maeliennyd Glendower -verzweifelt und vollkommen erschöpft von der schweren Geburt und dem Blutverlust - in dieser Nacht von ihm verlangt hatte…nicht einmal um den Preis des Lebens seines jüngsten Sohnes…

      Zärtlich und stolz betrachtete der alte Mann das Kind an seiner Seite: Er bereute nichts von dem, was